OB-Wahl ohne demokratische Legitimation

Dreiviertel der Kieler Wahlberechtigten haben Norbert Gansel nicht zum Oberbürgermeister gewählt. Da es aber keine Wahlpflicht gibt und die absolute Mehrheit der NichtwählerInnen (53,5%) offenbar keinem/r der BewerberInnen ihr Vertrauen aussprechen konnte bzw. wollte, wird Norbert Gansel am 17. Juni sein Amt antreten, mit einer arithmetisch satten Mehrheit von 60,3% der abgegebenen Stimmen im Rücken.

Gerade die geringe Wahlbeteiligung bei der ersten OB-Direktwahl nach der neuen Kommunalverfassung hat am Tag nach der Wahl einen Streit zwischen Grünen und SPD über die Bewertung des Wahlergebnisses ausgelöst. „Die Direktwahl steht in Frage“ betitelten die SprecherInnen des grünen Landesverbandes Monika Mengert und Peter Swane eine Pressemitteilung. Die geringe Wahlbeteiligung an den OB-Wahlen in Kiel und Neumünster sei „erschrekkend“ heißt es darin, und weiter: „Die SPD muß sich fragen, ob sie mit der gegen den Willen aller kommunalen Spitzenverbände, aber auch vieler KommunalpolitikerInnen aus der eigenen Partei in der letzten Legislaturperiode durchgesetzten Direktwahl der Demokratie einen guten Dienst erwiesen hat.“ Die Frage sei, ob bei einer derart niedrigen Wahlbeteiligung tatsächlich das Ziel einer stärkeren demokratischen Legitimation des OB als nach dem bisherigen indirekten Wahlverfahren erreicht worden sei. Nach dem früheren Wahlverfahren durch Stadtparlamente und Kreistage seien die OBs zumindest indirekt durch fast doppelt so viele WählerInnen legitimiert. Es müsse nun überlegt werden, „ob diese Änderung der Kommunalverfassung nicht rückängig gemacht werden muß“.

Die Grünen hatten in Kiel mit einem Wahlergebnis von nur 4,8% für ihren Kandidaten Lutz Oschmann eine empfindliche Schlappe einstecken müssen. Bei der Kommunalwahl 1994 hatten die Grünen in Kiel mehr als das Dreifache, nämlich 15,1% erreicht. Jedoch, so Mengert und Swane, sei die Kommunalwahl „nicht mit der Direktwahl als reiner Persönlichkeitswahl vergleichbar“.

Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Ursula Kähler, sah in der grünen Kritik an der Direktwahl die Kritik von schlechten Verlierern. Die Grünen sollten „auf dem Teppich bleiben“, sagte sie. Nicht die Infragestellung der Kommunalverfassung sei angesagt, sondern es gelte, „das Interesse der Bürgerinnen und Bürger am politischen Geschehen zu wecken“. Auch der SPD-Landesvorsitzende Willi Piecyk ließ sich nicht von der geringen Wahlbeteiligung beirren: „Kiel hat seine Chance genutzt, die Vertrauenskrise der politischen Spitze der Stadt ist mit der Wahl von Norbert Gansel beendet“, meinte er. Auch das gespannte Verhältnis zwischen Gansel und Ministerpräsidentin Simonis könne in ein „ordentliches Arbeitsverhältnis“ verwandelt werden, es gebe schließlich die „SPD-Tugend Disziplin“.

Gansel selbst wies auf seiner ersten Pressekonferenz als frischgebackener OB Spekulationen zurück, daß er sich auch stärker in die Landespolitik einmischen wolle. Auch auf der Bundesebene wolle er in der SPD kürzer treten und sich voll auf seine Arbeit in Kiel konzentrieren. Hier will Gansel jedoch einiges bewegen. Auch auf die Kandidatenaufstellung zur Kommunalwahl 1998 wolle er Einfluß nehmen. Seine 60,3% bezeichnete Gansel als „stolzes Ergebnis“. Zwar hätte er sich eine stärkere Wahlbeteiligung gewünscht, die bewußten 46,5% fielen jedoch „nicht völlig aus dem Rahmen“. Auch in anderen Städten der BRD seien bei OB-Direktwahlen Wahlbeteiligungen unter oder nur knapp über 50% erreicht worden. Den WählerInnen sagte Gansel eine „sehr rationale Entscheidung“ nach. Sie hätten „einen starken OB ins Rathaus schicken“ wollen. Scharf wandte sich Gansel gegen die Grünen. Sie müßten sich jetzt fragen, ob man „mit Fundamentalopposition oder Opportunismus“ wirklich etwas erreichen könne. Lutz Oschmann habe im Wahlkampf die Oppositionsrolle der Grünen im Rat betont statt der Koalition mit der SPD. Arne Wulff (CDU) sei da häufig kooperativer gewesen. (jm)