Kommentar:

Gansel-GAU

„Wenn Wahlen etwas verändern würden, wären sie verboten.“ Der alte Spontispruch gilt noch immer, auch bei der Kieler OB-Wahl. Die schweigende Mehrheit von 53,5% sah das so oder ähnlich, sie nahm gar nicht erst an der Premiere der ersten OB-Direktwahl teil. Ein gegenüber der Selbstverwaltung gestärkter OB, wie ihn die neue Kommunalverfassung vorsieht, kann sich damit nicht gerade demokratischer legitimiert fühlen als vor Einführung der Reform. Zu klar war’s überdies, daß Marinefetischist und Asyldemonteur Norbert Gansel das Rennen machen würde. Das mag auch ein Grund gewesen sein, nicht zur Urne zu gehen.

Wie gesagt, der neue OB stand schon vor der Wahl fest, so blieb kaum eine Wahl. Was nicht feststand: ein derart eindeutiges Ergebnis. Mit einem satten 10%-Polster über der geforderten absoluten Mehrheit kann sich Gansel auf dem Sessel des Stadtoberhaupts niederlassen - und mit dem Gefühl, nicht nur ein Lokalmatador, sondern nunmehr auch ein Stadtfürst zu sein. Sämtliche MitbewerberInnen deklassierte Gansel auf den „Ferner-liefen“-Plätzen, mit Ergebnissen der zugehörigen Parteien weit unter denen der Kommunalwahl von 1994. Der SUK-Kandidat sackte gegenüber dem früheren Ergebnis seiner Spaßpartei um satte 7 Prozent, CDU’s Wulff büßte knapp 9 Prozent ein. Noch heftiger traf es Lutz Oschmann von den Bündnisgrünen. Er erreichte nicht mal ein Drittel des Kommunalwahlergebnisses seiner Partei.

Mit einem so schlechten Ergebnis ist das Wahlziel der Grünen, die Rats-SPD mit einem recht erfolgreichen Kandidaten von links etwas unter Druck zu setzen, nicht nur gescheitert, sondern geradezu ins Gegenteil verkehrt. Ein GAU für die Grünen, der nichts Gutes für die in 10 Monaten anstehende Kommunalwahl erwarten läßt. Die SPD kann nun fast ungehemmt regieren und sich auf ihren filzbespannten Ratssesseln locker zurücklehnen. Die Grünen sind zum Mehrheitsbeschaffer degradiert.

Ebenfalls bedenklich muß die Figur Gansel stimmen. Mit ihm bekommt Kiel einen Bürgermeister, den man nur als unsicheren Kantonisten bezeichnen kann. Das sehen sogar Teile seiner Partei so. Freundlichere Stimmen loben das als „Unabhängigkeit“ oder Querdenkertum. Sicher ist hingegen, daß Gansel ein Politiker mit feinem Gefühl für populistische Meinungen ist. Dies ist auch ein Grund, warum die Kandidaten für Politikverdrossene, die Unabhängigen mit „Rücktrittsgarantie“, nicht vom üblichen Bürgerfrust profitieren konnten. Genervte WählerInnen konnten auch bei Gansel ihren Wunsch nach einem Volkstribun stillen.

Der kann nun die Kieler Woche als Gansel-Woche abfeiern und gleich ordentlich Medienpunkte sammeln. Und Kiel ist noch mehr (See-) Meilen weit entfernt von wirklichen Veränderungen, und sei dies „nur“ die Vision vieler Linker von einer entmilitarisierten Stadt. (jm)