Kriminelle Hetzer

Wer gemeint hatte, die populistischen Ausfälle des niedersächsischen Ministerpräsidenten gegen „kriminelle Ausländer” („Raus, und zwar schnell”, hatte er in der „Bild” gefordert) seien ein Ausrutscher gewesen, muß sich getäuscht sehen. Anfang August stimmte der SPD-Vorsitzende Lafontaine seinem Kollegen aus Hannover ausdrücklich zu.

In Hamburg war man schon vor Schröder auf die Idee gekommen, den Wahlkampf vor allem gegen Immigranten und Flüchtlinge zu führen. „Law and order is a Labour issue” ist auf den Plakaten der hanseatischen Sozialdemokratie diesen Sommer zu lesen. Vor allem auf Afrikaner hat man es abgesehen. Die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke machte darauf aufmerksam, daß von Bundesregierung und SPD umfangreiche Abschiebungen von Afrikanern mit ungeklärter Staatsangehörigkeit in irgendein schwarzafrikanisches Land geplant werden. „Hauptsache: ’Ausländer raus‘” beschreibt die Abgeordnete diese Methode, bei der sich offensichtlich einen Dreck um Legalität gekümmert wird.

Die gambische Botschaft in Brüssel, die ihr Land auch in Deutschland vertritt, machte darauf aufmerksam, zu welchen Mitteln in der Hansestadt gegriffen wird, um Afrikaner abzuschieben: Die Behörden würden einfach falsche Papiere ausstellen, Flüchtlinge, deren Nationalität nicht geklärt werden konnte, zu Gambiern machen. Bei einem Flüchtling, der z.B. ohne gefälschten Ausweis gar keine Chance hätte, zu fliehen, falle dies in die Kategorie „Ausländerkriminalität”. In der Zentralen Aufnahmestelle des Landes in Itzehoe gibt es übrigens eine eigene Polizeiwache, die 1992 nach den Pogromen in Rostsock angeblich zum Schutz der Flüchtlinge eingerichtet wurde. Heute sind die Beamten hauptsächlich damit beschäftigt, Strafverfahren gegen die frisch eingetroffenen Flüchtlinge wegen falscher Ausweise zu verfolgen.

Ulla Jelpke hat sich die Mühe gemacht, mal nachzuschauen, was denn eigentlich „kriminelle Ausländer” sind: Heraus kam, daß sich die von Asylbewerbern begangenen Straftaten zum überwiegenden Teil aus Bagatelldelikten und Tatbeständen zusammensetzen, die ein Deutscher gar nicht erfüllen kann. Im einzelnen: Verstöße gegen das Ausländer- bzw. Asylverfahrensgesetz (30%), Fälschen von Pässen (12%), einfacher (Laden-)Diebstahl (30%) und „Schwarzfahren” (14%). „Und auch jene”, fährt sie fort, „die nur allzu gern als ’illegale EinwanderInnen‘ denunziert werden, konnte die Polizei 1995 zu 97% nur ’illegalen Grenzübertritt‘ oder Paßfälschung vorwerfen. Die von ihnen verursachte Kriminalität hängt also unmittelbar und ausschließlich mit ihrer Flucht und Migration sowie ihrer unzureichenden sozialen Absicherung in diesem Land zusammen.”

Auch sonst nehmen es die rassistischen Hetzer von Regierung und „Opposition” mit der Wahrheit nicht so genau, wenn es um Stimmungsmache geht. In einer kleinen Anfrage versuchte die Abgeordnete Jelpke zu erfahren, was es mit der „Schlepper- und Schleuserkriminalität” auf sich hat, die von Kanther so gerne als eine der größten Bedrohungen der „Inneren Sicherheit” an die Wand gemalt wird.

Konkret befragt, wurde der Bundesinnenminister kleinlaut: Er sah sich nicht in der Lage, Auskunft zu geben, wie viele Personen nicht nur vom BGS als „Schleuser” angezeigt, sondern als solche auch verurteilt worden sind. „Kanther hat”, faßt Ulla Jelpke in einer Presseerklärung die Antwort zusammen, „weder Erkenntnisse darüber, in wie vielen Fällen ’Schleuser‘ Waffen eingesetzt haben, noch wie viele BGS-BeamtInnen bei ihrem Einsatz gegen ’Schlepper‘ verletzt wurden. Auch weigerte sich die Bundesregierung aus ’einsatztaktischen Gründen‘, darüber Auskunft zu geben, wie viele BGS-BeamtInnen bei einer Ende Mai unter deutscher Leitung zusammen mit zehn Ostseeanrainerstaaten durchgeführten einwöchigen Polizeiaktion gegen mutmaßliche Schleuser teilgenommen haben, wie viele ’geschleuste Personen‘ aufgegriffen und wie viele ’Schleuser‘ hierbei festgenommen wurden. Selbst über die entstandenen Kosten hüllt sich Kanther in Schweigen.” Ob vielleicht herausgekommen wäre, daß es sich um ein ziemlich teures Propagandaunternehmen mit dem Nebeneffekt gehandelt hat, Polizeikräfte von Nachbarstaaten unter deutscher Führung zu einem Manöver zusammengezogen zu haben? (wop)