Saubermänner am Werk

In der Innenstadt gehen Polizisten, wie Betroffene berichten, seit einigen Wochen verstärkt gegen „unerwünschte Personen“ vor. Mit Personenkontrollen und Bußgeldbescheiden „wegen öffentlichen Zechens“ wird versucht, Leute zu vertreiben, die nicht ins Bild der schönen Einkaufsmeile passen. Die Beamten stützen sich dabei auf eine städtische Satzung von Anfang der 90er. Sogar ein Abstinenzler sei mit einem Bußgeld belegt worden, da die Polizisten nicht zwischen einer Kamera und einer Bierdose haben unterscheiden können.

Einige der Betroffenen haben den Verdacht, daß der neue Oberbürgermeister Gansel Urheber der Vertreibungsaktionen ist. Sie riefen deshalb beim zuständigen Revierleiter an, um Aufklärung zu bekommen, wie sie LinX erzählten. Der habe sich aber darauf rausgeredet, daß das ganze nur auf den Übereifer einiger jüngerer Kollegen zurückgehe.

Einer der Gemaßregelten hat sich daher mit einem offenen Brief an die Ratsfraktionen, die Sozialdezernentin und den OB gewandt, den wir im folgenden dokumentieren. (wop)
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 19. August hatte ich in der Holstenstraße ein einigermaßen traumatisches Erlebnis: Beim Trinken eines – meines an diesem Tage zweiten – Bieres wurde ich von einem Beamten der Polizei darauf hingewiesen, daß der Alkoholkonsum in der Kieler Innenstadt per städtischem Erlaß verboten und mit einer Bußgeldandrohung versehen sei. Mir wurde daher ein – bedingtes – Platzverbot erteilt.

Freundlicherweise fand in dem Gartencafé nebenan gerade an mehreren Tischen das statt, was ich als „Saufgelage“ bezeichnen möchte. Der einzige Unterschied zwischen meinem Verhalten und dem der nebenan ihre Biere und/oder Schnäpse trinkenden Menschen bestand darin, daß ich mich mit einem Bier zu 69 Pfennig begnügte, während die Leute nebenan für ihren Halben etwa 5 DM bezahlen mußten.

Ich kann mich daher des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie mit der städtischen Verordnung nichts anderes wollten, als letzlich den ärmeren Teil der Bevölkerung aus dem innerstädtischen Bereich zu vertreiben. „Euer Elend kotzt mich an!, also verzieht Euch gefälligst aus unserer Sichtweite.“

Ich darf Sie daher bitten, entweder die o.a. Verordnung aufzuheben, oder aber aus Ihren Grundsatzprogrammen alle schönen Worte von der Gleichheit der Menschen zu streichen. Dritte Möglichkeit wäre, den Sozialhilfesatz auf etwa das Vierfache zu erhöhen, damit sich auch ein Mensch wie ich ein Bier o.ä. in einem Restaurant leisten kann.

Mit der Ihnen gebührenden Hochachtung
Hans-Georg Pott