„In gewisser Weise fahren Sie schwarz“

Gespräch mit der indischen Wissenschaftlerin Sunita Narein

Wenn über nachhaltiges Wirtschaften gesprochen wird, dann liegt der Blick über die Grenzen nahe. Umweltverschmutzungen machen nicht am Schlagbaum halt, weder illegaler Giftmüll noch Treibhausgase. So war es nur selbstverständlich, daß die Organisatoren der Tagung „Wege aus der Wachstumsfalle“ auch eine Vertreterin aus dem Süden eingeladen hatten. Sunita Narein arbeitet in der indischen Bundeshauptstadt Delhi am Center for Science and Environment (CSE, Zentrum für Wissenschaft und Umwelt). In einer 1993 auch in Deutschland erschienenen Arbeit („Globale Erwärmung in einer ungleichen Welt“) hat sie dem reichen Norden vorgerechnet, daß er weit über seine Verhältnisse lebt. Nur die Tatsache, daß die ärmeren Länder den ihnen zustehenden Anteil an den natürlichen Ressourcen (in diesem Fall der Aufnahmefähigkeit des Ozeans und der Biosphäre für das Treibhausgas Kohlendioxid, das bei der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas entsteht) nicht ausnutzen, habe bisher Schlimmeres verhindert. Im globalen Maßstab kann sich die Menschheit nämlich nur etwa die Hälfte der derzeitigen Kohlendioxid-Produktion leisten. Was darüber hinaus geht, ist für die Aufheizung des Klimas verantwortlich. LinX sprach am Rande der Hamburger Veranstaltung mit Sunita Narein. (wop)

LinX: Frau Narein, könnten Sie uns etwas über das CSE erzählen?

Sunita Narein: Das CSE ist eine Nichtregierungsorganisation (NGO). Wir sind das, was wir eine public interest research-Organisation nennen, eine Organisation, die ihre Forschungsarbeit in den Dienst der Öffentlichkeit stellt. Wir forschen über Umwelt und Entwicklungsaspekte - mit dem ausdrücklichen Ziel, öffentliches Bewußtsein zu schaffen. Wir sind absolut überzeugt davon, daß es keinen Wandel geben wird, bevor nicht die öffentliche Meinung beeinflußt wurde. Die Leute müssen Bescheid wissen über die Umweltfragen und die Entscheidungen, die zu treffen sind. Und außerdem: In einem Land wie Indien ist die Beziehung zwischen Umwelt und Entwicklung der Schlüssel. Du kannst nicht über die Rettung von Tieren sprechen, ohne die Menschen zu retten. Für uns ist das daher kein Konflikt, sondern die Fähigkeit, die Umwelt aus der Perspektive der Menschen zu verstehen. Das ist eine Sache, an der wir kontinuierlich arbeiten.

LinX: Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?

S.N.: Wir forschen viel, reisen in Indien herum, gucken, was im Lande passiert, und publizieren darüber. Ein großer Teil unserer Arbeit besteht aus Kommunikation: Wir bringen ein 14-tägiges Magazin heraus („Down to Earth“), haben einen Feature-Service, produzieren Filme, und im Augenblick arbeiten wir gerade an Unterrichtsmaterialien für Schulkinder. Oftmals mischen wir uns auch direkt ein. D.h., wenn wir erst einmal herausgefunden haben, was gemacht werden muß, dann gehen wir nach außen, sprechen mit Politikern und der Öffentlichkeit, organisieren öffentliche Veranstaltungen. Wir helfen auch verschiedenen NGOs, die Regierungspolitik zu beeinflussen.

LinX: Sie drängen darauf, daß die UN-Klimarahmenkonvention (FCCC) den Anspruch eines jeden Individuums an den natürlichen Ressourcen akzeptiert. Was meinen Sie damit?

S.N.: Die FCCC ist ein Abkommen, das Regeln für das Management einer gemeinsamen natürlichen Ressource, der Atmosphäre, aufstellen soll. Wir wollen, daß diese Regeln sowohl die Gleichheit als auch die Effizienz sicherstellen. Daher vertreten wir, daß jeder einzelne Mensch einen Rechtsanspruch („entitlement“) auf die Atmosphäre hat. Die Summe der individuellen Ansprüche macht dann den Anspruch der jeweiligen Nation aus. Wir glauben, daß dies ein wichtiges Prinzip ist, das gleichzeitig auch die richtigen Mechanismen von Anreiz und Strafe schaffen würde. Nehmen wir z.B. einen Deutschen. Sie wissen, daß Sie weit mehr Treibhausgase produzieren, als Ihnen zusteht. Auf der anderen Seite nutzen Brasilien oder Äthiopien ihren Anteil nicht aus. Deshalb, so unsere Vorstellungen, sollten Brasilien oder Äthiopien das Recht haben, Sie aufzufordern, für die Nutzung des „atmosphärischen Raums“ eine jährliche Miete zu zahlen. Es geht dabei nicht um einen bloßen Geldtransfer, sondern darum, die Verzerrungen des Marktes zu korrigieren. Sie nutzen diese Ressource, ohne zu zahlen, sind also in gewisser Weise ein Schwarzfahrer. Sie beziehen das nicht in Ihre Ökonomie, in ihre Preise ein. Auf der anderen Seite geben diese gegenwärtigen Verzerrungen Äthiopien keinerlei Anreiz, seine eigenen Treibhausgas-Immissionen zu reduzieren.

LinX: Wie könnte nachhaltige Entwicklung - betrachtet aus einer südlichen Perspektive - aussehen? Was sind Ihre Forderungen?

S.N.: Es gibt da zwei Ebenen: Das eine ist die nationale Ebene, das andere sind die Wechselwirkungen zwischen dieser und der internationalen Ebene. Aber ich denke, daß es für südliche Länder sehr wichtig ist zu formulieren, was nachhaltige Entwicklung im nationalen Kontext bedeutet. Indien z.B. ist es sehr wichtig, daß wir einen Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen lernen, der unseren Leuten nützt. Für uns besteht daher die Herausforderung der nachhaltigen Entwicklung darin, sicherzustellen, daß die Kommunen Rechte an den natürlichen Ressourcen haben. Es muß ein System lokaler Demokratie geben, daß den Menschen die Rechte an den Ressourcen gibt. Sie müssen lernen, sie zu nutzen, und auch, sie für die Entwicklung ihrer Ökonomie einzusetzen. In Indien besteht die Herausforderung also darin, zu lernen, wie unser Land besser zu nutzen ist, auf eine Weise, die nachhaltig ist, aber auch den Menschen in den Kommunen nützt. Wir müssen lernen, wie unsere Wälder besser zu nutzen sind, unsere Wasserressourcen. Wir müssen lernen, wie wir verhindern können, daß Wasser und Luft verschmutzt werden, denn wir sind im steigenden Maße mit Gesundheitsproblemen konfrontiert. Die Vergiftung der Umwelt verursacht eine Menge Probleme für die Menschen. Unsere Vision für Indien besteht also, was nachhaltige Entwicklung angeht, zu allererst darin, den Nachbarschaften und Dörfern das Recht an der Umwelt zu geben, von der sie leben.

LinX: Aber die Stärkung der lokalen Demokratie widerspricht den Interessen des big business, und, so weit ich weiß, ist Indien gerade dabei ihnen mehr Rechte zu geben und mehr Markt zuzulassen.

S.N.: Ja, das stimmt. Es widerspricht sowohl den Interessen der Regierung als auch denen des big business. In Indien haben wir eine andere Art, damit umzugehen: Wir sagen der Regierung: Ihr liberalisiert die Wirtschaft, aber Ihr macht es leider nur für die große Industrie. Wir wollen, daß die Wirtschaft auch für die Dorfgemeinschaften liberalisiert wird. Gebt die Ressourcen, die heute noch von der Regierung verwaltet werden, den Nachbarschaften und Dörfern. Wir wollen also Dezentralisierung auf die dörfliche Ebene herunter. Wir benutzen also ihre Begriffe, sagen, daß wir nicht gegen die Liberalisierung sind, sondern daß das Konzept auf die Dörfer ausgedehnt werden soll. Wir sagen zur Regierung: Gebt es den Dorfgemeinschaften und nicht der Industrie. Und gebt ihnen die Macht, mit der Industrie fertig zu werden.

LinX: Auf den UN-Klima-Konferenzen wird aus den Ländern des Südens immer wieder die Forderung erhoben, daß es Technologietransfer geben müsse. Sehen Sie das auch so, ist Technologietransfer eines der Probleme?

S.N.: Ich denke nicht. Immer wenn ich nach Technologietransfer gefragt werde, will ich wissen, über welche Technologie wir sprechen. Es ist ziemlich klar, daß die Industrie keine Technologie, d.h. Spitzentechnologie, abgeben wird, ohne dafür den richtigen Preis zu bekommen. Ich denke, daß der Süden nicht Technologietransfer fordern sollte. Er macht das jetzt immerhin schon seit 40 Jahren, ohne etwas bekommen zu haben. Ich denke, daß es für den Süden wichtiger ist, gerechtere Rechtstitel einzufordern, und ich denke, daß er dabei Erfolg haben kann.

LinX: Vielen Dank für das Gespräch.