Mitbestimmung im Betrieb – gibt es sie überhaupt?

„Selbst wenn im Aufsichtsrat der Unternehmer die Hälfte, ja sogar mehr Vertreter der Arbeitnehmer säßen, so änderte das nichts daran, daß die Unternehmen in kapitalistischem Besitz unter kapitalistischer Konkurrenz nach dem Profitinteresse verwaltet werden. (...) Die Rechte, die der Staat den Beschäftigten durch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)/Personalvertretungsgesetz zubilligt, erweisen sich ebenfalls täglich als völlig unzureichend.“ So zusammengefaßt der Standpunkt eines Mitgliedes der Arbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft, die über dieses Thema beim letzten Treffen am 28.7. diskutierte.

Ja, aber ... war die Antwort. Und dabei kam die Debatte dann im Wesentlichen auf die untere Ebene nämlich das BetrVG. Und seine Möglichkeiten. Als Grundlage lag eine Vorlage aus der PDS-Bundestagsgruppe zur Novellierung des BetrVG aus dem Jahre 1993 vor. (Nachfragen haben ergeben, daß durchaus geplant sei, daran weiterzuarbeiten, und daß es auch schon neuere Vorschläge gebe, aber es fehlte bisher die Zeit.) Als weiteres wurde referiert aus einem Diskussionsbeitrag von Gerd Siebert: „Betriebsverfassung – Fuß in der Tür zur Betriebsdemokratie!?“ ebenfalls aus der PDS-Bundestagsgruppe.

Ja, völlig unzureichend sind die Mitbestimmungsrechte in den Betrieben, da waren sich die Teilnehmer wohl einig. Aber, wo wären wir ohne das Betriebsverfassungsgesetz. Erstens wird dadurch überhaupt die Möglichkeit geschaffen, Betriebsräte zu wählen, die laut eben des Gesetzes die Aufgabe haben, die Einhaltung von Gesetzen, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, und Betriebsvereinbarungen zugunsten der Arbeitnehmer zu überwachen (§ 80 Abs. 1, Allgemeine Aufgaben). U.a. heißt es hier auch in Abs.1, 2a: „die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern (...) zu fördern“. In Absatz 2 heißt es: „Zur Durchführung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz ist der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu unterrichten.“ Mit diesen Aufgaben haben Betriebsräte schon viel zu tun. Bloß, da kommt es auf die Betriebsräte an, ob sie diese Dinge aktiv wahrnehmen, sich die Zeit erkämpfen die Gesetze kennenzulernen, dann sich die Einsicht in Unterlagen zu erstreiten usw. In den meisten Betrieben funktioniert das alles nicht „automatisch“; ebenso wie, immer häufiger, Gesetze von den Unternehmen nicht beachtet werden. (Hier stellten wir in der Debatte einen Unterschied zwischen Personalvertretung und Betriebsrat fest, nämlich, daß die gesetzlichen Regeln im Öffentlichen Dienst im Allgemeinen eher „automatisch“ eingehalten werden).

„Mitbestimmungsrecht“ besteht laut § 87 z.B. bei Fragen der Arbeitszeit; bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die Verhalten und Leistung der Beschäftigten kontrollieren; in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung. Auch bei den Mitbestimmungsfragen kommt es auf die Politik des jeweiligen Betriebsrates an, ob er Betriebsvereinbarungen vorschlägt und wie leicht ein Betriebsrat nachgibt. Als letztes Beispiel: Die in § 79 geregelte Geheimhaltungspflicht wird oft zu weitgehend ausgelegt (manchmal von den Betriebsräten selbst). Darin ist nämlich „nur“ davon die Rede, daß Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die vom Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet wurden, nicht zu offenbaren sind. Diese Verpflichtung gilt ausdrücklich nicht innerhalb des Betriebsrates.

Letzteres gehört zu den Punkten, zu denen das PDS-Papier eine konkretere Formulierung fordert. Weitere Forderungen/Vorschläge sind dort:

Zuerst eine allgemeine Anpassung an die Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft; Stichpunkte dazu: Umweltschutz, Flexibilisierungsstrategien der Unternehmen, neue Techniken, Gleichstellung der Frauen und das Verlangen nach Mitbestimmung und Beteiligung sowie Abbau von autoritären Komandostrukturen. Es wird eine Einführung basisdemokratischer Strukturen gefordert (Arbeitsgruppen der Beschäftigten); Erweiterung der Aufgabenbereiche in § 80 und Erweiterung der Mitbestimmungsrechte in § 87, so daß der Betriebsrat in allen sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten der im einzelnen aufgeführten Bereichen Mitbestimmungsrecht hat. „Das bedeutet, daß Entscheidungen über wesentliche Veränderungen seiner vorherigen Zustimmung bedürfen.“

Zu § 102 wird generelles Widerspruchsrecht des Betriebsrates bei Kündigung gefordert sowie eine vorherige Unterrichtung des Betriebsrates bei Änderungskündigungen.

Zum Schluß möchte ich aus dem Beitrag von Gerd Siebert zitieren, weil die Anwesenden AG-Mitglieder das unterstützen konnten:

„Demokratie bedarf immer der bewußten Gestaltung. Ich meine, daß unter den kapitalistischen Bedingungen der Bundesrepublik das Betriebsverfassungsgesetz einen ernstzunehmenden Ansatz für die Demokratisierung der betrieblichen Wirklichkeit bieten kann. (...) Falsch sind nach meiner Meinung Auffassungen, die in diesem Gesetz nur die sozialpartnerschaftlichen Seiten sehen, (...) da steht noch eine ganze Menge mehr drin. (...) Die tägliche Mißachtung seiner Bestimmungen durch die Unternehmer, die Zehntausenden von Arbeitsgerichtsprozessen (...) beweisen das.

Und gerade in den neuen Bundesländern wird jeden Tag durch Willkür und Mißachtung exemplarisch vorgeführt, wie sehr den Kapitalisten dieses Gesetz zuwider ist – aber auch, daß dem Kapital abgerungene Arbeitnehmerrechte nicht reichen, nur auf dem Papier stehen bleiben, wenn nicht dauernd um ihre Durchsetzung gekämpft wird. (...) Mutige und ideenreiche Betriebsräte können selbst das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit (...) gegen den Unternehmer wenden, indem sie ihm immer wieder seine willkürlichen Entscheidungen im betrieblichen Alltag als Vertrauensbruch im Sinne des Gesetzes vorwerfen und so Belegschaften für notwendige Auseinandersetzungen sensibilisieren helfen. In diesem Zusammenhang wird nach meinem Empfinden auch deutlich, daß die eingeforderte Demokratisierung der Betriebe eine kapitalismuskritische, gesellschaftsverändernde Forderung ist; denn systemgerecht ist die Alleinbestimmung des Kapitals, nicht die Mitbestimmung der auszubeutenden Subjekte.“

Ein Beispiel, wie wenig sich Untenehmen/Konzerne um Gesetze und Mitbestimmung scheren ist die Firma Möbel Unger, die es vorerst geschafft hat, den Gesamtbetriebsrat von einem Tag auf den anderen zu beseitigen. Dazu inhaltlich mehr in einer der nächsten Ausgaben der LinX. (brg)