FERIDUN ZAIMOGLU las in der Hansastraße 48 aus „Abschaum“

Grotesken des Elends

„Da im Dreck, da war ich wenigstens wer, da war ich Abschaum“, resümiert Ertan Ongun in der letzten von 35 Stories, die er Feridun Zaimoglu ins Diktaphon gesprochen hat. Zaimoglu hat sich zu seinem Sprachrohr gemacht. Und mit der autorisierten Mission der Kanakster in der Tasche („Bruder, du gibst mir Kraft!“) beschwört er das Wort „Abschaum“ voller Stolz.

Dieser Stolz, mit dem Zaimoglu und seine Figuren auch das Schimpfwort „Kanake“ für sich reklamieren, kommt ohne die Larmoyanz der „Migrantenliteratur“ aus und steht dem Betroffenheitsgesäusel derer, die Kerzen statt Asylantenheime anzünden, ebenso fern. Ertan ist ein Krimineller. Daß er türkischer Herkunft ist, spielt dabei nur insofern eine Rolle, als „in diesem Land soziale Konflikte ethnisiert werden“, sagt Zaimoglu. Das Dasein als Junkie und Gangster ist kein freigewähltes, denn „die Polizei ist nicht der Freund und Helfer von Kanakstern, sie ist die größte Gang in diesem Land“, was die wahren Geschichten bezeugen. Und: „Es ist naiv zu glauben, daß Ausgrenzung des Türken bedarf, sie ist integraler, gewollter Bestandteil der deutschen Gesellschaft.“

In Deutschland hat man in Reih und Glied anzutreten, besonders der „Ausländer“. Entweder als Sündenbock, der Arbeitsplätze und blonde Arierinnen stiehlt, oder – und da unterscheiden sich die „linksliberalen Scheißerchen“, wie Feridun die Wohlmeinenden von der Ausländerbeauftragten bis zum Vertreter der örtlichen Antirassismus-Mini-Ini gerne nennt, nur quantitativ – als bemitleidenswertes Opferlamm. „Der Türke“ ist entweder „Omabeklauer“ oder „netter Ali“ von nebenan, dem übel mitgespielt wird, nur dazwischen kann er wählen, wenn es nach dem Deutschen geht.

Ertan Ongun will sich dem nicht fügen. Ohne die Larmoyanz der „Migrantenliteratur“ und fern vom Betroffenheitsgesäusel derer, die Kerzen statt Asylantenheime anzünden, schreibt Zaimoglu seine Geschichten einer Revolte gegen den Terror der Integration. Und diese Geschichten sind nicht ohne Komik. Wenn Ertan seinen Hamster anfixt, damit der Kunststücke macht, dann haben er und sein Chronist die Lacher ebenso auf ihrer Seite wie bei der „Arschloch-Foto-Story“, wo Bildnisse aus der Hose auf den Urlaubsfilm zweier Discobesucherinnen gelangen. Doch ist Schmunzeln über den Alltag derer, die am Rande der Gesellschaft stehen, aber doch als deren verfemter Teil mitten in ihr, angesagt? Befriedigt Zaimoglu hier nicht nur „den voyeuristischen Tick des Publikums“, wie er in der Diskussion eine mögliche Fehlrezeption à la „Trainspotting“ einräumt? Und geht es ihm nicht wie Ertan, der „nun hier sitzt, und versucht, unsere Intellektuellen zu schocken“ oder die „Faszination Elend“ zu bedienen? Elend als Pop-Ereignis?

„Ich bin nicht der Türkenpopper“, erwidert Zaimoglu. „Die Leute halten es für eine Marketingstrategie, daß man ein Anliegen hat.“ In der Tat, es geht hier eben nicht um die Ausbreitung von Ungeheuerlichkeiten. Für den „Abschaum“ ist das der Alltag, die Groteske des Elends. „Musuruk“ nennen sie die Situationskomik, in deren anarchischem Potential ihre Identität gegen all die Eingemeindungsversuche als Gefährder der „inneren Sicherheit“ wie als Objekt der Begierde der am Helfersyndrom Leidenden bestehen kann.

Schade, daß das vorwiegend aus der (deutschen) linken Szene stammende Publikum dieser Botschaft nicht folgen mochte, sondern die Diskussion dazu benutzte, seine heiligen Kühe weiden zu lassen und den Autor und seinen (Anti-) Helden als Gallionsfigur für das jeweils eigene politisch korrekte Anliegen einzuspannen. (jm)