Der geplatzte Traum von der „großen Steuerreform“

Nach dem Scheitern, eine „Steuerreform“ auf den Weg zu bringen, hat sich wieder gezeigt, daß die bürgerlichen Parteien nicht in der Lage oder gewillt sind, irgendwelche Probleme zu lösen. Wir müssen sie deshalb an ihrem eigenen Anspruch, daß die vorgesehene Steuerreform Arbeitsplätze schaffen könnte, messen. Die gegenwärtige Diskussion geht davon aus, daß die Steuerbelastung der Unternehmen zu hoch ist und deshalb die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt wird. Im Rahmen dieser Diskussion wird in erster Linie auf die Höchststeuersätze abgestellt.

Internationaler Gesamtbelastungsvergleich für 1995 in % des Bruttoinlandsprodukts; Zahlen in Klammern einschließlich Sozialabgaben
 
 

Dänemark 
49,7
(51,4)
Belgien  
31,1
(46,8)
Niederlande 
26,6
(45,4)
Spanien     
22,5
(34,8)
Japan   
18,1
(27,8)
Schweden 
37,3
(51,5)
Italien   
27,8
(40,7)
Frankreich  
25,3
(44,6)
England    
28,2
(34,9)
USA       
 20,6 
(27,6)
    
 
(Quelle: Eurostat und OECD)

In Deutschland lag die Steuerbelastung 1995 unterhalb des EG-Durchschnitts, die Abgabenbelastung lag mit 0,9 Punkten über dem Durchschnitt. Die Steuerquote betrug im Jahre 1933 übrigens 23%. Wenn man bedenkt, daß die staatlichen Aufgaben seit den 30er Jahren mit Sicherheit zugenommen haben und daß insbesondere die Folgen der Wiedervereinigung mit Hilfe staatlicher Transferleistungen zu bewältigen sind, dann ist die Behauptung über eine zu hohe Gesamtsteuerbelastung verlogen.

Die Höchstsätze der Einkommensteuer einschließlich Zusatzsteuern betrugen 1996 in %
 
 
Dänemark  
62
Schweden
56
Japan
65
Frankreich
57
Deutschland
50 (Ost) 52 (West)
USA
35?
Spanien
56
England
40
Italien
67

 Fachleute gehen davon aus, daß sich Deutschland im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld befindet. Bezweifelt wird auch die Behauptung, daß sich ausländische Unternehmer, die über Investitionen in Deutschland nachdenken, allein wegen der Höchststeuersätze von Investitionen abschrecken lassen.

Angebliches Hauptmotiv der großen „Steuerreform“ ist die Ankurbelung der Wirtschaft, insbesondere die Verminderung der Arbeitslosigkeit. Der Spitzensteuersatz soll deshalb für die Einkommensteuer auf 39% bzw. 35% für gewerbliche Gewinne abgesenkt werden. Stärker begünstigt wären Ledige mit steuerpflichtigem Einkommen über 90.000 DM als die Verheirateten, wegen Minderung der Steuerprogression. In dem Einkommensbereich von 40.000 bis 90.000 DM vergrößert sich der Vorteil des Splittingverfahrens.(1) Insgesamt steigt die Steuerentlastung mit steigendem Einkommen. Würde die vorgesehene Nettoentlastung (30 Mrd. DM) voll in den privaten Verbrauch fließen, was natürlich nicht vorgesehen ist, erhöht sich der Privatverbrauch(2) gegenüber 1995 nur um 1,5%. Gleichzeitig, ohne Gegenfinanzierung, würde der Staatsverbrauch um den gleichen Betrag sinken. Da die höheren Einkommen(3) stärker entlastet würden, kann man davon ausgehen, daß die Nettoentlastung teilweise ins Ausland fließt, oder angelegt wird. Vorstände von Aktiengesellschaften, Freiberufler (Architekten, Ärzte, Steuerberater, Rechtsanwälte &c.) sowie Bundespräsident, Bundeskanzler und Ministerpräsidenten und ihre Minister schaffen nur wenig bzw. keine Arbeitsplätze. Die Entlastungen der unteren Einkommensschichten gehen wohl hauptsächlich in den Konsum.

70% der Arbeitsplätze befinden sich in kleineren und mittleren Betrieben. Eine Zunahme von Arbeitsplätzen wäre deshalb, wenn überhaupt, nur in diesem Bereich möglich. Allerdings beträgt hier die Nettoentlastung bei einem steuerpflichtigem Einkommen bis zu 100.000 DM, nur 3.500 bis 4.000 DM. Daß auch größere Gewerbebetriebe keine neuen Arbeitsplätze wegen entsprechender Nettoentlastung schaffen, zeigt sich deutlich an folgenden Fakten. Die Bruttogewinne aus Unternehmen haben sich seit 1985 fast verdoppelt, während die durchschnittliche Steuerbelastung(4) von 18,73% auf 10,95% gefallen ist. Das heißt, daß Nettoentlastungen eher zu weiteren Rationalisierungen und Arbeitsplatzabbau genutzt wurden.

Die SPD und die Bündnisgrünen lehnen die von der Koalition gemachten Vorschläge als unsozial ab. Sie sind u.a. gegen eine Absenkung der Höchststeuersätze, die eh keiner zahlt. Außerdem wollen sie die unteren Einkommensschichten mehr entlasten. Als Gegenfinanzierung ist allerdings eine Erhöhung der Mehrwert- und Einführung einer Ökosteuer vorgesehen. Damit würden dann die Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosen und ArbeitnehmerInnen und ihre Familien die Entlastungen der Reichen und Kapitalisten finanzieren, und das wird dann als sozial und gerecht verkauft.

Ein Schritt in die richtige Richtung ist sicherlich die Senkung der Lohnnebenkosten und die Abschaffung versicherungsfremder Leistungen aus den Sozialversicherungskassen, damit wenigstens die Sozialversicherungsbeiträge nicht ins Uferlose steigen. Die „Steuerreform“ dient aber nur einer weiteren Umverteilung von unten nach oben, und das wird den ArbeitnehmerInnen und ihren Familien, von allen bürgerlichen Parteien, mit verlogenen Argumenten verkauft.
(hg)
 

(1) Die Steuerentlastung liegt hier zwischen 2.500 und 4.500 DM im Jahr.

(2) Privater Verbrauch 1995: 1.972,02 Mrd. DM (Statistisches Bundesamt, Jahrbuch 1996, S. 660).

(3) Bei zu versteuerndem Einkommen von 300.000 DM beträgt die Entlastung zwischen 20.700 und 31.300 DM. Bei einem steuerpflichtigen Einkommen von 2 bzw. 4 Mio. DM war eine Entlastung von 274.000 bzw. 548.000 DM vorgesehen.

(4) 1985: Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen 380,36 Mrd. DM, direkte Steuern 71,24 Mrd. = 18,73 %; 1995: Bruttoeinkomen 742,56 Mrd. DM , direkte Steuern 81,33 Mrd. = 10,95%.