Atomwaffen abschaffen!

Veranstaltung der Kieler Friedensinitiativen zum Antikriegstag

In ihrer Veranstaltung zum Antikriegstag 1997 am 1.9. im Legienhof – besucht von rund 60 ZuhörerInnen – konzentrierten sich die Kieler Friedensinitiativen im wesentlichen auf die Frage der weltweiten Ächtung und Abschaffung von Atomwaffen. Die Rechtsanwältin Renate Reupke von der IALANA (Internationale JuristInnen gegen Atomwaffen) berichtete über die im ersten Halbjahr 1997 stattgefundenen Kongresse zu diesem Thema, und Benno Stahn (Hiroshima-AG) skizzierte Verlauf und Ergebnisse der 4. Weltkonferenz der Solidaritätsstädte in Hiroshima und Nagasaki, zu der er als Vertreter der Stadt Kiel entsandt worden war. Im dritten Teil der Veranstaltung hielt Bernd Guß vom SCHIFF (Schleswig-Holsteinisches Institut für Friedensforschung) einen Überblicksvortrag über Fragen der Konversion.

Die Anti-Atomwaffenkongresse in München und im österreichischen Schleiningen, so Renate Reupke, hätten gezeigt, daß die Friedensbewegung „noch recht lebendig“ sei. Innerhalb eines halben Jahres Vorlauf sei es gelungen, im April in München einen internationalen Kongreß mit großem Medienecho zu initiieren. Dieser Kongreß mit dem Friedensnobelpreisträger Joseph Rothblat (Pugwash-Bewegung) als Gallionsfigur bezog sich auf die Göttinger 18. 1957 hatten 18 Atomwissenschaftler in einer Erklärung ihre Mitwirkung an Entwicklung und Bau von Atomwaffen verweigert. Joseph Rothblat sah in dem Ziel, die Atomwaffen zu beseitigen, einen wichtigen Schritt hin zu einer weltweiten Ächtung von Kriegen überhaupt. Als wichtigster Meilenstein wurde das Gutachten des Den Haager Internationalen Gerichtshofes (LinX berichtete) gesehen. Darin wurde sogar der Besitz von Atomwaffen als völkerrechtswidrig beurteilt. Lediglich in der Frage, ob im Falle einer Selbstverteidigung gegen einen übermächtigen Aggressor der Einsatz von Atomwaffen gerechtfertigt sei, hatte der IGH keine Stellung nehmen wollen. In Presseberichten, so Renate Reupke, sei diese kleine Einschränkung ausgeschlachtet worden, um das Gutachten herunterzuspielen. Ziel des Münchner Kongresses war es, den Entwurf einer Atomwaffen-Konvention ähnlich der für C- und B-Waffen voranzubringen. Ein entsprechender Entwurf, erarbeitet u.a. von US-JuristInnen und europäischen NaturwissenschaftlerInnen, wurde auf der letzten Nachfolgekonferenz zum Atomwaffensperrvertrag bereits vorgestellt, weitergehende Beratungen scheiterten aber bisher am hartnäckigen Veto der Atomwaffen besitzenden Staaten, v.a. den USA. Der Münchner Kongreß schloß dennoch hoffnungsvoll gestimmt nach einigen Aktionen gegen den mit bombenfähigem Uran betriebenen Forschungsreaktor in Garching (FRM II) mit einer Resolution, daß die BRD sowohl auf den Besitz von A-Waffen wie auch nukleare Teilhabe im Rahmen der NATO verzichten solle.

Benno Stahns Bericht von der Weltkonferenz in Japan war getragen von den tiefen Eindrücken am Orte der beiden ersten Abwürfe von Atomwaffen. Trotz dieser Betroffenheit sparte Stahn aber nicht mit kritischen Bemerkungen über die NATO-Osterweiterung. Zwar sehe die NATO „keine Notwendigkeit“, in den neuen NATO-Staaten Atomwaffen zu stationieren, was der Friedensbewegung „etwas Luft“ gebe, Alternativen zu entwickeln, jedoch gebe es in der NATO immer noch die Erstschlagsdoktrin. Überdies erläuterte Stahn, wie wichtig Organisationen wie die Städtesolidarität mit Hiroshima und Nagasaki seien. Bei der Lösung der globalen Probleme komme den Städten, in denen ein Großteil der Weltbevölkerung lebt, eine entscheidende Bedeutung zu, weil sich gerade in ihnen die Probleme am konzentriertesten zeigten. Wichtig seien solche Partnerschaften auch, um neben offiziellen Regierungskonsultationen Beratungsstrukturen zu entwickeln, die Regierungen auch unter Druck setzen könnten. Wie gespalten jedoch selbst in Japan, das inzwischen über 200.000 Atombombenopfer (Tod durch Spätfolgen eingeschlossen) zu beklagen hat, die Haltung zu Atomwaffen ist, zeigte Stahn an einem aktuellen Beispiel. Am Rande der Weltkonferenz war es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Oberbürgermeister Hiroshimas und dem Ministerpräsidenten Hashimoto gekommen. Der OB hatte den wenige Wochen vorher stattgefundenen subkritischen Atomtest (1) der USA verurteilt, während Hashimoto entgegnete, der Friede im pazifischen Raum werde auch durch den Atomschirm der USA garantiert. Gerade vor dem Hintergrund solcher Äußerungen befürchtet die japanische Friedensbewegung z.Z. akut die Stationierung von US-Atomwaffen auf dem Stützpunkt Okinawa. Die Weltkonferenz endete mit einer umfangreichen Abschlußerklärung, in der neben der Abschaffung von Atomwaffen auch ein Verbot für Landminen und die Förderung von Konversion gefordert wurde.

Über das Bemühen zur Abschaffung von Atomwaffen hinaus wies der Vortrag von Bernd Guß. Die FriedensforscherInnen stellen fest, daß die Militärausgaben zwar weltweit reduziert werden, mit den verbleibenden Mitteln jedoch regional (z.B. im Konflikt zwischen Griechenland und Türkei) weiterhin aufgerüstet wird. Selbst wenn die Zahl der Waffen sinkt (um 13% in den letzten 10 Jahren), werden sie immer „effektiver“. Es finde also zwar keine quantitative, dafür aber eine qualitative Aufrüstung statt. Die Rüstungsindustrie, diagnostizierte Guß, versuche, ihre Gewinne durch immer teurere Rüstungsprojekte und v.a. durch verstärkte Exportbemühungen zu halten. Die Orientierung auf zivile Geschäftsfelder sei bei Rüstungsunternehmen nach wie vor gering. Im Falle zurückgehender Absatzchancen für Rüstungsgüter würden eher Betriebsteile abgebaut, als Bemühungen um Konversion eingeleitet. Auf Bundesebene fehle vollständig der Wille zur Konversion. Im Gegenteil fördere die Bundesregierung die Rüstungsindustrie durch die Diskussion über angeblich zu restriktive Exportbestimmungen. Ferner würden Bundeswehrliegenschaften viel zu zögerlich für eine zivile Nutzung freigegeben. Das immer wieder vorgebrachte Arbeitsplatzargument entkräftete Guß damit, daß es nur etwa 180.000 unmittelbar mit Rüstungsproduktion zusammenhängende Arbeitsplätze gebe. Lediglich durch deren starke regionale Konzentration komme es zu Strukturproblemen. Um wirkungsvoll Konversion betreiben zu können, müßten, so Guß, „Tabus gebrochen“ werden. Deutlich werde dies etwa an dem Lamento um den Abbau der Marine in Kiel. Es werde krampfhaft an den Standorten festgehalten, anstatt zu erforschen, welche positiven Impulse für die Region von dem Truppenabbau ausgehen könnten. Für Konversion müsse regional ein „konversionsfreundliches Klima“ geschaffen werden, nur dann sei diese als umfassende Strukturmaßnahme erfolgreich. Stattdessen bemühe sich der OB Norbert Gansel um ein „gutes Verhältnis zur Marine“.

In der den Vorträgen folgenden Diskussion zeigte die Kieler Friedensbewegung dann allerdings trotz aller Einsichten wieder ihre Zahnlosigkeit. Die Veranstalter hatten beabsichtigt, durch eine von der Versammlung zu beschließende Resolution an den OB den früher vom Rat gefällten Beschluß, Kiel zur atomwaffenfreien Zone (bei der Kieler Woche immer wieder durch anwesende Schiffe mit A-Waffen an Bord gebrochen) zu erklären, zu bekräftigen. Die ebenfalls anwesende Stadtpräsidentin Silke Reyer (SPD) sah sich daraufhin zur Intervention genötigt. Man solle lieber das Gespräch mit dem OB suchen, um ihm „Ihre Sorgen“ zu unterbreiten. Eine derartige Resolution bringe nicht viel, weil sich der Rat wegen der bereits bestehenden Beschlußlage nicht noch einmal mit der Sache beschäftigen werde. Sofort auf diesen Vorschlag eingehend wurde daher keine Resolution verabschiedet, sondern man begnügte sich damit, vielleicht irgendwann mal den OB einzuladen. Ob der Marinefreund Gansel sich von den Friedens-Inis bitten lassen wird, wird sich zeigen. (jm)
 

(1) Bei einem subkritischen Atomtest wird die nukleare Explosion nur eingeleitet, aber kurz vor der Kettenreaktion abgebrochen. Die Militärs führen solche Tests durch, um Daten für eine EDV-Simulation von Kernexplosionen zu gewinnen. Subkritische Tests sind zwar durch das Teststopabkommen aus dem letzten Jahr nicht verboten, verletzen aber, so Kritiker, den Geist des Abkommens. Der Weltkongreß setzte sich in einer Abschlußerklärung daher auch für das Verbot der subkritischen Atomtests ein. Da es bei ihnen zu einer „kleinen“ Explosion kommt, sind sie ebenso wie wirkliche Tests durch seismische Messungen weltweit verifizierbar.