„Ein verdienstvolles Mitglied der Gesellschaft“

Ein Todesfall wirft mal wieder Licht auf ein besonderes Kapitel schleswig-holsteinischer Nachkriegsgeschichte. In der Nacht zum 7.10. starb Hartwig Schlegelberger, Landesminister a.D., nach einem langen, erfüllten Leben, wie es so schön heißt. Er hatte eine standesgemäße Karriere vorzuweisen.

1961 machte der seinerzeitige CDU-Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel Schlegelberger zum Finanzminister, zwei Jahre später wechselte er ins Innenressort, das er bis 1971 behielt. „Mit großem Sachverstand hat er sich“ noch bis 1975 im Landtag „für die Belange der schleswig-holsteinischen Bürgerinnen und Bürger eingesetzt“, wie wir einer Todesanzeige des Landtagspräsidenten Arens entnehmen können. Auch die Ministerpräsidentin findet Worte des Lobes und die Landesbank und der Sparkassenverband und das DRK und ... Die KN dürften 20.000 DM für die Todesanzeigen eigenommen haben.

Den „Sachverstand“ erwarb Schlegelberger in jungen Jahren als Marinerichter bei den Nazis. „Am 22. April 1963 ging beim Kieler Oberstaatsanwalt Dr. Thamm eine Strafanzeige wegen versuchten Mordes ein, die der Göttinger Strafverteidiger Dr. Passow gegen Schlegelberger junior erstattete. Begründung: Der damalige Kriegsgerichtsrat Hartwig Schlegelberger habe Ende 1944 vor einem Feldgericht in Berlin ohne zwingenden Grund beantragt, den damals 20jährigen, von Passow verteidigten, dienstverpflichteten Handelsmariner Robert Teuber zum Tode zu verurteilen. Schlegelberger habe den Antrag dann vor einem weiteren Feldgericht wiederholt.“ (Spiegel, 18/1963)

Passow hatte bereits 1960 den Ministerpräsidenten von Hassel auf diesen Fall aufmerksam gemacht, der jedoch keine Konsequenzen daraus zog. Auch Oberstaatsanwalt Ernst Thamm ließ mitteilen, „daß er keine Veranlassung sieht, einen Antrag auf Aufhebung der Immunität zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu stellen.“ (VZ Kieler Morgenpost, 29.5.1963) Schließlich war Thamm bis 1945 selbst als Staatsanwalt am Sondergericht in Kiel tätig und somit sozusagen Kollege. In einem anderen Fall, der 1963 ans Licht kam, soll Schlegelberger vor einem Berliner Kriegsgericht die Todesstrafe wegen des Diebstahls eines Eßpakets beantragt haben. Auch das focht die Stellung des nunmehrigen Innenministers nicht an.

Schlegelberger ist zwischen Nord- und Ostsee kein Sonderfall. In der ersten bürgerlichen Regierung, die 1950 in Kiel von einer Koalition aus CDU, FDP, Deutsche Partei (DP) und dem Block der Heimatvertriebenenen und Entrechteten (BHE, eine Organisation die nach Auskunft der sozialdemokratischen Landesregierung von 1990 von ehemaligen SS-Angehörigen dominiert war) gebildet wurde, gab es nur ein Mitglied, das nicht einer NS-Organisation angehört hatte. Dies gab später dann auf. Schleswig-Holstein entwickelte sich schnell zum Eldorado für Altnazis. Der BHE hatte als Bedingung für seinen Eintritt in die Koalition den Schluß der Entnazifizierung gefordert. Ein entsprechendes Gesetz wurde schon im November 1950 im Landtag eingebracht und trat bereits im darauffolgenden Jahr in Kraft. Darüberhinaus brachte der Deutsche Wahlblock (CDU, FDP und DP) ein Wiedergutmachungsgesetz für die von Internierung und Entnazifizierung betroffenen Beamten ein. Das ging allerdings selbst der Landesregierung zu weit, weshalb es scheiterte.

Dennoch wurden in Schleswig-Holstein viele ehemalige NS-Funktionäre eingestellt, die anderswo abgelehnt worden waren. Z.B. übernahm Max Timm die Abteilung Arbeit im Sozialministerium. Timm war Mitarbeiter Fritz Sauckels gewesen, der als Generalbevollmächtigter Arbeitseinsatz die Verschleppung von Millionen Zwangsarbeitern nach Deutschland organisiert hatte. 1956 rühmte sich Ministerpräsident Hassel, daß 50% der Stellen im öffentlichen Dienst mit Bediensteten aus der Nazi-Zeit besetzt wurden. Das lag weit über dem westdeutschen Durchschnitt.

Kein Wunder, daß es Leute wie den Euthanasie-Mörder Heyde, der im Lande unter falschem Namen eine zweite Karriere als Gerichtsgutachter machen konnte, nach Schleswig-Holstein zog.

Auch der Vater des Verstorbenen verlegte seinen Wohnsitz in das Nazi-Paradies. Ab 1941 war er Reichsjustizminister gewesen und u.a. dafür verantwortlich, daß der Justizapparat den Euthanasie-Morden der Nazis untätig zusah. Die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte waren von ihm persönlich angewiesen worden, entsprechende Eingaben nicht zu behandeln. 1947 wurde Schlegelberger sen. in Nürnberg zu lebenslänglicher Haft verurteilt, aber schon 1950 wegen Krankheit entlassen. In Schleswig-Holstein wurde er 1951 „entnazifiziert“. Man stufte ihn in Kategorie V (= nicht vorbelastet) ein, womit er Anspruch auf eine Pension erhielt. Ende der 50er versuchte der Landesfinanzminister, ihm die Bezüge streitig zu machen, scheiterte damit jedoch vor mehreren Instanzen. Das Bundesinnenministerium lehnte Anfang der 60er ein Verfahren gegen Schlegelberger sen. mit der Begründung ab, es kenne „keine Einzelheiten über das Verhalten Dr.Schlegebergers, die ein Disziplinarverfahren rechtfertigen würden.“ (Spiegel, 20/61)

Schlegelberger jun. zog es nach dem Fall der Mauer übrigens zurück in seine Geburtsstadt Berlin. Dort half er dem Roten Kreuz, wie dieses stolz verkündet, bei der Reorganisation des Landesverbandes. Schließlich litten die Ossis ja einen eklatanten Mangel an adäquatem Führungspersonal. (wop)

Die Zitate von Anfang der 60er stammen aus der Broschüre „Von der NSDAP zur CDU“ von 1979. Über die Redaktion ist eine Restauflage erhältlich. Außerdem gibt es bei der Landeszentrale für politische Bildung eine lesenswerte Broschüre mit dem Titel „Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein“.