Kommentar:

Der Anfang von etwas Neuem

All die vielen Konzerte und Kulturhäppchen, die den Amsterdamern den Gipfel der EU-Regierungschefs, schmackhaft machen sollten, konnten nicht darüber hinwegtäuschen: Amsterdam war zur Festung ausgebaut. Polizei-Hubschrauber kreisten in Permanenz über der Stadt, durch die Grachten flitzten allenthalben Boote mit „Ordnungshütern“, blaue Uniformen überall. Ganze Straßenzüge waren abgesperrt, damit die hohen Herren auch ja nicht gestört würden.

Die Hemmungslosigkeit, mit der sich die niederländische Staatsmacht über die Legalität hinwegsetzte, erinnert den deutschen Beobachter an den Münchener Weltwirtschaftsgipfel oder die CASTOR-Transporte im Wendland. In den Niederlanden, wo man derartige Polizeistaatsmethoden noch nicht gewohnt ist, sorgten sie für einige Empörung. Wie auch immer, sie geben zumindest einen Ausblick darauf, was wir von diesem grenzenlosen Europa zu erwarten haben: Repression und weitere gesellschaftliche Polarisierung. Während die Regierungsspitzen der EU für die 20 Mio. Erwerbslosen und 50 Mio. Armen nichts als ein paar leere Floskeln übrig haben, rüsten sie an der inneren Front, wohlwissend, daß ihre Kahlschlag-Politik nicht auf Dauer ohne Widerspruch bleiben wird. Freizügigkeit, das haben tausende EU-Kritiker in Amsterdam erfahren, gibt es nur für Kapital und Waren. Wer hingegen wagt, aufzubegehren, muß damit rechnen, interniert und abgeschoben zu werden.

Aber Amsterdam ist nicht nur eine Demonstration staatlicher Macht gewesen. Euromarschierer und 50.000 Teilnehmer der großen Gegendemonstration sind mit einem neuen Bewußtsein internationaler Stärke und Solidarität nach Hause gefahren. Immer wieder konnte man auf Demonstration und Gegen-Gipfel hören, dies sei der Anfang von etwas Neuem, eines Netzwerks des Widerstandes von Unten gegen das Europa der Konzerne.

Allerdings: Einen gemeinsamen Gegenentwurf, auch das wurde deutlich, gibt es bisher nicht. Aber deshalb den Kopf in den Sand stecken und abwarten, wie es in Deutschland viele Linke tun? Die Antwort des Amsterdamer Gegen-Gipfels ist eine andere: Wir brauchen in möglichst allen Ländern Abstimmungen der Bevölkerungen über die Maastricht- und Amsterdamer Verträge. Solche Referenden könnten die dringend erforderliche gesellschaftliche Auseinandersetzung um das Projekt eines europäischen Superstaats in Gang bringen. (wop)