Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung

Rahmenbedingungen transsexueller Lebensweisen selbst gestalten

Identität ist etwas Persönliches, etwas Subjektives - die Geschlechtsidentität bildet da keine Ausnahme. Wird sie als soziale Rolle entwickelt und gestaltet, ermöglicht sie den Dialog und den Kontakt mit anderen, eben Kommunikation. Weil Identität unbeweisbar ist, gerät die soziale Rolle ins Blickfeld und wird zum (objektiven?) Prüfstein. Hier liegt die Gefahr, die sowohl die betroffenen Transsexuellen als auch Helfer und Begleiter wie Ärzte, Juristen und Selbsthilfeorganisationen (SHOs) entdecken und (an)erkennen müssen.

Gestalten statt Verwalten

Deshalb kann es eben nicht um Vorgaben gehen, die sich an Klischees und konventionellen Rollen orientieren, sondern um einen Raum von Möglichkeiten, der so gestaltet werden muß, daß Individualität möglich wird. Denn letztlich gehen jede und jeder Transsexuelle ihren Weg allein. Dabei muß (von Medizin und Justiz) auch berücksichtigt werden, daß es Menschen gibt, die sich einer Einordnung in „hier Mann - da Frau“ bewußt verweigern (Transgender) - im Transsexuellengesetz (TSG) kommen solche Fälle aber nicht vor: Sie werden als undenkbar diskriminiert.

In eine vergleichbare Zwickmühle geraten Menschen, die zeitweise einen gegengeschlechtlichen Namen tragen wollen. Denn laut TSG gilt die Namensänderung als (einmalige) Ausnahme im Namensrecht und nicht als persönliches Recht eines einzelnen. Daß zudem die Gutachten für die Namensänderung verständlicherweise als medizinische Diagnose für die Krankenkassen recycelt werden, ist verständlich, läßt sich dadurch doch der (immense) Aufwand an Zeit und Kosten für den eigenen Geldbeutel mindern.

So wird deutlich, daß die Freiheit, seinen Namen zu ändern, nicht im Zusammenhang mit einem aufgeblähten medizischen Verfahren stehen muß; ein formloses Verfahren auf kommunaler Ebene wäre für die beteiligten Seiten vorteilhafter und billiger.

Das derzeit gültige Verfahren mit dem TSG wird den Anforderungen keinesfalls gerecht; es verwaltet nur den Sachverhalt in mangelhafter Form. Eine Reform des TSG ist überfällig und gehört in die öffentliche Debatte. Hierbei geht es darum, die Entmündigung der Transsexuellen aufzuheben und ihr Handeln als selbstverantwortet zu ermöglichen; das läßt sich nur auf dem Weg der Selbstbeschränkung sämtlicher Gruppen erreichen.

SHOs, Mediziner und Psychologen müssen die Entscheidungen des einzelnen Menschen anerkennen und respektieren. In den Medien werden die medizinischen Komplikationen unterschlagen, so daß der Eindruck entsteht, eine „Umwandlung“ im wahrsten Sinne des Wortes wäre möglich. Das ist ein Trugschluß, der über die Verzweiflung, nicht das bekommen zu haben, was erwartet wurde, zum tragischen Scheitern werden kann. Gefährdet sind hier diejenigen, die durch eine „Umwandlung“ leichter die sog. Normalität erreichen wollen und vielleicht nur Menschen des gleichen Geschlechts lieben (also homosexuell sind), die Kleider des anderen Geschlechts tragen (Transvestiten) und dabei möglicherweise erregt sind (fetischistische Transvestiten).

Entscheidungen für diese Wege als Fehlschlag höhnisch bloßzustellen und den Betroffenen den Rückhalt zu entziehen, beweisen die Unfähigkeit einer SHO, die eigentlich die Aufgabe hat, Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein aufzubauen. Dabei sind eigene Meinungen positiv zu bewerten, selbst wenn sie nicht dem Konsens entsprechen; denn offene Diskussionen bieten Ansatzpunkte, Erfahrungen auszutauschen.

Die gegenwärtige Prozedur entwertet aber von vornherein jede Äußerung der Transsexuellen; sie gelten zunächst kategorisch als unglaubwürdig, so daß ihnen zunächst jegliche Hilfe verwehrt wird. Die Ärzte untergraben das notwendige Vertrauen, indem sie auf Zeit spielen. Daß die Selbstdiagnose einen hohen Stellenwert besitzt, weil sie den Menschen aus sich selbst motiviert, auch wenn sie sich später als Trugschluß erweist, wird verkannt. Damit wird die wichtigste Ressource vernichtet - häufig haben Menschen in dieser Situation nur ein geringes Selbstvertrauen - und die Würde der Transsexuellen mißachtet, denn hier ist der einzige Ansatzpunkt zur Auseinandersetzung mit sich selbst.

SHOs, Mediziner und Psychologen können Anreize liefern und so diesen Prozeß unterstützen; ihn lenken können sie nicht, da er sich individuell entwickeln muß. Checklisten, die sich abhaken lassen, und starre Zeitpläne, die ein verbindliches Schema vorgeben, sind deshalb als Kunstfehler zu werten.

Eine Schweigepflicht, wie sie im Arzt-Patienten-Verhältnis gesetzlich vorgeschrieben ist, sollte im ehrenamtlichen Bereich der SHOs ebenfalls selbstverständlich sein. Daß das Offenbarungsverbot (§5 TSG) auch für AktivistInnen in den SHOs gilt, wird manchmal nicht beachtet, so daß durch diese Art der Nötigung Verstörungen regelrecht provoziert werden. Missionarischer Eifer ist fehl am Platze; geht es hierbei doch i.d.R. um die Profilierung der AktivistInnen (Promi- & Berufs-Transsexuelle) und nicht um Aufklärung und Hilfe. Deshalb legen sich vorbildliche SHOs selbständig eine Schweigepflicht auf.

Coming-out und Acting-out: Der transidentische Prozeß

Um die Aktivität zu betonen, ist ein bewußter Umgang mit Sprache notwendig. Das Vokabular aus dem medizinisch-juristischen Bereich verursacht häufig einen Tunnelblick, so daß die Betroffenen außerhalb dieser Thematik kaum mehr etwas wahrnehmen. Diese Scheuklappen müssen beseitigt werden, damit Raum für die Zeit danach geschaffen wird; denn eine soziale Integration läßt sich so nicht erreichen. Dieser Gegenentwurf orientiert sich an einer sachlichen Einschätzung des Machbaren, so daß Illusionen rechtzeitig zerstört werden.

Die Veränderungen im Leben der Betroffenen geschehen nicht über Nacht, sondern vollziehen sich in kleinen Schritten. Der Begriff „Umwandlung“ verspricht mehr, als er halten kann; zudem geht er vom biologischen Geschlecht aus, weshalb ihn Betroffene als diskriminierend empfinden. Der transidentische Prozeß ist jedoch eine Annäherung an das empfundene Geschlecht: eine „ANGLEICHUNG“. Durch diesen Begriff wird erkennbar, daß Perfektion unerreichbar bleibt; denn es gibt Lücken - seien es die fehlende Kindheit oder körperliche Einschränkungen (z.B. Fortpflanzung), die bewältigt und geklärt werden müssen, bevor medizinische Eingriffe beginnen. Der Umgang in den Medien, bei dem die Betroffenen erst nach den Operationen als diejenigen anerkannt werden, als die sie sich empfinden (z.B. Arabella Kiesbauer, für die ein Mann nur durch einen Penis zum Mann wird), nährt hier unerfüllbare Träume.

Die soziale Rolle muß erfahren und erlebt werden. In der medizinischen Fachliteratur geistert der Begriff „Alltagstest“ herum, bei dem die Betroffenen - unter Aufsicht! - den „Alltag“ testen sollen. Das derzeitige Verfahren versetzt die Betroffenen aber in einen (unbefristeten) Ausnahmezustand, weil der Zwang, hinderliche Körpermerkmale zu verbergen, bestehen bleibt und es nicht sichergestellt ist, daß eigenständige Erfahrungen in der empfundenen Rolle voll anerkannt werden. Zudem ist der „Test-Charakter“ der Situation zweideutig: das eigene Leben wird zu etwas, bei dem jemand „bestehen“ oder „durchfallen“ kann. Das Konzept riskiert, daß sich die Betroffenen verkrampfen und „schuldig“ fühlen.

Auf der anderen Seite darf der Hinweis auf den Begriff „transsexuell“ nicht als Freifahrtschein mißverstanden werden. Deshalb muß berücksichtigt werden, ob ein bewußter Findungsprozeß stattgefunden hat, der mit einer Selbstdiagnose im Sinne eines „COMING-OUT“ abgeschlossen wurde; oder ob sich im transidentischen Prozeß die Gestaltung des eigenen Lebens geändert hat, d.h. ob diese Empfindungen ausgelebt und ausagiert werden (das ließe sich unter dem Kunstwort „ACTING-OUT“ zusammenfassen). Damit wird auch die Sexualisierung des Körpers vermieden, die von medizinischer Seite auf den Begriff „Geschlechtsidentitätsstörung“ verengt wird. Dann läßt es sich endlich aus dem reduzierenden Bereich „sexueller Funktionsstörungen“ lösen.

Unheilige Allianzen? - Traumata und Therapie

Außerdem muß berücksichtigt werden, daß in den Biographien der Betroffenen traumatisierende Situationen (Kindesmißbrauch, Vergewaltigung, zerbrochenes Elternhaus u.ä.) auftauchen können, die keineswegs unterschätzt werden dürfen. Abhängigkeiten, Süchte und Selbstmordversuche können das Leben beeinflußt haben. Der Umgang müßte deshalb traumatisierende Situationen vermeiden; das Verfahren, und hier v.a. die Begutachtung, beruht jedoch auf Situationen, die von den Betroffenen mit Gefühlen der Ohnmacht und der Bedrohung verknüpft sind: Die Entscheidungen der Gutachter sind nur selten nachvollziehbar und werden als Willkür erlebt, der die Betroffenen rechtlos ausgeliefert sind.

Besonders die körperliche Untersuchung wird als zumindest beschämend, wenn nicht als sexuelle Gewalt erlebt; die Untersuchung ist in der juristischen Praxis obligatorisch, obwohl laut U. Clement/W. Senf (in: Transsexualität. Behandlung und Begutachtung, Schattauer Vlg. 1996, S. 6) diese eben nicht der Diagnose dient. Hier wird nur der körperliche Allgemeinzustand betrachtet - sprich: die Operationstauglichkeit! Danach stellt die körperliche Untersuchung eine Indikation zur Operation dar, was von Medizinern aber vehement abgestritten wird.

Vor diesem Hintergrund kann das ergänzende Angebot einer Psychotherapie sinnvoll sein. Die Anzahl der Therapeuten, die sich auf Aspekte dieser Thematik einlassen, ist jedoch begrenzt, so daß schon jetzt Wartezeiten von 6 bis 12 Monaten üblich sind. Um ihren Sinn zu erfüllen, setzen Therapien eine Motivation des Klienten voraus. Für die Thematik der Transsexualität bedeutet das: Eine obligatorische Therapie verbietet sich von selbst. Erstens gibt es Menschen, die unabhängig von ihrer Transsexualität Therapie ablehnen; diesen dürfen deswegen keinesfalls Hormontherapie und Operationen verweigert werden. Zweitens ist zu wenig Personal vorhanden. Drittens ist der einzige Zweck, der eine Psychotherapie rechtfertigt, das Wohl des Klienten; jeder andere Zweck wie die Erstellung einer Diagnose muß als Mißbrauch gewertet werden.

Das Ziel des transidentischen Prozesses kann nur im subjektiven Wohlbefinden liegen; also in einer Lage, die von der Person selbst als „normal“ empfunden wird. Das schließt auch Lebensstile ein, die nicht der DIN-Norm entsprechen, wie gleichgeschlechtliche Partnerschaften u.ä. (Britta Madeleine, TS-AK)