Wege aus der Wachstumsfalle?

Fünf Jahre, nachdem sich in Rio die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung auf den Schutz der biologischen Artenvielfalt und des globalen Klimas geeinigt hat, ist die Menschheit weiter denn je von diesen Zielen entfernt. Wirtschaftliches Wachstum und die Globalisierung des westlichen exzessiven Wirtschaftsmodells sind dabei, weltweit das Klima zu erwärmen und die genetische Vielfalt der Biosphäre in einem bedrohlichen Maße zu dezimieren.

Grund genug also, nach „Wegen aus der Wachstumsfalle“ zu suchen. Die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hatten dazu am vorletzten Wochenende nach Hamburg in die dortige Handelskammer eingeladen. Gekommen waren neben viel Prominenz der Grünen und des BUND u.a. auch der Vordenker der Ökosteuer Hans Christoph Binswanger, Carl Amery und Sunita Narain vom Center for Science and Environment aus Delhi.

25 Jahre nach dem richtungweisenden ersten Bericht des Club of Rome, begrüßte der Chef der Böll-Stiftung Ralf Fücks die Referenten und das zahlreiche Publikum, sei die Einsicht, daß „Wachstum um jeden Preis“ den Planeten ruiniere, trotz aller Fortschritte der Umwelttechnologie aktueller denn je. Die auf permanentem Wirtschaftswachstum beruhende Politik der Bundesregierung sei an ihre Grenzen gestoßen. Wolle man Arbeitslosigkeit mit Wirtschaftswachstum kurieren, wären langfristig jährliche Wachstumsraten von über vier Prozent notwendig. „Das ist wirtschaftliche Traumtänzerei und ökologisch ein Horrorszenario.“

Doch was tun? In ihrer Anfangszeit, erinnert sich Fücks, waren die Grünen mit dem Slogan „Weniger ist mehr“ in Wahlkämpfe gezogen, doch das traue sich heute keiner mehr. Positiv formulieren heißt die Devise bei den in der Gesellschaft Angekommenen, und so fragte ein Forum auf dem Hamburger Kongreß: „Ökologisches Wachstum - das eierlegende Wollmilchschwein?“ Einige blieben da skeptisch, wie z.B. die umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsgrünen Michaele Hustedt. Neue Technik sei mitunter ganz sinnvoll aber kein ausreichender Ansatz. So sei das Ziel, den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid in Deutschland um 80% zu reduzieren auch mit einem Drei-Liter-Auto nicht erreichbar, wenn der Individualverkehr auf dem gegenwärtigen Niveau bleibt oder gar weiter zunimmt. Das sei wie mit dem Joghurt: Nicht Joghurt-Essen macht schlank, sondern Nicht-Essen. Auch Reinhard Loske vom renommierten Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und Mitautor der Studie „Zukunftfähiges Deutschland“ hat offensichtlich Schwierigkeiten mit der neuen Sprachregelung. Unvorstellbar sei es, der Umweltprobleme mit Wachstum Herr werden zu können. Zwar gebe es einige Bereiche, wie die Schwefeloxid-Belastung der Luft, in denen trotz Wirtschaftswachstum Besserung erreicht werden konnte, andere aber, vor allem die Versiegelung der Flächen, würden unmittelbar mit dem Wachstum zusammenhängen. Oftmals werden, das war an diesem Wochenende öfters zu hören, technische Verbesserungen durch vermehrten Verbrauch wieder wettgemacht. Prominentestes Beispiel hierfür sind Katalysator und steigende Verkehrsleistung. Doch ist heute, so Loske, für die Umweltpolitiker keine Alternative in Sicht. Sie müßten sich als die besseren Modernisierer darstellen.

Während man sich über die Rolle der Technik und die Ursachen des Wachstumzwanges nicht einigen konnte, war den Versammelten eines völlig klar: Die ökologische Steuerreform ist längst überfällig. Energieverbrauch müsse endlich verteuert und die Arbeit verbilligt werden, erklärte Hans Christoph Binswanger, der bis 1992 das Institut für Wirtschaft und Ökologie im Schweizer St. Gallen leitete. Doch nach zehn Jahren vergeblichen Ringens schien man der Konfrontation müde. Einzig die stellvertretende BUND-Vorsitzende Angelika Zahrnt traute sich noch, Roß und Reiter zu benennen: Es sei vor allem die Chemische Industrie im Verbund mit „ihrer“ Gewerkschaft, der IG Chemie, gewesen, die sich gegen die Ökosteuer gestemmt habe. Aber so konkret wurde es an diesen zwei Tagen selten.

Einig war man sich immerhin, daß nicht alles den Marktkräften überlassen werden dürfe. „Ein richtiges Handeln in falschen Strukturen kann nur von einer Minderheit der Konsumenten erwartet werden“, so Lucia Reisch von der Universität Hohenheim. Für die Mehrheit müßten daher die Strukturen geändert werden. Das reiche von Förderung bei der Vermarktung von Ökoprodukten über „Entschleunigung“ durch die Erhöhung der Transportwiderstände bis zur Bereitstellung von Flächen für Car-Sharing-Projekte.

Viele Umweltprobleme sind heute grenzüberschreitender Natur, nicht zuletzt aufgrund der Globalisierung der Ökonomie. So fragte denn auch ein weiteres Forum nach „Globalisierung und Ökonomie“. Sunita Narein hatte bereits in einer der Eröffnungsreden darauf hingewiesen, daß die ökonomische Globalisierung einer politischen folgen müsse. Es müsse ein faires internationales Umweltregulierungssystem etabliert werden. Die reichen Länder „nehmen Kredit von der natürlichen Umwelt auf, indem sie Abfälle schneller freisetzen, als sie natürlicherweise abgebaut werden können.“ Sie klagte daher von den Industrieländern die historische Verantwortung für die angerichteten ökologischen Schäden ein und forderte eine Welteinkommenssteuer, um ein „Recht auf Überleben“ zu finanzieren. Man könne von den Armen keine Genügsamkeit verlangen, solange der Norden weit über seine Verhältnisse lebe. Immerhin sind es die Armen, die mit ihrer bisherigen Genügsamkeit dafür sorgen, daß viel ökologischer Raum bleibt.

Leider spielten in der Diskussion diese Gesichtspunkte kaum eine Rolle. Stattdessen stellte Riccardo Petrella von der Lissabon-Gruppe, einem Zusammenschluß kritischer Ökonomen und Politiker aus den westlichen Industriestaaten, die sich der Kritik der herrschenden Ideologie des Neoliberalismus verschrieben haben, eine Initiative für ein internationales Wasserabkommen vor. Ziel sei es, das Recht eines jeden auf sauberes Wasser zu garantieren, das 1,4 Milliarden derzeit faktisch verwehrt wird. Wasser dürfe nicht zum Handelsgut werden. Angesichts des herrschenden neoliberalen Diskurses gehe der Sinn für Gemeinschaftsgüter vollkommen verloren.

Bei Narein stieß diese Idee allerdings auf wenig Gegenliebe. Ohne die gute Absicht in Abrede stellen zu wollen, warnte sie angesichts der realen internationalen Kräfteverhältnisse, für ein derartiges Abkommen zu werben. Dabei könne leicht das Gegenteil herauskommen, mehr gewalttätige Konflikte und mehr Zugriff großer Konzerne. Da würden mal wieder Leute aus dem Norden sich um globale Probleme kümmern, statt die eigenen Hausaufgaben zu machen. Schon in ihrem Eingangs-Statement hatte sie darauf hingewiesen, daß so manche Nicht-Regierungs-Organisation aus dem Norden sich mehr um ökologische Belange als um globale Gleichheit und Gerechtigkeit kümmert.

Petrellas Projekt scheint nach der Hamburger Konferenz symptomatisch für die etablierten Teile der Umweltbewegung: Außer der Ökosteuer gibt es kein schlüssiges Konzept zur Lösung der globalen Probleme. Zwar werden Globalisierung und Neoliberalismus kritisiert, doch haben Grüne und Gruppen wie der BUND Mühe, sich von den Interessen der „eigenen“ Wirtschaft zu lösen. Nicht einmal die deutsche Exportwirtschaft wurde an diesem Wochenende aufs Korn genommen, deren chronisch positive Handelsbilanz sowohl ökologisch bedenklich ist, als auch einen erheblichen Beitrag zur Armut in anderen Weltgegenden leistet.

Stattdessen philosophierte man in der Abschlußrunde lange darüber herum, ob die Bürger nun Veränderungen wollten oder nicht. Die Grünen, hieß es, sollten den Mut haben, ihnen zu sagen, daß „wir“ durch ein „Tal der Tränen“ gehen müssen. Wie es dahinter aussehen wird, war in Hamburg nicht zu erfahren. Aber auf jeden Fall anders, so Krista Sager, Spitzenkandidatin der Hamburger Grünen. „Wir brauchen mehr Genügsamkeit“, verriet sie dem Publikum noch. Darunter läßt sich mancherlei verstehen und angesichts dessen, wie sie die FDP-Anhängerschaft umwirbt, auch manch Unschönes. (wop)