Kein Durchbruch beim Atomtransport aus Krümmel

Der größte deutsche Siedewasserreaktor steht in Krümmel und ist wegen den Schlampereien beim Bau sowie den Leukämiefällen in der Elbmarsch besonders heftig umstritten. Am Dienstag, dem 4.11. startete hier ein Zug mit zwei Atommüllbehältern voll abgebrannter Brennelemente in Richtung Wiederaufbereitungsanlage Sellafield.

In Erwartung dessen hatte sich die Antiatomkraftbewegung vorbereitet: Vom vorhergehenden Freitag an wurde ein Camp vor Ort eingerichtet. Am Wochenende trafen sich dann 500 AtomkraftgegnerInnen zur einer Kundgebung mit anschließendem Schienenspaziergang. Zahlreiche handwerkliche Aktionen fanden statt und setzten sich am Montag, der ursprünglich als „Tag K“ vermutet wurde, fort. Aber auch 600 Polizeikräfte waren im Einsatz. Schon am Samstag wurden 6 Personen festgenommen, und 70 Leute erhielten einen Platzverweis, weil sie auf den Schienen spazierten. Für die Zeit vom 31.10. bis zum 4.11. um 14 Uhr wurde ein Versammlungsverbot auf den Bahngleisen ausgesprochen. Und obwohl die Strecke schon im Vorfeld Tag und Nacht überwacht wurde, gelang es einigen Leuten, einen Schienenabschnitt zu untergraben.

Dienstag früh versperrten 60 AtomkraftgegnerInnen, darunter auch einige KielerInnen, der Antriebslok die Einfahrt zum Kraftwerk und wurden daraufhin nach ca. 40 Minuten in Unterbindungsgewahrsam genommen. Unterbindungsgewahrsam hieß in diesem Falle, daß die Polizei sie so lange festhielt, bis der Transport Hamburg passiert hatte. Erst gegen 14 Uhr verließ der Zug das Kraftwerksgelände und erreichte ca. 30 Minuten später Hamburg-Bergedorf. Dort erwarteten ihn seit den Morgenstunden ca. 70 Demonstrierende, die sich und eine Hundertschaft der Polizei durch Straßenmärsche von einem Bahnübergang zum anderen und zurück warm hielten. Rechtzeitig vor Durchfahrt des Atomzuges wurden sie jedoch abgedrängt. Nur kurzzeitig hielt hier der Transport abrupt an, weil sich vermutlich zwei Personen auf die Schienen warfen.

Eine nennenswerte Behinderung des Transportes fand außerdem am folgenden Morgen in Bengel an der Mosel statt. AtomkraftgegnerInnen blockierten vor einer Steigung die Schienen und betätigten am anhaltenden Zug diverse Hebel, woraufhin eine technische Überprüfung erforderlich war. Um die Steigung nunmehr ohne Schwung zu bewältigen, mußte eine zweite Lok eingesetzt werden. Letztendlich konnte der Transport für 3 1/2 Stunden aufgehalten werden. Allerdings wurden auch 21 Menschen verhaftet.

Auf seinem Weiterweg nach Dünkirchen, von wo aus er nach England verschifft werden sollte, überquerte der Transport bei Appach die Grenze zu Frankreich. Genau an jenem Ort übrigens, wo im Februar diesen Jahres ein Zug mit hochradioaktiven Brennelementen aus dem AKW Lingen entgleiste.

Angesichts der Tatsache, daß auf den letzten Delegiertentreffen der Antiatomgruppen das AKW Krümmel zum Schwerpunkt des nordwestdeutschen Widerstandes erklärt wurde und daß das Oberzentrum Hamburg quasi nebenan liegt, hatte manch eine mit einer höheren Anzahl von Demonstrierenden gerechnet. Ist die magere Beteiligung darauf zurückzuführen, daß der Urlaub schon für Gorleben geopfert wurde, oder haben Presse und Politiker Recht behalten, nachdem sie den AtomkraftgegnerInnen Einseitigkeit und Inkonsequenz vorwarfen, weil diese nur in Gorleben aktiv würden? Waren die meisten Leute noch vom Wochenende müde und durchgefroren, oder hat sich eine allgemeine Frustration eingestellt? Das sind Fragen, mit denen sich die Antiatomgruppen beschäftigen müssen, wenn der Widerstand nicht abflauen soll. Wichtig ist es jedenfalls, nicht in Routine zu verfallen oder gar zu resignieren. Immerhin kann im Vergleich zu vorherigen Atomtransporten in der Elbmarsch von einer Steigerung der Widerstandsaktivitäten gesprochen werden.

Vermutlich ist in den nächsten Monaten mit weiteren Transporten von abgebrannten Elementen aus dem AKW Krümmel zu rechnen. Also: Keine Zeit zum Winterschlaf – einen kriegen wir! (US)