Atomlobby rüstet fürs nächste Jahrtausend

Bundesregierung plant Änderung des Atomgesetzes

Lang vorbei sind die Zeiten, als selbst führende Christdemokraten vom mittelfristigen Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie sprachen. Seinerzeit ging es darum, das durch Tschernobyl aufgeschreckte Wahlvolk zu beruhigen. Tatsächlich hat man nie aufgehört, an der Weiterentwicklung der Kerntechnik zu arbeiten. Und bereits seit einigen Jahren tüftelt Siemenes – von der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet – in Kooperation mit der französischen Framatome am Europäischen Druckwasserreaktor (EPR). 1998 soll für diesen – geht es nach dem Willen von Bundesregierung und Atomgemeinde – ein standortunabhängiges Prüfverfahren eingeleitet werden, ein Verfahren, das es bisher noch gar nicht gibt.

Aber vielleicht schon bald: Reaktorministerin Merkel verabschiedete sich im Juli mit einem Entwurf zur Novellierung des Atomgesetzes in die Sommerpause. Am 16.7. gab es vom Bundeskabinett das Placet. Offiziell begründet mit einer (überfälligen) Anpassung der nationalen Gesetzgebung an neue Euratom-Richtlinien, liest sich der Gesetzentwurf wie eine Wunschliste der Atomlobby: Die Nachrüstung der alten Meiler soll sich nicht mehr am jeweils neuesten Stand der Technik orientieren müssen, das aus DDR-Zeiten stammende Endlager in Morsleben soll noch bis zum Jahre 2005 weiterbetrieben werden, in Gorleben werden die Grundlagen für die Enteignung von Salzrechten geschaffen, und zur Krönung des Ganzen wird das erwähnte standortunabhängige Prüfverfahren eingeführt.

Dessen Ziel ist es vor allem, die Öffentlichkeit so weit wie möglich auszuschließen. In der Vergangenheit – vor allem in den 70ern, als die meisten der heute laufenden Meiler durchgesetzt wurden – hatten Anhörungen im Rahmen der Genehmigungsverfahren erheblichen mobilisierenden Effekt. Aufgeschreckte Anwohner der Standorte strömten zu Hunderten zu den Sitzungen der Kommissionen, kritische Fachleute brachten Unmengen detailierter und gut untermauerter Sicherheitseinwände vor. Die Anti-Atombewegung hat in diesen sehr konkreten Auseinandersetzungen u.a. auch ein erhebliches Faktenwissen ansammeln können.

Verständlich, daß die Bundesregierung das künftig vermeiden möchte. Für neue Anlagen und „Weiterentwicklungen der Sicherheitstechnik” soll künftig beim Bundesamt für Strahlenschutz ein Prüfverfahren beantragt werden können, also bei einer Bundesbehörde, statt wie bisher bei Länderbehörden. Eine Beteiligung der Öffentlichkeit ist nicht vorgesehen, ihr wird das Ergebnis lediglich per „Bundesanzeiger” bekannt gegeben. Für spätere Genehmigungsverfahren wird es zwar nicht bindend sein – mit einem deratigen Versuch war die Bundesregierung früher bereits an den Gerichten gescheitert – doch wird es die Grundlage bilden, wenn an einem konkreten Standort die Sicherheit erörtert wird. Kritiker werden auf diese Art sicherlich einen noch schwereren Stand haben, das schnelle „Durchziehen” der öffentlichen Anhörung wird eine solche „Vorarbeit” erleichtern.

In Gesetz und Begründung wird es übrigens trickreich vermieden, auf den EPR bezugzunehmen. Offensichtlich ist der Bundesregierung wenig daran gelegen, daß frühzeitig eine öffentliche Diskussion über die Neubaupläne der Atomindustrie vom Zaun gebrochen wird. Entsprechend blockte sie auch auf einer Anhörung zur Novelle ab. Für den 10.7. hatte Merkels Ministerium AKW-Betreiber und Umweltverbände eingeladen. Der Bundesverband der Bürgerininitiativen Umweltschutz (BBU) und der BUND wollten die Gelegenheit nutzen, um auf die ihrer Meinung nach gravierenden technischen Mängel am EPR-Konzept hinzuweisen, das doch angeblich hundert Prozent sicher sein soll. Laut Werbung der Atomlobby soll der EPR einmal in der Lage sein, auch im Falle einer Kernschmelze, d.h. des größten anzunehmenden Unfalls (GAU), die Folgen auf den Reaktorblock zu beschränken. Die Verhandlungsleiter aus dem Ministerium für Reaktorsicherheit und Umwelt lehnten jedoch jede Diskussion technischer Details ab. Die beiden Umweltverbände verließen daraufhin die Anhörung unter Protest.

Daß der Bundesregierung (wie auch ihren sämtlichen Vorgängerinnen) nichts an der Beteiligung der Öffentlichkeit an ihren atomaren Planungen gelegen ist, zeigt sich auch in Gorleben. Dort wird das Endlager nicht nach dem Atonmrecht, sondern nach dem Bergrecht gebaut, denn das sieht kein öffentliches Genehmigungsverfahren vor. Offiziell wird auch gar kein Endlager gebaut, sondern der Salzstock nur erkundet, und zwar schon seit über fünfzehn Jahren. 1,5 Mrd. DM hat man sich das bisher kosten lassen.

Was aber zunächst für die Endlagerbauer ein Vorteil war, droht jetzt zum Nachteil zu werden. Das Bergrecht sieht nämlich vor, daß wirtschaftliche Aktivität den Vorrang vor der Erkundung hat. Das haben sich pfiffige Atomkraftgegner zunutze gemacht, und mit der Salinas GmbH eine Gesellschaft gegründet, die Salz fördern und vermarkten soll. Salzrechte, auf die sie per Pacht zurückgreifen können, gibt es bei erklärten Endlagergegnern genug, v.a. beim Grafen Bernstorff. Sollten aber weitere Schächte in den Salzstock getrieben werden, könnte dieser damit erheblich destabilisiert und damit für ein Endlager vollends ungeeignet werden.

Also enthält die von Merkel vorgeschlagene Novelle des Atomgesetzes auch ein eigenes „Lex Bernstorff”, das dessen Enteignung ermöglichen soll. War es nach bisherigem Atomrecht nicht möglich zu enteignen, wo bloß erkundet wird, soll es nun heißen: „Die Enteignung ist ferner zulässig für Zwecke der vorbereiteten Standorterkundung.” In den sog. Energiekonsens-Gesprächen hatte der SPD-Verhandlungsführer Schröder bereits einem Enteignungspassus zugestimmt, war aber von seiner Partei zurückgepfiffen worden.

Die Bürgerinitiativen und die niedersächsischen Grünen halten Schröder daher für mitverantwortlich. „Diese Gesetzesänderung inklusive einer Lex Bernstorff hat Ministerpräsident Schröder im Rahmen seiner Konsensgespräche mit angezettelt”, erklärte die grüne Landtagsabgeordnete Rebecca Harms im Juli gegenüber der Presse. Es gibt deshalb und weil die Bundesregierung die SPD mal wieder mit der Kohle-Förderung unter Druck setzt, wenig Hoffnung, daß sich die Mehrheit der sozialdemokratisch geführten Länder tatsächlich mit dem Bundesrat der Novelle widersetzen wird. Ob der überhaupt gefragt werden muß, ist allerdings noch strittig. Die Bundesregierung beharrt darauf, daß allein der Bundestag zuständig ist. Die SPD-Landesregierungen müßten diese Frage schnellstmöglich verfassungsrechtlich klären lassen, wenn sie es ernst mit ihrer Ablehnung meinen.

Einen weiteren Stolperstein für Angela Merkel und ihren Oggersheimer Chef bilden die Pläne, Morsleben über das Jahr 2000 hinaus weiterzubetreiben. Das bereits vor 1989 eingerichtete Endlager in der Nähe Magdeburgs (ebenfalls in einem Salzstock) wurde von der Bundesregierung ohne atomrechtliches Verfahren übernommen. Laut Einigungsvertrag soll es noch bis zum Jahr 2000 Atommüll aufnehmen. Jetzt soll per Atomgesetz diese Frist bis 2005 verlängert werden. Ob aber ein Bundesgesetz sich so ohne weiteres über den Einigungsvertrag hinwegsetzen kann, ist fraglich. Im sachsen-anhaltinischen Umweltministerium denkt man daher schon über eine Verfassungsklage nach.

Einen Bonbon haben Merkels Mannen für die AKW-Betreiber in die Vorlage eingebaut: Die in die Jahre gekommenen AKWs, für die demnächst erhebliche Nachrüstungen anstehen werden, müssen nicht mehr unbedingt auf dem neuesten Stand der Technik ausgestattet sein. Das wird dann überflüssig, wenn dies „nicht, oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erfüllt werden” kann. Unverhältnismäßig ist es sicherlich, wenn Betreiber auf einen Teil der satten Gewinne verzichten müßten, die die längst abgeschriebenen, uralten Schrottmeiler wie Stade einfahren.

Innovativ zeigte man sich im Ministerium für Reaktorsicherheit nicht nur, wenn es darum ging, Bürgerrechte auszuschalten, sondern auch in der Behandlung des Atommüllproblems. Darauf machte die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg aufmerksam: Man definiert einfach ein bißchen um. Bisher durfte schwach- und mittelaktiver Atommüll, der u.a. im Gorlebener Faßlager eingelagert wird, drei Gramm hochradioaktiven Kernbrennstoff auf 100 kg Abfall enthalten. Jetzt, nach Merkels neuem Gesetz, soll dieser Grenzwert um den Faktor fünf erhöht werden. Künftig kann 100 kg als schwach und- mittelaktiv deklarierter Müll bis zu 15 g Plutonium oder andere gefährliche Alphastrahler enthalten. „Auf diese Weise wird die Brennelementelagergesellschaft Gorleben eine Menge Probleme im Faßlager los, wenn dort das Fünffache an hochradioaktiven Isotopen in den Atommüllfässern untergemischt werden kann”, ergänzt die Bürgerinitiative. Schadhafte Fässer, die nachkontrolliert wurden, durften nach einer Neukonditionierung in Duisburg bislang nicht nach Gorleben zurückgebracht werden, weil deren Kernbrennstoffanteil zu groß war. (wop)