Mit Kanonen auf Spatzen

Über die feinen Unterschiede zwischen Transsexualität und Intersexualität

„Intersexualität“? Nur die wenigsten werden diesen medizinischen Begriff kennen. Er etikettiert diejenigen Menschen, die in der Umgangssprache als „Zwitter“ oder „Hermaphrodit“ belächelt und als „Kuriosität“ im Theater (sexual-)wissenschaftlicher (???) Vorlesungen ausgestellt werden (so geschehen zu Kiel). Aus Sicht der Biologen hat hier „die Natur versagt“ - und das hat rechtliche und medizinische Folgen für jede/n einzelne/n, die sich in einer Zwei-Klassen-Moral von „Geschlecht“ niederschlagen: die „braven“ Intersexuellen und die „bösen“ Transsexuellen.

Aber einige sind gleicher

Auf den ersten Blick scheinen Intersexuelle - zumindest gegenüber Transsexuellen - privilegiert zu sein: Ein Gutachten, in dem der Sachverhalt medizinisch erläutert wird, reicht aus, um über Nacht sämtliche Papiere zu ändern und die Krankenkassen davon zu überzeugen, daß eine Operation notwendig ist. Denn nach §47 des Personenstandgesetzes wird die bisherige Zuweisung als Justizirrtum betrachtet, der durch die Fehler von Hebammen und Standesbeamten entstanden ist. Ein sog. „Alltagstest“, wie er für Transsexuelle gefordert wird, findet nicht statt - obwohl die Intersexuellen in der Regel erst durch eben dieses Gutachten erfahren, was mit ihnen los ist, und sich vorher nur unbehaglich fühlen. Daß sie sich selbst zunächst als „transsexuell“ begreifen können, liegt auf der Hand, zumal dieser Begriff ständig in den Medien präsent ist.

Diese Privilegien sind aber teuer erkauft: Wie bei der Geburt erfolgt hier eine passive Zuweisung durch akademisches Fachpersonal. Das Wort eines Mediziners entscheidet über die Gestaltung fremden Lebens. Weil aber die Etikettierung über das juristische Procedere entscheidet, werden die Betroffenen einer umfangreichen Untersuchung unterworfen, um auszuschließen, daß Transsexuelle intersexuell sind - im Fachjargon: (ein Teil der) Differentialdiagnose.

Diese Untersuchung dürfte kaum als harmlos bezeichnet werden: Eine weitreichende Durchleuchtung des Familienlebens (es gibt Gutachter, die Familienalben durchblättern), eine anthropologische Vermessung des Körpers (die u.U. später durch Fotos bzw. Dias dokumentiert wird - später für Dia-Shows wiederverwendbar!), Testinjektionen mit Hormonen sowie Injektionen mit Streßhormonen, während der Proband unter Streß gesetzt wird (um das Verhalten der Nebenniere zu testen). Chromosomentests, Analysen von Sekreten wie z.B. Sperma und Scans im Magnetresonanztomographen - die z.Z. noch als harmlos verkauft werden dürfen - vervollständigen ein Programm, das als „notwendige“ Routine abgespult wird. Daß dieser Umgang als körperlich, psychisch und seelisch belastend empfunden werden kann, läßt sich nachvollziehen.

Dieses Verfahren verteuert die Gutachten, die entweder von den Betroffenen oder von der Krankenkasse bezahlt werden, und hält eine Unterscheidung aufrecht, die sowohl Intersexuelle als auch Transsexuelle diskriminiert und von der letztlich nur der medizinische Apparat profitiert.

Haare spalten - mit doppelter Moral

„Nach Berichten von Betroffenen ist es üblich, bei Kindern, deren äußerliche Geschlechtsmerkmale nicht einer bestimmten Norm entsprechen, mit Hilfe chirurgischer Eingriffe Anpassungen vorzunehmen. (...) Die Arbeitsgemeinschaft gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie weist darauf hin, daß derartige Eingriffe für die Betroffenen häufig mit außerordentlichen physischen und psychischen Belastungen - oft lebenslang - verbunden sind.“ (Drucksache 13/5757)
Das Zitat stammt aus einem Bericht über eine kleine Anfrage, die die Abgeordnete Christina Schenk und die Fraktion der PDS im Bundestag zu ’Genitalanpassungen in der Bundesrepublik‘ stellten. Daraus wird folgender Sachverhalt deutlich:

Während also Transsexuelle de facto möglichst lange von Operationen abgehalten werden, werden Intersexuellen schon im Kindesalter Operationen aufgezwungen. Gleichzeitig ist die Grenze zwischen Intersexualität und Transsexualität umstritten: Wenn Transsexualität biologische Ursachen hat, ist sie dann nicht eine Form der Intersexualität? Ist dann noch ein Transsexuellengesetz (TSG) notwendig? In welchen Fällen dürfen Intersexuelle als Transsexuelle behandelt werden (diese Möglichkeit sehen die deutschen Behandlungsstandards von S. Becker et al. vor!)? Wann gilt welches Recht? Dieser feine Unterschied läßt sich jedoch nicht als internationale Gepflogenheit verkaufen, denn z.B. in Italien und in Schweden taucht in den entsprechenden Gesetzen der Begriff „transsexuell“ NICHT auf: Dort werden Intersexuelle und Transsexuelle nach derselben Grundlage beurteilt.

Die künstliche Grenzziehung mit ihrer menschenverachtenden Dimension ist ein überflüssiger Kropf. Deshalb muß sie durch ein Recht des einzelnen Menschen auf seinen Körper ersetzt werden, das gleichzeitig die medizinischen Zauberlehrlinge in ihre Schranken weist.

(Britta Madeleine, TS-AK)