Sozialhilfe: Lübecker Modell rechnet sich nicht

Auf diese kurze Formel lassen sich die Ausführungen von Sozialdezernentin Bommelmann in der Sitzung des Sozialausschusses am 25.9. bringen. Zur Debatte stand der von der August-Ratssitzung überwiesene Antrag der CDU-Fraktion, das sog. „Lübecker Modell“ auch in Kiel anzuwenden, um im kommenden Haushalt Geld zu sparen (LinX berichtete in Ausgabe Nr. 18).

Das „Lübecker Modell“ beinhaltet einen Arbeitszwang für SozialhilfeempfängerInnen. Von diesem Arbeitszwang, so vor allem die veröffentlichte Meinung - seien viel SozialhilfeempfängerInnen in der „Erstberatung abgeschreckt worden. Sie hätten ihre Anträge auf Sozialhilfe zurückgezogen. Insgesamt 11 Mio. DM könnten so jährlich im Lübecker Sozialhaushalt gespart werden. Kiels Sozialdezernentin Bommelmann legte dagegen ganz andere Zahlen vor. Zwar habe die GAB (das ist das Lübecker Pendant zur KIBA – nämlich die sog. „Gemeinnützige Gesellschaft für Ausbildung und Beschäftigung“) beziffert, daß sich 290 Personen innerhalb von vier Monaten nicht weiter um Sozialhilfe bemühten, nachdem sie auf die Arbeitspflicht gegen Mehraufwandsentschädigung in Höhe von 2 DM pro Stunde hingewiesen worden seien (Auf Grundlage dieser Zahlen errechnete die GAB die jährliche Einsparung von 11 Mio. DM. Diese 11 Mio. DM setzen sich zusammen aus geschätzten 960 „abgeschreckten SozialhilfeanwärterInnen“ pro Jahr, die einen Anspruch auf monatlich 860 DM haben, zuzüglich einer Pauschalen von durchschnittlich 16% für einmalige Beihilfen pro Jahr.

Völlig ungeklärt sei aber, warum die GAB davon ausgehe, daß der Hinweis auf die Arbeitspflicht ausschlaggebender Faktor für die Nichtweiterverfolgung der Anträge gewesen sein sollten. Es gäbe aus Lübeck keinerlei exakte Zahlen. Für Kiel ließen sich (dank der Einführung der computerisierten Datenerfassung) dagegen genaue Zahlen ermitteln. Demnach seien z.B. im Juni 113 Anträge auf Sozialhilfe abgwiesen worden. 76 aufgrund des Vorhandenseins von Einkommens seitens der AntragstellerInnen, 37 wegen anderer Gründe, z.B. aufgrund des Hinweises auf die Arbeitspflicht, aber auch aufgrund von Hinweisen bezüglich der notwendigen Anrechenbarkeit von Vermögen, bezüglich der Anrechnung von Kraftfahrzeugen oder Lebensversicherungen. Wenn die Ergebnisse der Kieler „Erstberatung“ bei Antragstellung entsprechend der Lübecker Vorgehensweise in DM umgerechnet werden würden, so ergäben sich für die Stadt Kiel aus dieser Erstberatung schon allein Einsparungen von ca. 16 Mio. DM pro Jahr, so Frau Bommelmann.

Die schriftlichen Ablehnungen für Sozialhilfebezug in Kiel bestätigen nach ihren Aussagen, daß nur ca. 2% der potentiellen SozialhilfebezieherInnen durch den Hinweis auf die Arbeitspflicht abgeschreckt worden seien.

Finanziell unrentierlich

Vor allem aus Sicht eines kommunalen Haushaltes sei das Lübecker Modell völlig unpraktikabel, so Frau Bommelmann. Um 250 SozialhilfeempfängerInnen Arbeitsplätze für 2 DM Mehraufwandsentschädigung nach dem Lübecker Modell zu organisieren, sei ein Kostenaufwand in Höhe von ca. 7,17 Mio. DM erforderlich, einschließlich der notwendigen Einstellung von 22 AnleiterInnen und fünf SozialpädagogInnen. Dabei handelt es sich um Kosten, die sich nicht refinanzieren. D.h., daß die SozialhilfeempfängerInnen nach der Beendigung der Maßnahme wieder zu 100 Prozent dem städtischen Haushalt zur Last fallen.

Dagegen sei die Beschäftigung von 250 SozialhilfeempfängerInnen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nur unwesentlich teurer. Aufgrund von unterschiedlichen Förderungstöpfen im Land (Programm: Arbeit für SH) und verschiedener EU-Töpfe würden 250 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen in Kiel nur Kosten in Höhe von ca. 9,5 Mio. DM verursachen. Zudem seien diese Kosten refinanzierbar. Denn ehemalige SozialhilfeempfängerInnen, die mindestens ein Jahr sozialversicherungspflichtig beschäftigt worden sind, erwirken mit dieser Beschäftigung auch Anspruch auf Arbeitslosengeld und später auf Arbeitslosenhilfe, so daß sie nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen sind. Schlimmstenfalls sei die nicht so teure „ergänzende Hilfe“ erforderlich. Letztendlich bedeute dies eine starke Entlastung der städtischen Ausgaben für Sozialhilfe.

Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung entlastet den Haushalt

Dieses Vorgehen, so die Sozialdezernentin, sei aus haushaltspolitischer Sicht allemal wirtschaftlicher als das Lübecker Modell, da es gelinge, „kostenträchtige Fälle aus dem Sozialhilfehaushalt hinauszukriegen“. Bommelmann selbst bezeichnete diese Art der Senkung der Sozialhilfekosten durch die Stadt als „Verschiebebahnhof in der Finanzierung“, da nicht mehr die Kommune, sondern der Bund durch die Bezahlung von Arbeitslosengeld und später Arbeitslosenhilfe zur Alimentierung von Personen herangezogen wird, die nicht in den ersten Arbeitsmarkt integrierbar seien. Tatsächlich ist genau dies auch die Intention des Landesprogrammes mit dem verklärenden Titel „Arbeit für Schleswig-Holstein“ (LinX berichtete).

Gerade bei der KIBA wird dieses Anliegen dadurch deutlich, daß in erster Linie Ein-Jahres-Arbeitsplätze angeboten werden sollen, die zum späteren Bezug von Arbeitslosengeld berechtigen. Im Programm „Arbeit für Schleswig-Holstein“ werden dagegen wenigstens Zwei-Jahres-Arbeitsplätze favorisiert. Zudem wird der geringe „KIBA-Tarif“ dazu führen, daß Arbeitslose, die ein Jahr beschäftigt gewesen sind, zusätzlich zum Anspruch auf Arbeitslosengeld (spätestens nach einen halben Jahr nach dem Abrutschen in die Arbeitslosenhilfe) auch Ansprüche auf ergänzende Sozialhilfe haben. Gleichwohl, so Bommelmann, sei dies allemal billiger als eine Vollfinanzierung. Von den ca. 20.000 SozialhilfeempfängerInnen in Kiel gehören nach Aussagen der Sozialdezernentin 3.217 Personen zu dieser „kostenintensivsten Gruppe“ der SozialhilfeempfängerInnen im erwerbsfähigen Alter, die keinerlei Ansprüche auf andere Leistungen haben.

Auch NEULAND hat sich verrechnet

Dr. Wall von der KIBA kritisierte in Anschluß an Bommelmanns Ausführungen die öffentlichen Bewertungen des NEULAND-Konzeptes des Kreises Plön. Mit Hilfe eines privaten Dienstleistungsunternehmen versucht der Kreis Plön, SozialhilfeempfängerInnen direkt in den ersten Arbeitsmarkt zu reinitegrieren. In den Medien werde - so Dr. Wall - eine Erfolgsquote von 60% gemeldet. Richtig ist dagegen, daß von den 268 HilfeempfängerInnen, die 1995/96 von dem Kreis Plön bei NEULAND gemeldet wurden, nur 176 nach dem vierwöchentlichen „Informationsseminar“ bei NEULAND blieben. Bis zum 31.12.1996 sind 108 Personen aus dem Programm ausgeschieden, davon konnten 60 Personen in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Hierauf beziehe sich offensichtlich die beachtliche Prozentzahl von 60 Prozent. Würde dagegen die Erfolgsquote von den ursprünglichen 268 Arbeitssuchenden aus errechnet, läge diese nur bei ca. 23 Prozent. Zudem sei die Hälfte der 60 erfolgreichen Anstellungen in Kiel erfolgt. Kiel selbst könne natürlich nicht im gleichen Umfang Arbeitskräfte ins Umland exportieren, so daß eine einfache Übernahme des NEULAND-Konzeptes nicht zu ähnlichen Vermittlungsquoten führen würde.

Insgesamt, so Dr. Wall, arbeite die KIBA mit ähnlichen Konzepten, wie sie im Lübecker Modell und bei NEULAND betrieben würden. So sei z.B. bei den KIBA-Beschäftigungsverhältnissen ein ein-monatiges Einführungsmodell vorgeschaltet, bei dem nur eine Mehraufwandsentschädigung gezahlt werde. Auch die Direktvermittlung in den ersten Arbeitsmarkt würde verstärkt betrieben. So gebe es schon mit zwei Kieler Firmen Verträge, zudem würden entsprechende Verhandlungen mit der Handwerkerschaft geführt.

Angesichts dieser Zahlen mutmaßte selbst Ratsherr Arno Witt (CDU) bei der anschließenden Debatte des CDU-Antrages zur Senkung der Sozialhilfekosten, „daß der Antragsteller (sein Fraktionsvorsitzender Arne Wulff – die Red.) den Zahlen von NEULAND aufgesessen ist“: „Ich würde die Beschlußfassung über den Antrag für entbehrlich halten“, resümierte der Jung-Politiker von der CDU resignierend.

Gleichwohl forderte der Ausschuß von Sozialdezerntin Bommelmann, konkretere Zahlen vorzulegen. Dabei hat v.a. das kostensparende Modell „Sozialversicherungpflichtige Beschäftigung“ die Aufmerksamkeit der Ausschußmitglieder erregt. Dies müsse genauer durchgerechnet werden. Angesichts der vom Oberbürgermeister übernommenen Devise, im Sozialhaushalt zu sparen, erscheint dieses Modell tatsächlich mittelfristig einen Ausweg aus dem Dilemma zu bieten, Beschäftigung zu schaffen und Kosten zu senken. Allerdings bleibt es unter dem Primat des „Sparens“ dabei, daß die Beschäftigung wenig qualifiziert und vor allem zeitlich auf ein Jahr befristet bleibt, letztlich also nur der „Verschiebebahnhof in der Finanzierung“ zu Lasten des Bundes perfektioniert wird. (usch)