Das Lübecker Modell oder: Die GAB – ein rentierlicher Betrieb?

Das „Lübecker Modell“ ist in aller Munde. Gemeint ist das Modellprojekt MV200. Dieses Projekt bezieht sich auf das Bundessozialhilfegesetz, welches im Unterabschnitt „Hilfe zur Arbeit“ festlegt, daß jede/r Hilfesuchende/r sich für gemeinnützige und zusätzliche Arbeit bereithalten muß. Ins Lübecker Modell umgesetzt bedeutet dies: Zwangsverpflichtungen für 2 DM plus Sozialhilfe oder Streichung der Sozialhilfe. LinX dokumentiert zu diesem Thema eine Stellungnahme der Lübecker Arbeitslosenselbsthilfe:

Eine Beschäftigungs-GmbH wird als besonders geeignetes Instrument angesehen, „um u.a. den betroffenen Personenkreis (SozialhilfeempfängerInnen) wirkungsvoll in die Lage zu versetzen, die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu erreichen“ (aus der Begründung zur Bürgerschaftsvorlage vom 4.4.91). So wird 1991 die Gemeinnützige Ausbildungs- und Beschäftigungs-GmbH (GAB) gegründet. Und wie das bei Privatisierungsvorhaben der Stadt dann so üblich ist: Die wichtigen Posten der Gesellschaft werden politisch besetzt, hier mit den Emporkömmlingen der Sozialdemokratie. Der GAB werden Aufgaben übertragen, die bisher das Sozialamt wahrgenommen hat: Schaffung von gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeitsplätzen in Verbindung mit der freiwilligen Vermittlung von Sozialhilfeempfängerlnnen in befristete Arbeitsverträge, die sozialversicherungspflichtig sind und damit die Kommune durch den anschließenden Anspruch auf Leistungen des Arbeitsamtes entlasten.

Die GAB boomt

Wo liegt dann der Haken, wenn wir uns die schönen Projekte der GAB ansehen? Die Stadt hat sich ein Mittel geschaffen, unter dem Mantel „Arbeit schaffen statt Arbeitslosigkeit“ die Möglichkeiten des zweiten, dritten usw. Arbeitsmarktes zu erschließen und den Verschiebebahnhof Arbeitsmarkt auszuweiten, indem sie durch die privatrechtliche Form sich Möglichkeiten eröffnete, Subventionen u.a. der EG abzuschöpfen. Gleichzeitig hat eine privatrechtliche Gesellschaft mehr Möglichkeiten, ihre Dienstleistungen günstig anzubieten, da sie entsprechende Pflichtleistungen der Stadt dafür in Anspruch nimmt. Auf die Qualität der Dienstleistung wirkt sich das jedoch nicht immer gut aus: Bei langfristig angelegten Projekten, wie z.B. dem Betrieb eines Kindergartens, haben Kurzzeitverträge verheerende Auswirkungen auf die Arbeit in den Kindergruppen. Möbelaufarbeitung aus Sperrmüll bringt natürlich keine dauerhaft haltbaren Möbel hervor, und ob die Motivation der Mitarbeiter bei unterschiedlicher Bezahlung (vollzeitige Festangestellte und HzAler, teilzeitige Zwangsverpflichtete für 2 DM plus Sozialhilfe) immer gleich ist, sei mal dahingestellt.

Zwangsarbeit

1996 schließlich werden dann die Bürgerschaftsbeschlüsse bzgl. der Freiwilligkeit der Arbeitsaufnahme aufgehoben und die Arbeit gegen Mehraufwand wieder eingeführt. Im Bundessozialhilfegesetz hat der Gesetzgeber im Unterabschnitt „Hilfe zur Arbeit“ festgelegt, daß jede/r Hilfesuchende/r sich für gemeinnützige und zusätzliche Arbeit bereithalten muß. Tut er/sie das nicht, soll die Sozialhilfe zuletzt eingestellt werden. Die GAB flankiert den Beschluß der Bürgerschaft mit einem Modellprojekt (MV200), das es ihr erlaubt, SozialhilfeempfängerInnen zunächst für ein halbes Jahr gegen eine Mehraufwandsentschädigung einzustellen. Diese Einstellung soll dann in einen sozialversicherungspflichtigen Jahresvertrag münden.

Rechnungswesen

Die GAB rechnet städtisch. Bereits zum Senatsbeschluß im Januar 1996 gibt es zum Punkt „Hilfe zur Arbeit“ eine Stellungnahme der GAB. Darin heißt es „die Beschäftigung von SozialhilfeempfängerInnen ohne sozialversicherungspflichtigen Arbeitsvertrag... rentiert sich ... nur dann, wenn ... mehr als 20 Prozent der HilfeempfängerInnen durch das Arbeitsangebot zum Leistungsverzicht der HzL angeregt wird“.

Bereits im November, zwei Monate nach Beginn des Projektes MV200, konnte von der GAB festgestellt werden, daß ca. 30 Prozent der zugewiesenen Personen sich nicht gemeldet hatten und somit der Sozialhilfeantrag nicht weiter bearbeitet wurde.

Im Februar 1997 liegt dem Sozialausschuß dann eine Auswertung der GAB vor, die gleichzeitig weitere 200 Arbeitsplätze MV200 über die Bürgerschaft genehmigt sehen möchte. Diese Art „Aktiver Arbeitsmarktpolitik“ sei für die Stadt Lübeck rentierlich.

Im März schließlich erläßt das Sozialamt eine Verfügung, die die Möglichkeiten des § 25 BSHG voll ausschöpft: „Bei Verweigerung der Annahme einer Beschäftigung gegen Hilfe zum Lebensunterhalt und Mehraufwandsentschädigung im Rahmen des Projekts MV200“ ist die Sozialhilfe in Stufen bis zur Einstellung zu kürzen.

Schluß mit dem Arbeitszwang!

Hintergrund dieses Arbeitszwangs kann im Grunde nur sein, Sozialleistungen einzusparen und Leistungsberechtigte abzuschrecken – und das klappt ja auch, wie der Geschäftsführer der GAB vorausgesehen hat. Zusätzlich findet ein Abbau regulärer Arbeitsplätze im Bereich kommunaler Aufgaben statt, indem „billigere“ BSHG-ArbeiterInnen zum Einsatz kommen. In Lübeck hat dazu die Bürgerschaft beschlossen, für die Dauer der Wiederbesetzungssperre MitarbeiterInnen der GAB auf den freien Stellen bei der Stadt einzusetzen. Und wie so oft bei unpopulären Entscheidungen hat die Stadt dabei die Ablehnung des Personalrats schlicht übergangen.

Mit den Änderungen, die im Zusammenhang mit der beschönigend sogenannten Arbeitsförderung stehen, den Angriffen auf die Sozialgesetzgebung und auf die Tarifautonomie, wird der Weg geebnet, die Allgemeingültigkeit des Arbeits- und Tarifrechts in Frage zu stellen. Mit dem Ruf nach „Arbeit um jeden Preis“ wird eine Umstrukturierung der allgemeinen Arbeitsbedingungen vorgenommen, mit der Absicht, mittels Zwang nicht-existenzsichernde Arbeitsverhältnisse durchzusetzen. Und die GAB, sozialdemokratisch majorisiert, ist ein Instrument, das umzusetzen.