Blinden etwas von Farbe erzählen

Zum Umgang von Gegenwind und LinX mit dem Autor Feridun Zaimoglu

Feridun Zaimoglu habe, preist der Rotbuch-Verlag das Buch KANAK SPRAK an, die 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft (so der Untertitel des Buches) in lesbares Deutsch übertragen – und hat damit leider recht. Leider, weil auch die bundesdeutsche Presse mit Recht frohlocken konnte, daß Zaimoglus veritables und kräftiges Stück Literatur (Rotbuch) eine Verjüngungsspritze für die deutsche Literatur sei (Süddeutsche) und Zaimoglu selbst die Zukunft der deutschen Literatur (FR). KANAK SPRAK ist viel zu sehr Nachdichtung (Zaimoglu), um gegen diese doitsche Vereinnahmung gewappnet zu sein, und der Autor scheint den 24 Berichten seinen eigenen Stil derart aufgeprägt zu haben, daß die Authentizität der Einzelschicksale, die jeweils einmalige Persönlichkeit der 24 Berichtenden, mit gewiß im Original höchst unterschiedlichen Ausdrucksweisen und sprachlichen Möglichkeiten, fast ganz verschwindet. So habe ich das jedenfalls gelesen, lauter Dichter, mit ein und derselben souveränen Sprachgewalt. Ein großes Milieugedicht aus einem Guß in deutscher Sprache, eben ein ins moderne Doitsche vereinnehmbares Stück Literatur. Hier scheint mir Feridun Zaimoglu noch viel von dem Literaten an sich zu haben, dessen Stil er im Interview mit der Zeitung LinX so ausgezeichnet als private Schreibe des autonomen Autors, der nicht mehr zeitgemäß sei, kritisiert. Andererseits kann ein einzelner Mensch kaum diesen Sprachreichtum allein aus sich selbst heraus schaffen, und so gesehen ist die Kanak Sprak, in der alles Althergebrachte zerschlagen und völlig neu zusammengesetzt erscheint, das Werk der vielen Kanaken, die dem genialen Autor Berge von Sprachstoff zutrugen. Und er weiß meisterhaft damit umzugehen. Kurz: der Arbeitsstil des Feridun Zaimoglu weist auf eine neue, sozusagen vergesellschaftete Form künstlerischen Schaffens hin und damit über bürgerliche Privatheit überhaupt hinaus.

In ABSCHAUM hat der Autor die stories des Ertan Ongun so behutsam eingerichtet (Zaimoglu), daß er, indem er selbst ganz unauffällig im Hintergrund bleibt, uns den Menschen Ertan Ongun so lebendig nahe bringt, als hätte man/frau ihn persönlich gekannt. Und dadurch bleibt schließlich auch gleichgültig, wieviel an dieser Figur Dichtung, wieviel Wahrheit sein mag. Er ist lebendige Wirklichkeit geworden, der reine Stoff (Ertan Ongun), den Feridun Zaimoglu da aufbereitet hat, ist bedrückende, beunruhigende und abstoßende bundesdeutsche Wirklichkeit. Literatur, ja. Aber nicht mehr so leicht zu vereinnahmen vom Volk der Dichter und Denker, das gibt die karge Sprache des Ertan O., gespickt mit türkischen und englichen Redewendungen und Flüchen und einer völlig abgeschliffenen deutschen Grammatik, einfach nicht mehr her. Da hat nationale Bornierung, so sehr sie noch das Denken von Kanaken und Alemannen gleichermaßen blockiert, schon keine Perspektive mehr, zumal der Verschleiß des doitschen Nationalguts Sprache alemannisch hausgemacht ist. Auch das weist bereits, trotz aller noch bestehenden nationalstaatlichen Grenzen und deren zäher, rückwärtsgewandter Verteidigung hüben wie drüben, über bürgerlich geprägte Verhältnisse hinaus ins revolutionär Grenzenlose. Aber das ist keine Idylle.

Die Interviews in Linx und Gegenwind sind dem unangemessen. Sie zerren den Autor zurück ins kleinbürgerlich ängstliche Mittelmaß, und er läßt sich dummerweise darauf ein, so daß er am Ende selbst nur noch wie ein Sozialpädagoge spricht. Das tut dem unbestechlichen Gespür für gesellschaftliche Veränderung, das seine Bücher vermitteln, selbstverständlich keinen Abbruch. Jedoch, wenn er sagt, Ich schreibe Bücher, bin aber auch vor Ort in der Räucherei mit diesen Jungs zugange usw., klingt das verdammt so, als müßte er irgendwelchen Praxisfetischisten beweisen, daß er mehr tut, als nur Bücher zu schreiben. Er teilt offensichtlich mit den linken Gutmenschen aller Schattierungen, die, wie er das treffend an der PDS karrikiert, in Vereinsräumen belabern, was man in Kiel machen könnte, das tief sitzende Mißtrauen gegenüber möglicher Kopflastigkeit ihrer politischen Arbeit. Er behauptet: Wenn du zu einem Kanaken hingehst und sagst „Gangster sein ist Scheiße”, dann kannst du nicht mit Theorien kommen. Warum eigentlich nicht? Ist der Kanake zu doof oder die revolutionäre Theorie nur für Akademikerhirne gemacht? Jedenfalls lernen wir nun den Sozialarbeiter Zaimoglu kennen, der vor Ort versucht, zu helfen, Streitigkeiten zu schlichten, für Solidarität zu sorgen, eine Art Geborgenheit anzubieten, Vorbild zu sein und „die Leute von der Straße zu holen” (Warum das, Herr streetworker? Ein Kanake lernt auf der Straße, sagte ganz richtig der Autor Feridun Zaimoglu), und wir erfahren, daß er die Leute, mit harter Sprache, mit Rhythmus mit Wut usw. ködert. Er ködert sie. Da gibt‘s nichts von und mit ihnen zu lernen, sondern der soziologisch gebildete Mensch beugt sich zu ihnen herab und „holt sie ab”, wie das bundesdeutsche Hochschulen für Sozialarbeit lehren. Da kann frau nur hoffen, daß „die Leute” dieses Interview nicht gelesen haben. Ali, der Rapper in KANAK SPRAK sagt übrigens ganz dasselbe, was gewiß, neben Alis Ankündigung, zwecks Dealerjagd eventuell zu den Bullen zu gehen, zusätzlich doitsches Wohlwollen für das Buch hervorrufen konnte. Der Kodex (Zaimoglu) ist ehrenwert: No crime, no drugs. Nüchternheit.

Frappierend ist, daß sich in diesen Interviews nicht nur die Interviewer beiderlei Geschlechts und verschiedener Nationalitäten als völlig ratlos erweisen, der Autor selbst scheint seinen eigenen Geschöpfen nicht gewachsen zu sein. Mit seinem intuitiven Gespür für die neue Realität, um die es ihm geht und von der er einen kleinen Ausschnitt, das Millieu des Kanakengangsters, mit sicherem künstlerischen Zugriff vor Augen führt, kommt der Kopf nicht so recht mit. Da fehlt es an intellektueller Nüchternheit. Erstens zu wissen, wo der Hammer hängt, und zweitens den Hammer von der Wand zu holen und meinem Feind in die Fresse zu schlagen”, ist ein bißchen zu wenig Gedankenarbeit, denn es geht dem Feridun Zaimoglu immerhin sehr darum, das falsche, mit dem Begriff der Ethnie verkleisterte Bewußtsein anzugreifen, nur kommt er dabei in diesen Interviews, über Phrasendrescherei nicht hinaus: Man muß dieses falsche Bewußtsein, das ja vom System produziert wird, angreifen, zerstören, um am Ende dann wirklich die tauglichen Waffen für den Kampf darzulegen. Mit so einer Sprechblase kann niemand was anfangen, und so fragt auch der Interviewer WP zweimal an, wofür denn gekämpft werden soll, und KK wüßte gern genauer, gegen wen. Verständlicherweise, denn Zaimoglu schwingt besagten Hammer gegen ein Sammelsurium von Feinden, das von der Rathauslinken über den Ali-Poeten bis hin zur Bourgeoisie reicht. In diesem Wirrwarr gehen leider seine messerscharf treffenden Charakterisierungen der verlogenen Multikuli-Szene fast verloren, und er landet vollends selbst im Multikultisumpf, wenn er allzu naiv beklagt, dies sei hier kein Rechtsstaat, als könnte der bürgerliche Rechtsstaat das Ziel revolutionärer Bewegung sein, und wenn er das Bild einer angeblichen Ein-Drittel-Zwei-Drittel-Gesellschaft übernimmt, das genauso wie die Ethnie-Chose dazu dient, den Gedanken an Klassenkampf aus der Welt zu schaffen. Daß dies in einer Zeitung, die sich sozialistisch nennt, unwidersprochen durchgehen konnte, ist eigentlich bitter. Da könnten alle an diesen Interviews Beteiligten von den so verachteten Alt-68er-Kommunefurzern (Zaimoglu) noch einiges lernen. Allerdings begnügt sich die Interviewerin im Gegenwind ohnehin mit der Rolle der Stichwortgeberin und hält sich auf diese Weise ganz aus möglichen Konfrontationen heraus. Nur, daß Zaimoglu sein Buch ABSCHAUM ganz ohne Kommentar für sich selbst sprechen läßt, beanstandet sie zaghaft. Ausgerechnet! Der Interviewer KK in LinX scheint dies so ähnlich zu sehen: In dem Buch ist keine Perspektive, kein Weg, kein Kampfaufruf. Da wollen zwei Blinde, daß man ihnen was von der Farbe erzählt.

In der Einleitung von KANAK SPRAK schreibt Zaimoglu, daß die Frauen in der Szene, die er beschreibt, unter Hausarrest stehen, von der Außenwelt abgeschnitten und für jeden Fremden, also auch für den Autor selbst, unerreichbar seien. Damit wäre er quasi aus dem Schneider bezüglich der auffallenden Erscheinung, daß Frauen in seinen Büchern scheinbar keine Rolle spielen, wenn es da nicht andererseits, besonders in ABSCHAUM, von Huren und Schlampen nur so wimmeln würde. Sind das keine Frauen? Und haust in allen Kanakenköpfen tatsächlich noch immer vollkommen unerschüttert von weltweiter Frauenemanzipation das stumpfsinnige Bild: schlechte Frau ist Hure, gute Frau ist Mutter, frau gehört diesem oder jenem Mann, und wenn sie, wie soeben beschrieben, weggesperrt wird aus der Welt der Männer, ist diese Welt in Ordnung? Dies Frauenbild, das Zaimoglus Kanaken verinnerlicht haben, korresspondiert auffallend mit ihrem blödsinnigen Ehrgefühl, das ganz und gar von ihren Eiern abhängt. Ertan O. in ABSCHAUM: Wir Türken sind klein, aber wir haben Eier (S. 64), Wir dagegen haben nichts außer unsere Eier zu verlieren (S. 23), Dreißig Türken um ein Albaner rum, der hatn Messer inner Hand, mitten im Kümmelgriff, Mann, cooler Junge, der hat so richtig Eier (S. 130). So ein kulturelles Hinterwäldlertum findet sich ja auch noch massenhaft in alemannischen Männerköpfen. Wäre daher dieses Problem allgemeiner menschlicher Emanzipation nicht die ein oder andere Frage wert gewesen in einem Interview, das eine sozialistische Zeitung veröffentlicht?

Mangels eigener theoretischer Perspektive (daher wohl das X im Zeitungsnamen, die unbekannte Größe) kann in LinX am Ende des Interviews nur Trostlosigkeit konstatiert werden. Die Zukunft ist trostlos und irgendwie bedrohlich, weil ein in Sachen Weltverbesserung überforderter Autor der bundesdeutschen Linken auch nicht sagen kann, wo‘s lang geht. Das ist das Fazit, das die LinX-Leserin für diesmal mit nach Hause nimmt – und die bohrende Frage: Was ist eigentlich das System? Dieses übermächtige Ding, das bösartigerweise falsches Bewußtsein, Gangster und sogar die Perspektivlosigkeit produziert? Dieses System ist ein kapitalistisches, teilt Feridun Zaimoglu immerhin mit. Um Näheres zu erfahren, werde ich mal bei übriggebliebenen Alt-68er-Kommunefurzern nachfragen. (Eva Dockerill)