„Schiene, Gleis und Schraube bricht“

Aktionswochenende in Krümmel

Es waren nicht die erhofften 5.000 Atomkraftgegner, die da am 20. zur Kundgebung nach Geesthacht an die Elbe gekommen waren, aber immerhin 2.000 bis 3.000. Sie waren einem Aufruf norddeutscher Initiativen zu einem Aktionswochenende am Leukämiereaktor Krümmel gefolgt, der außerhalb des Städtchens am Elbufer steht. Unter den Demonstranten waren auch viele Wendländer, doch auf die Trecker der Bäuerlichen Notgemeinschaft wartete man vergebens. Mais- und Kartoffelernte stünden an. Aus der angekündigten Aktion mit den von Glogowskis (niedersächsischer Innenminister, SPD) Rambos während des letzten Castor-Transports zerstochenen Reifen wurde also nichts.

Dafür war eigens aus dem französischen La Hague ein Atomkraftgegner angereist, um den Versammelten von dem örtlichen Widerstand zu berichten. (Die abgebrannten Brennelemente aus Krümmel werden regelmäßig nach La Hague oder ins britische Sellafield zur Wiederaufarbeitung geschickt.) In den 80er Jahren habe man sich in La Hague sehr geärgert, weil es in Deutschland keinen Widerstand gegen die Transporte nach Frankreich gegeben habe. Jetzt sei man allerdings froh, daß sich endlich etwas rege. Gegen die Transporte sein, spielte er auf die Wiederaufarbeitungsanlagen an, die in Frankreich Plutoniumfabriken genannt werden, heißt gegen die Plutoniumproduktion sein.

Ein weiterer Kundgebungsbeitrag kam von Renate Backhaus, die seit Jahren gegen die Verwendung eines neuen Brennelementetyps in Krümmel klagt. Sie machte aus ihrer Enttäuschung über die Kieler Koalitionsregierung und ihre eigene Partei (Bündnis 90/Die Grünen) keinen Hehl und erinnerte noch einmal an die unsägliche Stellungnahme des Energieministeriums, die im Herbst letzten Jahres die Wiederinbetriebnahme des Reaktors ermöglicht hatte. Ihr Fazit: Es nütze nichts eine „rot-grüne“ Regierung zu haben, „wir gehören wieder auf die Straße. Die Politik wird es nicht richten.“ Die nächste Runde in ihrem Prozeß beginnt am 29.10. in Schleswig.

So eingestimmt begab sich ein Teil der Demonstranten zu einem Inspektionsgang auf die Gleise, während andere einen Spielplatz bauten oder an einer Verpackungsaktion von Gleisanlagen teilnahmen. An einigen Stellen wurden die Schienen gelöst und unterhölt. Die zahlreich vertretene Polizei reagierte größtenteils aggressiv und planlos und versuchte hin und wieder, Leute festzunehmen. Insgesamt gab es an dem Wochenende 39 Festnahmen. Am Montag konnten die erstaunten Atomkraftgegner in der Zeitung lesen, es habe einen „schwarzen Block“ bei den Aktionen gegeben. Wo der sich im Gewusel auf den Schienen gebildet haben soll, werden nur die „Abendblatt“-Journalisten wissen.

Ein Teil der Demonstranten – irgendwas zwischen 500 und 1.000 – verbrachte Abend und Nacht in einem Camp unweit des AKW, das hauptsächlich von Hamburger Gruppen auf die Beine gestellt worden war. Mehrere Bands hielten die Leute bei Laune.

Am Sonntag ging es dann wieder auf die Schienen. Unmittelbar vor dem AKW fand in einem kleinen Waldstück die Aktion „Ausrangiert“, eine öffentliche Schienendemontage, statt. Die Teilnehmer hatten sich darauf in Kleingruppen vorbereitet. Das Konzept dieser Aktion, die als ziviler Ungehorsam verstanden wird und bereits an verschiedenen Standorten durchgeführt wurde, besteht darin, einen bewußten Gesetzesverstoß zu begehen, ohne die Konfrontation mit der Polizei zu suchen. Dabei wird durchaus eine Festnahme in Kauf genommen. Dazu kam es dann allerdings nicht. Die Polizei drängte lediglich die Demonstranten von den Schienen – z.T. wiederum sehr aggressiv – nachdem diese die bereits einige Zeit bearbeitet hatten.

Das Aktionswochenende endete schließlich mit einer Abschlußkundgebung vor dem AKW-Tor und einem Konzert im Camp. Damit sind die Aktionen gegen Atommülltransporte aus dem Skandalmeiler aber noch nicht zuende. Im Gegenteil: Das Wochenende diente u.a. zum Auftakt der Kampagne „NiX mehr“, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Transporte bundesweit zu behindern. Beim nächsten Transport aus Krümmel sollen überall zwischen Geesthacht und der französischen Grenze Leute an der Route auf die Schienen gehen. In vielen Orten bereiten sich bereits Gruppen auf diesen Tag X vor, der aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr sein wird. (wop)