Alle wollen die Auslastung

Gezerre und Ungereimtheiten um die MVA

Erneut wurde in der Ratsversammlung vom 21.8. über die Müllverbrennungsanlage (MVA) diskutiert. In einer geschäftlichen Mitteilung legte der zuständige Umweltdezernent Schirmer zunächst den Sachstand eines Konzepts für die Kooperation der Abfallwirtschaft in der K.E.R.N.-Region vor. Darin kommt er zu dem Ergebnis, daß eine Abfallwirtschaftskooperation in der K.E.R.N.-Region kaum Chancen hat. Bis auf den Kreis Schleswig-Flensburg sei keine der Kommunen bereit, ihren Müll an die Kieler MVA zu liefern. Stattdessen setzten die Kommunen auf die Auslastung noch bestehender Deponiekapazitäten, auch um den Streit um die Normen der TASi (Technische Anleitung Siedlungsabfall) abzuwarten. Wie LinX bereits berichtete, bevorzugt die TASi einseitig die „thermische Verwertung“ von Müll und setzt Alternativverfahren wie z.B. Deponierung und biologisch-mechanischer Verwertung enge Grenzen. Im Gegensatz zu Kiel setzen die K.E.R.N.-Kommunen verstärkt auf solche Abfallentsorgungskonzepte und hoffen wohl auf eine Veränderung des Bonner Wirtschaftskreislaufgesetzes (auch das bevorzugt einseitig Müllverbrennung) und der TASi nach einem Regierungswechsel hin zu Rot-Grün in Bonn. Schirmer zieht dagegen entnervt das Resümee: „Im Rahmen der K.E.R.N.-Region/Nordregion ist die dringend erforderliche konkrete schnelle Hilfe bei der Auslastung des Kieler MHKW (Man beachte den Euphemismus „Müllheizkraftwerk“ statt des zutreffenderen Begriffes „Müllverbrennungsanlage“ – Red.) nicht zu erwarten.“

Weist diese schriftliche Mitteilung des Umweltdezernenten schon darauf hin, daß es offenbar nur noch daraum geht, die MVA auszulasten, koste es (die Atmosphäre und die schadstoffbelasteten Böden rund um die MVA), was es wolle, statt sich über alternative, umweltfreundlichere Abfallentsorgung Gedanken zu machen, scheint es auch den Grünen inzwischen nur noch um die Auslastung und damit Senkung der Abfallgebühren zu gehen. Obwohl das Gezerre um die MVA seit langem zeigt, daß es sich um ein Auslaufmodell handelt, beantragten die Grünen nicht etwa die Erarbeitung neuer Konzepte, sondern baten den OB, zur September-Ratsversammlung einen Bericht „über die Bemühungen der Verwaltung, die vorhandenen Kapazitäten der beiden MVA-Kessel schon im Jahr 1997 auszulasten“, vorzulegen. Die Auslastung der MVA sei „nach wie vor nicht gegeben, unter dem Aspekt der Abfallgebühren jedoch dringend erforderlich“. Die letzte Gebührenerhöhung in Höhe von 35%, so der grüne Ratsherr Lutz Oschmann, habe die Bevölkerung „sehr verärgert“. Bei einer vollständigen Auslastung von 120.000 t hätte die Erhöhung „nur“ bei 26% liegen müssen. Diese immer noch erhebliche Erhöhung sei der reinen Kreditfinanzierung geschuldet.

Da ein gänzlicher Verzicht auf Müllverbrennung in Kiel nicht auf der Tagesordnung steht, tragen die Grünen in Koalitionsdisziplin mit der SPD „den Kessel politisch mit“, so Lutz Oschmann, „auch wenn wir skeptisch gewesen sind.“ Die bereits bestehenden Beschlüsse der Ratsversammlung (Umweltverträglichkeitsprüfung und Bürgerbeteiligung) zum dritten Kessel, den die Grünen nach wie vor ablehnen, seien aber durch den Aufsichtsrat der MVA noch nicht umgesetzt, das sei ein „Skandal“. „Im Interesse des Stadtklimas“ sei eine „kurzfristige Lösung“, also „möglichst eine volle Auslastung“ erwünscht. Ratsherr Rogacki (CDU) konnte sich somit freuen, „daß die Grünen die Sinnhaftigkeit der MVA endlich erkannt haben“, die CDU werde dem grünen Antrag zustimmen, und zwar „einstimmig“.

Einige Tagesordnungspunkte später stand noch einmal die MVA auf dem Beratungsplan, diesmal deren Jahresabschluß für 1996. Laut Antrag des Umweltdezernenten sollte der Jahresüberschuß auf 179.051,94 DM festgestellt und der Aufsichtsrat und die Geschäftsführung entlastet werden. Um die Entlastung kam es zu einer Debatte, insbesondere wegen eines unerwartet hohen Ölverbrauchs der MVA. Während 1995 45 t Heizöl zugeführt wurden, waren es 1996 466 t statt der vorgesehenen 100 t. Die SUK wollte u.a. deshalb die Entlastung nicht mittragen und verlangte getrennte Abstimmung. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Wulff bezeichnete die MVA als „Ölverbrennungsanlage“. Ganz im Gegensatz zu einem derartigen Ölverbrauch habe die Geschäftsführung der MVA immer gesagt, die neue Anlage brauche kein Öl. Und noch weitere Ungereimtheiten beim Betrieb der MVA wurden bemängelt. So blieben laut Jahresabschluß 1996 vom beabsichtigten Ertrag aus Stromerzeugung (2,50 DM/t) nur 0,04 DM/t übrig. All diese Fragen konnte Schirmer zunächst nicht beantworten, da er nicht im Saal weilte. Er mußte erst hereingebeten werden und war sichtlich nicht vorbereitet. Schirmer zum erhöhten Heizölverbrauch: „In Zukunft fährt die Anlage ohne Heizöl.“ Das Anfahren beim Einbau der neuen Kessel habe zu dem übermäßigen Ölverbrauch geführt. Ihm sei jedoch nicht bekannt, wie es zu der großen Diskrepanz zwischen den für das Anfahren projektierten 100 t und den tatsächlich benötigten 466 t gekommen sei.

Bezüglich Nachfragen zum dritten Kessel gab Schirmer bekannt, daß das Genehmigungverfahren beantragt sei. Dies sozusagen „auf Halde“, nur so könne später im Rat eine eventuelle Beschlußfassung über den 3. Kessel vorbereitet werden. Bezüglich der geplanten Öffentlichkeitsbeteiligung wiegelte Schirmer ab: Sie koste „drei bis mehrere Mio. DM“. Deshalb solle man sie „vielleicht besser zurückstellen“. Es gebe einen „Mittelweg“, eine sog. Freie Öffentlichkeitsbeteiligung, die nur ca. 300.000 DM koste. Der dritte Kessel ist also weiter in Planung. Und man darf gespannt sein, wie die Pyromanen im Rat in Zukunft versuchen werden, lästige Verfahren zur Berücksichtigung des BürgerInnenwillens zu umgehen. (jm)