Kommentar:

Siegerjustiz?

Totalitarismus ist eine schlimme Sache. Er ist immer „irgendwie” gleich fies, menschenverachtend und so ... Und er macht es seinen Verächtern einfach. Die DDR war „ein riesiges KZ” mit 18 Millionen Insassen. Was sind dagegen die läppischen sechs Millionen, die ja vielleicht auch nur viereinhalb waren? Die DDR, ein Unrechtsregime, das an seiner Westgrenze planmäßig Menschen erschießen ließ. Ja, die „Schandmauer” war eigentlich eine einzige Selbstschußanlage, zur Vernichtung deutscher Menschen.

Nicht ganz so überspitzt beschrieben es die bürgerlichen Kommentatoren nach dem Ende des Prozesses gegen die Hinterbliebenen des Politbüros, Krenz, Kleiber und Schabowski. Aber ihre „Genugtuung”, als hätten sie in der eigenen Familie ein „Maueropfer” zu beklagen, stellte der DDR zwischen den Zeilen obige Bilanzsumme aus. Nun scheint das Unternehmen gänzlich abgewickelt, alle offenen Rechnungen sind beglichen, die Sieger haben gesiegt, und hinter Gitter gebracht, wessen sie medienwirksam habhaft werden konnten.

Nicht von ungefähr kam so das Unwort „Siegerjustiz” bei den Kritikern der Art und Weise dieser „Vergangenheitsbewältigung” auf – freilich ebenso die Kategorien verwechselnd und vermischend wie jene Sieger. Prägten doch 1946 Nazis den Begriff „Siegerjustiz”, um die Nürnberger Prozesse zu verunglimpfen.

Kein Weg führt auch an der Feststellung vorbei, daß das Zielen und Abdrücken auf jenen Rücken, den manche und mancher dem sozialistischen Experiment in der Mitte Europas kehren wollten, dem Geist dieses Experiments widersprach und somit schreiendes Unrecht war, daß man so ein Verbrechen weder beschließen, noch dulden oder – als „ausführendes Organ” im Grenzdienst – durchführen durfte. Schabowski und Kleiber haben das eingesehen, auch Krenz, der sich allerdings hinter der euphemistischen Formulierung „größte Niederlage meines Lebens” verschanzte und sein Augenmerk auf die „Siegerjustiz” beschränkte – verständlich, aber trotzdem falsch.

Wer kämpft für das Recht, hat nicht immer Recht! Eben das gilt aber auch für die zu Gericht sitzenden Vertreter der Sieger. In diesem Prozeß ging es nicht um die Aufklärung einer Verwicklung, die einen positiven Ansatz der Geschichte in sein Gegenteil verwandelte, also nicht um Lehren aus der Geschichte, die sich auf der Bühne eines Gerichtssaals sowieso nur selten ziehen lassen. Hier urteilten vielmehr Vertreter eines Regimes, das nicht viel weniger Dreck am Stecken hat, über die eines annektierten Staates.

Der ZEIT-Autor und ehemalige DDR-Insasse Christoph Dieckmann brachte es in einem Interview mit dem heute-Journal auf den Punkt: Nicht besonders glaubwürdig sei ein Urteil in Sachen Menschenrechtsverletzung, das von einem Staat verhängt wird, der sich bei freundschaftlichen Wirtschaftsbeziehungen wie z.B. zu China wenig um diese Rechte schert. Und man könnte ergänzen: Wenig glaubwürdig auch für einen Staat, dessen Grundrechte nur für Deutsche gelten und der das schmutzige Handwerk der Ermordung von Grenzgängern den Regimes überläßt, in deren Länder er die ungeliebten „Asylanten” abschiebt. (jm)