Dokumentiert:

Dem Rüttgers die Hölle heiß machen!

Aufruf-Flugblatt zur bundesweiten Studi-Demo am 27.11. in Bonn

„Es gibt zu viele Studierende ...“

Offensichtlich gibt es Probleme im hiesigen Studierendenalltag. Viele müssen jobben, um sich ihr Studium überhaupt leisten zu können. Der Gedanke, daß ein Studium auch dafür da sein könnte, sich selbst zu bilden und kein Fitneßprogramm für den Arbeitsmarkt ist, kommt vielen auch nicht mehr in den Sinn. Überfüllte Hörsäle und längere Wartezeiten für prüfungsrelevante Seminare gehören offensichtlich sowieso schon unabänderbar zum Studium. Studium nur für Kinder reicher Eltern? In den siebziger Jahren galt es als DIE sozialdemokratische Errungenschaft, Bildungsmöglichkeiten auch für Kinder ärmerer Eltern zu gewährleisten. Chancengleichheit war das Stichwort. Was heute schon viele vergessen haben, war damals zumindest in seiner sozialdemokratischen Variante durchaus gesellschaftlicher Mainstream: Die Marktwirtschaft schaffe soziale Ungleichheiten, die u.a. auch dadurch verstärkt würden, daß ärmere Eltern es sich nicht leisten konnten, ihrem Kind ein Studium zu finanzieren. Soziale Veränderungen seien dadurch faktisch ausgeschlossen. Dem sollte in den 70er Jahren entgegengewirkt werden: Durch BAFöG beispielsweise sollten Kinder unabhängig von der sozialen Situation ihrer Eltern in die Lage versetzt werden, studieren zu können. Der Gedanke der Chancengleichheit – obwohl er an sich keineswegs gegen ungleiche gesellschaftliche Strukturen gerichtet ist – hatte aber immerhin noch zum Prinzip, daß alle die gleichen Chancen haben sollen, in der Gesellschaft einen Platz oben oder unten zu erlangen. Die neoliberale Politik, die gegenwärtig auch die Bildungspolitik bestimmt, hat aber selbst mit diesem Prinzip nichts mehr am Hut.

Der BAFöG-Dahrlehnsanteil wird mittlerweile nach der Regelstudienzeit mit marktüblichen Zinsen belegt. Schuldenberge über 70.000 DM sind so nach Studienabschluß keine Seltenheit. Klar, daß Kinder einkommensschwacher Eltern es sich ganz genau überlegen, ob sie studieren. So erklärt sich auch, daß der Anteil der Studierenden aus den „unteren sozialen Schichten“ in den letzten 10 Jahren von 25% auf 14% zurückging. Diese Tendenz macht im übrigen auch nicht vor den sog. Mittelschichten halt. Ihr Anteil verringerte sich um 6% auf 28%. Die Idee, daß Bildung ein Grundrecht sei und dies daher staatlich zu garantieren ist, wird aber noch anderweitig untergraben. So haben Berlin, Niedersachsen, Bremen und Baden-Württemberg begonnen, verkappt Studiengebühren einzuführen. Auch hier wird weiter an einem sozialen Selektionsmechanismus gefeilt. Mit Studiengebühren wird im übrigen auch demnächst in den anderen Bundesländern zu rechnen sein. Die von CDU und SPD verabredete Änderung des Hochschulrahmengesetzes wird ein Verbot der Einführung von Studiengebühren nicht vorsehen, obwohl die SPD lauthals angekündigt hatte, dies durchzusetzen. Bayern hat schon als erstes Bundesland erklärt, die Studiengebühren einzuführen. Es bleibt abzuwarten, wann dann die anderen Bundesländer nachziehen ...

„Für das Kapital ...“

Die vorherrschende Bildungspolitik richtet sich mittlerweile nur noch nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes. Hochschulen sollen zum einen dem Arbeitsmarkt qualifizierte Menschen zuführen und zum anderen Forschungsarbeiten für die Industrie leisten. So wird Bildung dem Primat der Standortpolitik untergeordnet. In diesen Kontext lassen sich auch die bildungspolitischen Konzepte sowohl von CDU/CSU/FDP als auch von SPD und weiten Teilen der GRÜNEN einordnen. Die Hochschulen sollen nicht nur durch soziale Selektionsmechanismen in der sozialen Zusammensetzung der Studierenden verändert werden. Im Rahmen der sog. Autonomiedebatte soll die „Zusammenarbeit“ der Universitäten mit der Industrie verstärkt werden. So sollen die staatlichen Mittel der verschiedenen Fachbereiche an die eingeworbenen Drittmittel gebunden werden. Konkret bedeutet dies, daß Fachbereiche abhängig werden von den Wünschen der Industrie. Fachbereiche – wie beispielsweise im geisteswissenschaftlichen Bereich – werden nicht nur Probleme haben, Drittmittel einzuwerben, sondern auch noch mit einer Kürzung der staatlichen Zuweisungen zu rechnen haben, eben weil sie keine Drittmittel erworben haben. Die Universität als verlängerter Arm der Industrie ist damit vorprogrammiert.

Die Bildungs- und Forschungsinteressen der Studierenden und der ProfessorInnen werden keine Rolle mehr spielen. Auch sollen die Entscheidungsstrukturen der Hochschulen verändert werden: Ziel ist auch hier ein größerer Einfluß der Industrie. Mit der Einführung sog. Bords sollen zentrale Entscheidungen auf ein demokratisch nur kaum legitmiertes Gremium übertragen werden. Gesellschaftlich relevante Gruppen sollen dann nicht nur die Wahl des/der RektorIn vornehmen können. Studentische VertreterInnen werden in diesem Gremium – sofern sie überhaupt zugelassen werden – noch weniger mitzubestimmen haben, als sie es heute in den Hochschulgremien haben. Mit der Übernahme international üblicher Bildungsabschlüsse wie z.B. Bachelor oder Master sollen fachlich eng begrenzte Studiengänge geschaffen werden. Die Verschulung der Hochschulen wird so noch weiter voranschreiten, Vorstellungen von interdisziplinärem Lernen werden so Stück um Stück weiter begraben. Gleichzeitig soll die in der Hochschulrahmengesetz-Novellierung vorgesehene Möglichkeit der Hochschulen, sich bis zu 20% der Studierenden selbst aussuchen zu können, die Entwicklung hin zu Eliteuniversitäten verstärken. In diesem Kontext sind auch Überlegungen zu sehen, verstärkt private Universitäten zuzulassen.

„... nicht für das Leben lernen wir“

Von Bündnis 90/Die Grünen durfte eigentlich eine andere Politik erwartet werden. Eine Politik, die Bildung als ein Mittel der Emanzipation begreift. Nach der Wahl Matthias Berningers zum bildungspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion scheinen auch die GRÜNEN Chancengleichheit als Ziel der Bildungspolitik aufzugeben. „Zum geistigen Traditionsfundus grüner Hochschulpolitik gehört aber auch die Skepsis gegenüber illusionären gesellschaftspolitischen Hoffnungen, Chancengleichheit in Gesellschaft durch Bildung und Chancengleichheit im Bildungssystem sei durch Politik wirklich herstellbar“, liest man nun in Berninger-Papieren. Da wird klar in welche Richtung die Bildungspolitik der GRÜNEN verändert wird. „Im offenen Wettbewerb können nicht alle auf dem Treppchen stehen. Es wird Gewinner und Verlierer geben“, meint Berninger. Dieses Ziel seiner Politik wird sich mit Sicherheit auch ohne GRÜNE Regierungsbeteiligung verwirklichen lassen. Schließlich betreiben CDU/CSU und FDP schon seit Beginn ihrer Regierungszeit die Spaltung der Gesellschaft in GewinnerInnen und VerliererInnen.

Dabei könnte Bildungspolitik durchaus auch anders aussehen: Im Rahmen einer bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung könnten allen Studierenden die finanziellen Mittel gegeben werden, unabhängig vom Willen und vom Einkommen ihrer Eltern zu studieren, was sie wollen.

Eine formale Demokratisierung der Hochschulen könnte gleichzeitig den Einfluß der Studierenden auf den Inhalt das Studiums ausweiten und Einflußmöglichkeiten auf die Auswahl der ProfessorInnen ermöglichen. Eine stärkere finanzielle Ausstattung der Hochschulen würde sowohl die Forschungsmöglichkeiten als auch die Kapazitäten der Hochschulen deutlich erweitern. Der Wegfall von Zugangsvoraussetzungen würde es gleichzeitig allen Menschen ermöglichen zu studieren, was sie studieren wollen. Solche Reformvorschläge können aber nur dann wieder in die Diskussion kommen, wenn Bildung als Recht an sich begriffen wird und nicht nur als Erfüllungsgehilfin für die Kapitalverwertung. Da es aber im institutionellen politischen Betrieb außer immer einflußloser werdenden Teilen der GRÜNEN und der PDS kaum noch Menschen gibt, die eine solche Sicht teilen, kann die Durchsetzung einer solche Bildungspolitik nur durch engagierten politischen Protest von links unten erfolgen!

JungdemokratInnen/Junge Linke fordern:

• Rücknahme der Hochschulrahmengesetz-Novelle!

• Öffnung der Hochschulen für alle Studierwilligen, Abschaffung des NC und besonderer Zulassungsvoraussetzungen!

• Sozialabbau stoppen: Bedarfsorientierte Soziale Grundsicherung für alle!
• Die radikale Demokratisierung des Bildungswesens durchsetzen!