Kommentar:

Kein Gespenst geht um

Das Sommertheater geht in Bonn inzwischen nahtlos in das Herbst- und Winterkabarett über. 98 oder 99, das ist die Frage bei der Rentendeform. Und die wird heute mit Hüh und morgen mit Hott beantwortet. Im Juni beschloß die Koalition eine Rentensenkung ab 1998 – tschuldigung: Eine Absenkung des Rentenniveaus, was für „Sozial“minister Blüm keine Kürzung bedeutet, so der Tatsachenverdreher. Im September in Andechs besann man sich bei Bier und Brezn darauf, daß ja 1998 ein Wahljahr ist. Auf Betreiben der CSU wurde die potentiell Stimmen kostende Aktion somit auf 99, nach der Wahl, vertagt, sprich ein Wahlbetrug vorprogrammiert. Doch da ist die F.D.P. vor. Ihrem Streben nach „Reform“ sofort gab letzte Woche die CDU nach. Da will aber die SPD nicht mitmachen. Somit bleibt nur die „inakzeptable“ (Kohl) „Lösung“: Erhöhung der Rentenbeiträge auf 21 Prozent.

Der Koalition sind die Ideen zum Stopfen der Haushaltslöcher längst ausgegangen, wenn sie denn jenseits vom Griff in die Taschen der am unteren Drittel der sozialen Pyramide Hausenden je welche hatte. Hektisch wird jetzt ein Loch mit dem nächsten gerissen. Schröders SPD mischte munter mit beim Roulette, bei dem auf keinen Fall die Reichen und Kapitalisten etwas zu verlieren haben. Mehrwertsteuer rauf, kein Problem. Auf die Erhöhung der Mineralölsteuer hatte man in Großer Koalition schon verzichtet. Nur noch wahltaktische Motive bestimmen das Rangieren des Schwarzen Peters auf dem Verschiebebahnhof des Haushalts.

Vergessen wird dabei auch von den „Sozial“demokraten, wie die Haushaltslöcher zustandekommen, die wie eine Naturkatastrophe über die „global players“ aus Bonn hereingebrochen zu sein scheinen. Seit Jahren werden aus den Rentenkassen versicherungsfremde Leistungen bezahlt. Und die einfache Rechnung, daß die von Bonn als Lieblingsprojekt geförderte Arbeitslosigkeit auch immer weniger Beitragszahler verursacht, ist für die Sozialverunsicherer offenbar auch zu kompliziert.

So deformiert man hier und dereguliert weiter dort, hilf- und ideenlos. Auf die Idee nämlich, daß bei den steuerbetrügerischen Reichen mindestens 120 Mrd. zu holen wären, daß der Eurofighter, schickte man ihn endlich in den Vorruhestand, nochmal zweistellige Milliarden brächte, kommt offenbar niemand mehr.

In den Schubladen der vom Rechtsruck ihrer Partei übriggebliebenen grünen Sozialpolitiker und in denen der PDS türmen sich realistische Vorschläge zu einer wirklichen Sozialreform, die ohne Umverteilung von oben nach unten eben nichts weiter bleibt als Hauhaltslochmaskerade. Doch die Schubladen bleiben vernagelt, denn darin lauert das Gespenst, das schon einmal in Europa umging, vor 1989. (jm)