Sommertheater um die MVA

Mangels brechender Deiche an hiesigen Gewässern bietet das Kieler Sommertheater einen Oldie, die weitere Auseinandersetzung um die Müllverbrennungsanlage (MVA). An dem Poker um die Privatisierung der MVA (LinX berichtete) nimmt nun auch die städtische Versorgung und Verkehr Kiel GmbH (VVK) teil. Die hatte das Angebot unterbreitet, die MVA als Tochterunternehmen in ihren Konzern aufzunehmen. Die grüne Ratsfraktion bezeichnete dies als „eine interessante Alternative“, jedoch komme für die Grünen auch bei dieser Variante eine Wiederinbetriebnahme des dritten Kessels nicht in Betracht. Ferner halten die Grünen weiterhin ihre Forderungen aufrecht: eine Steuerungsmöglichkeit der Abfallpolitik durch die Stadt, die Senkung und langfristige Stabilität der Abfallgebühren, Einbeziehung der MVA in einen regionalen Abfallverbund sowie ein landesweites Abfallmanagement. Dem Gutachten der Landesbank, das einen 100%igen Verkauf der MVA an den Veba-Konzern empfohlen hatte, trauen die Grünen nicht über den Weg, „weil die Landesbank über die Westdeutsche Landesbank mit dem Veba-Konzern verbunden ist“. Sie fordern vielmehr ein neues Gutachten, in dem auch die Varianten Übernahme durch die VVK und „Weiterführung unter der bisherigen Alleingesellschafterin Stadt“, eventuell auch mit einer Minderheitsbeteiligung privater Unternehmen, geprüft werden.

Der Umweltbeirat der MVA unter dem Vorsitz von Horst Lenné forderte ebenfalls den Verbleib der Gebührenhoheit bei der Ratsversammlung. Überdies müßten die vorhandenen beiden Kessel „zur Erzielung sozialverträglicher Gebühren“ ausgelastet werden, ohne den dritten Kessel wieder in Betrieb zu nehmen.

Erster Auftritt im MVA-Sommertheater für OB Gansel: Er will der Ratsversammlung nun vorschlagen, das erweiterte Genehmigungsverfahren für den dritten Kessel zu stoppen. Das Verfahren werde weit über 2 Mio. DM kosten und es ergäben sich nun Optionen, die einen Weiterbetrieb des dritten Kessels überflüssig machten. Gansel meint damit den Verkauf der MVA, wobei von den Interessenten „nicht in jedem Fall der dritte Kessel zur Bedingung gemacht“ werde. Die Forderung der Grünen nach einem neuen Gutachten lehnte Gansel allerdings ab: „Wir kommen nicht darum herum, selbst zu entscheiden. Dies können uns Gutachter nicht abnehmen“, sagte er.

Die Grünen werteten Gansels Äußerungen als „positives Signal gegen die Wiederinbetriebnahme von Kessel III“. Jedoch müsse, so der grüne Ratsherr Helmut Schreiber, nicht nur das erweiterte, sondern auch das einfache Genehmigungsverfahren abgebrochen werden, damit kein neues Schlupfloch für den dritten Kessel entstehe. Die Grünen sehen in der Option für das Wiederanfahren des stillgelegten dritten Kessels nach wie vor eine „abfallpolitisch und unter finanziellen Gesichtspunkten schlimme Fehlentscheidung der Ratsversammlung“.

Auch der Umweltbeirat der MVA begrüßte Gansels Vorschlag für den Abbruch des erweiterten Genehmigungsverfahrens. Allerdings sprach auch der Umweltbeirat sich gegen neue Gutachten aus. Sie kosteten viel Geld und dienten oft nur zur Rechtfertigung politischer Entscheidungen, sagte Horst Lenné.

Vermeiden statt verbrennen!

Beim Streit um die MVA und den dritten Kessel bleibt leider mehr und mehr das Argument auf der Strecke, daß Müllverbrennung – ob mit zwei oder drei Kesseln – an sich keine kostengünstige und umweltfreundliche Strategie zur Abfallentsorgung ist. Schon im Februar legte der BUND eine Bewertung der Abfallpolitik der 40 größten deutschen Städte vor, die zu dem Ergebnis kommt: „Verfeuern heißt verteuern. Müllvermeidung ist nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch billiger als Müllverbrennung. Und: Nicht der Umweltschutz heizt, wie oft behauptet wird, die Müllgebühren-Spirale an, sondern meist die Müllverbrennung.“

Daß Müllvermeidung durch Mülltrennung und Recycling möglich ist, zeigt in der BUND-Studie ein Zahlenpaar sehr anschaulich. Während in Augsburg pro Durchschnittshaushalt (3-köpfige Familie) und Jahr 214 kg Restmüll anfallen, ist die Menge in Duisburg mit 420 kg fast doppelt so groß. Das schlägt sich allerdings in den Müllgebühren nieder. In Augsburg entstehen einem Durchchnittshaushalt 1997 Kosten von 475 DM, in Duisburg nur 178 DM. Jedoch ist ein derart reziprokes Verhältnis nicht der Normalfall. So muß man in Berlin bei überdurchschnittlichen 399 kg Restmüll 445 DM bezahlen, während in Münster unterdurchschnittliche 259 kg auch nur 259 DM kosten. Solche Ergebnisse zeigen, daß eine hohe Restmüllmenge, die meistens auch in einer MVA landet, nicht notwendig mit geringen Entsorgungskosten verknüpft ist. Andersherum: Eine umweltfreundliche Abfallwirtschaft mit geringen Restmüllmengen ist nicht automatisch auch teurer. Beim BUND-Städtetest wurden die Gebühren daher nicht mit in die Bewertung einbezogen.

Nur zwei Kommunen, Münster und Hannover, haben nach Ansicht des BUND „empfehlenswerte“ Abfallkonzepte. Beide erfüllen die wichtigsten Kriterien für eine ökologisch sinnvolle Abfallpolitik: eine gute Öffentlichkeitsarbeit, um die Bevölkerung zur Mülltrennung zu motivieren, eine gute Erfassung der Wertstoffe im Müll, die Entsorgung von Bio- und Sondermüll sowie eine biologisch-mechanische Entsorgung des Restmülls.

In 18 Städten, darunter auch Kiel (301 kg Restmüll, 579 DM jährliche Gebühren – der Spitzenreiter bei den Müllgebühren), ist das Abfallkonzept mängelbehaftet. Zwar ist z.B. in Kiel die Öffentlichkeitsarbeit sehr gut, aber die Restmüllentsorgung in einer MVA führt zur Abwertung. Zur Begründung sagt Jutta Schreiner, Autorin der Studie: „Weil aber Müllverbrennung zu höheren Emissionen im Umfeld der Anlage führt und der Sachzwang, die MVA auslasten zu müssen, sich in der Praxis als Todesstoß für die Müllvermeidung erweist, mußten wir diese Städte abwerten.“ Bestes Beispiel für die enge Verknüpfung von auszulastender MVA und schlechter Mülltrennung ist Duisburg. Es gibt dort zu wenige Altglascontainer, und die nicht-lineare Gebührenstruktur (d.h. doppelt so viel Müll kostet seinen Verursacher nicht das Doppelte) bietet keinen Anreiz zur Mülltrennung. „Da paßt ins Bild, daß Duisburg an eine große, unausgelastete MVA liefert, die jede Tonne Auslastung gut gebrauchen kann“, kommentiert der BUND-Abfallexperte Olaf Brandt.

Sehr große Mängel attestierten die BUND-Experten den Abfallkonzepten 16 weiterer Städte, darunter die Metropolen Berlin und Frankfurt. Schwachpunkte hier: mäßige bis schlechte Wertstofferfassung und umweltschädliche Entsorgung auf Deponien oder in MVAs. „Völlig untragbare Abfallentsorgungskonzepte“ haben laut Studie die Städte Hagen, Oberhausen, Gelsenkirchen und Duisburg, die sich besonders durch hohe Restmüllmengen auszeichnen, die sämtlich in MVAs verbrannt werden.

Daß Ökologie und Ökonomie Hand in Hand gehen können zeigen nach Ansicht der BUND-Experten die Positivbeispiele Münster und Hannover. Zwar sei eine umweltfreundliche Restmüllentsorgung auch nicht umsonst zu haben, jedoch zeigten die Beispiele Augsburg und Aachen (und nicht zuletzt Kiel – d. Red.), welche Kostenexplosionen nicht ausgelastete MVA-Neubauten nach sich zögen.

Als Hindernis für umweltfreundliche Abfallwirtschaftskonzepte erweisen sich leider auch immer noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Bundes. Sie bevorzugen eindeutig die „thermische Verwertung“, sprich Müllverbrennung. Insbesondere die Grenzwerte in der Technischen Anleitung Siedlungsabfall (TASi) erweisen sich hier als Bremse. Hannover mußte für seine neue biologisch-mechanische Abfallentsorgungsanlage (BMA) eine Ausnahmegenehmigung erwirken. Münster schaffte es jedoch sogar, die TASi-Werte mit seiner BMA einzuhalten – das bei moderaten Müllgebühren.

Aus ihren Ergebnissen leitet die BUND-Studie folgende Hauptforderungen ab:

- Vor der Entwicklung dezentraler Entsorgungskonzepte (z.B. MVA-Neubauten) sollen Kommunen testen, wie sich die Restmüllmenge durch Mülltrennung und Wertstofferfassung (z.B. auch Biotonnen) senken läßt.

- Die Abfallsatzungen sollen Anreize zur Abfallvermeidung für jeden Bürger bieten, z.B. durch mengenabhängige Gebührenberechnung, lineare Gebührenstaffelung, niedriges Mindestvolumen und Gebührenanreize zur Eigenkompostierung.

Von solchen Bestrebungen ist in der Diskussion um das Kieler Abfallentsorgungskonzept und die MVA leider wenig zu hören. Bei einer Privatisierung der MVA dürfte die Umsetzung solcher Konzepte wohl in noch weitere Ferne rücken.(jm)