Dänemark: Streit um Enteignungen

Ende April machte sich in Dänemark der bekannte Jurist und Rechtsgelehrte Ditlev Tamm zum Sprecher für die Aufhebung der Enteignungen zweier Güter, die zu den schönsten Jütlands gehören. Fussingø bei Viborg und Kalø bei Rønde waren am 30. März 1946 durch den dänischen Staat enteignet worden. Grundlage hierfür war ein Gesetz, das die Konfiskation von deutschem und japanischem Eigentum als Wiedergutmachung vorsah.

Fussingø befand sich seit 1702 im Besitz der Familie Plessen, Kalø war 1825 von der Familie Jenisch erworben worden. Beide Familien besaßen weitere Güter sowohl in Dänemark als auch in Schleswig-Holstein. Bis 1864 (Annexion Schleswig-Holsteins durch Preußen und Österreich) gab es im dänischen Staat samt Schleswig und Holstein eine einheitliche Statsbürgerschaft, danach wurden die beiden Großgrundbesitzer-Familien deutsche Staatsbürger (genau genommen ab 1871).

Tamm plädiert nun für die Aufhebung der Konfiskationen. In einem langen Aufsatz in der Zeitung „Jyllands-Posten“ vom 26.4. unterstreicht er, daß die Besitzer der beiden Güter nicht als Nazi-Unterstützer auftraten und daß sie sich wärend des Krieges politisch korrekt verhielten. Die ungerechte Behandlung des Gutsbesitzers Scheel-Plessen, der in den 30er Jahren, nachdem er nicht die doppelte Staatsbürgerschaft behalten konnte, die deutsche Staatsbürgerschaft wählte, findet er diskriminierend im Vergleich mit jenen wegen Landesverrats verurteilten Großgrundbesitzern, deren Güter nicht vollständig beschlagnahmt wurden, wie z.B. Lindenborg, wo der Besitzer aktiver Nazi gewesen war.

Tamm fordert, daß das Unrecht der ersten emotional stark geladenen Nachkriegszeit wiedergutgemacht wird. Die Plessen und Jenisch seien, so argumentiert er, gute alte, Dänemark loyal verbundene holsteinische Gutsbesitzer-Familien gewesen. Er zeigt, daß sich später aus Furcht vor den Konsequenzen einer Aufhebung der Enteignungen die Gerichte und Kassationsgerichte gegenüber den Klägern nicht konsequent verhalten haben.

Den Repräsentanten der dänische Wiederstandskämpfer, Frede Klitgård, bringt das Plädoyer des Juristen auf die Palme. Er weist darauf hin, daß mit einer Aufhebung der Konfiskation 20.000 Fälle neu verhandelt werden müßten. Für Klitgård kommt das nicht in Frage. Er macht eine ganz andere Rechnung auf: Nach dem Krieg hat die deutsche Wehrmacht Schulden von elf Milliarden dänischen Kronen bei der dänischen Nationalbank zurückgelassen. Die dänische Landwirstschaft deckte von 1940 bis 1945 20 bis 25 Prozent des Nahrungsmittelbedarfs der deutschen Bevölkerung. Die Lieferungen wurden nie bezahlt. Eine vor zehn Jahren angestellte Schulden-Hochrechnung mit Zins und Zinseszins kam auf 600 bis 700 Mrd. Kronen. Niemand hat diese Schulden je beglichen. Keine dänische Regierung hat bisher danach gefragt.

Gegen Ende des Krieges kamen dann 300.000 bis 400.000 deutsche Flüchtlinge nach Dänemark, das sie aufnahm, beköstigte und kleidete. Die letzten gingen erst 1948 zurück nach Deutschland. „Bitte schön, die dummen Dänen zahlten“, schreibt Klitgård.

Die bürgerliche Zeitung „Jyllands-Posten“ erklärt die Enteignungen mit dem Bedarf des dänischen Staates, das Loch nach den Wehrmachts-Schulden irgendwie aufzufüllen: jeder Däne hatte umgerechnet auf einen Handwerkerlohn einige Jahre umsonst gearbeitet.

Eine solidarischere Haltung gegenüber den enteigneten „Kollegen“ nimmt der Gutsbesitzer C. W. Friis zu Ulstrup Hovedgård ein. Er unterstützt die Forderung von Tamm und - politisch interessant - verweist auf das Beispiel eines großen Gutes in der ehemaligen DDR, das seit 1783 in dänischen Händen war, aber beim Vorrücken der Roten Armee isoliert und abgeriegelt, aber nicht enteignet wurde. Nach der Anerkennung der DDR durch Dänemark 1973 hat Kopenhagen 1987 ein Angebot Ostberlins angenommen, nach dem Krieg verlorenen Besitz durch eine bestimmte Summe zur Teilung unter der Betroffenen zu entschädigen. Dies hat aber 1990 die Bundesrepublik nicht daran gehindert, nach der Ostausweitung die ehemaligen dänischen Eigentümer aufzufordern, ihre Forderungen anzumelden. Das besagte Gut wurde schließlich an seine alte Eigentümer zurückgegeben. Friis findet diese Lösung korrekt und möchte sie auf die deutsch-dänischen Verhältnisse anwenden.

Auch der ehemalige linke Parlamentarier Poul Dam und der Widerstandskämpfer-Veteran und Gutsbesitzer Flemming Juncker unterstützen die Forderungen Tamms. Doch viele andere sträuben sich dagegen. Sogar der besonnene Bjørn Elmquist, der Vorsitzende des parlamentarischen Rechtsausschusses. Mit ernsten Worten über die Opfer, die der dänischen Bevölkerung während der Besatzung auferlegt wurden, spiegelte er die allgemeine Haltung der Dänen wider.

Die Diskussion hat nicht nur einen juristischen Charakter. Die Narben des Krieges sprechen mit. Dazu schlägt die Sache einen Bogen zur national-geprägten Debatte über die Euroregion, die Sønderjyllands Amt und den Landesteil Schleswig umfassen soll, die von manchen als schleichende Nordausdehnung der deutschen Einflußsphäre verstanden wird. (Ole Jorn, Kopenhagen)