Den Neonazis auf der Spur

Unter dem Motto „Das Nazi-Treffen im Kieler Umland verhindern!“ fand am 15.11. in Kiel eine Kundgebung statt. Bis zu 70 Menschen mit einzelnen Transparenten (siehe Foto) hatten sich nach einem Aufruf des Antifaschistischen Aktionsbündnisses gegen Nazi-Treffen auf dem Europaplatz zusammengefunden.

Auslöser war eine erneute neonazistische Veranstaltung am Wochenende 15./16.11., zu der der „ELEMENTE-Studien- und Lesekreis NORD“ über das Internet eingeladen hatte. Das Seminar „Indo-europäische Naturreligion – Erbe als Zukunft“ sollte von Infoständen, Liederabend, Feuerzeremonie und Heldengedenken umrahmt werden. (Als Infotelefonnummer wurde 0171/8486166 angegeben.)

Neben dem Hamburger „Nazi-Anwalt“ Jürgen Rieger war der Gründer und Leiter des faschistischen Thule-Seminars, Pierre Krebs, als Redner eingeplant. Letzterer bildet die Schlägertrupps der Nationalistischen Front (NF) aus und ist Aktionär der Jungen Nationaldemokraten (JN). Die Organisierung dieser Zusammenkunft hatte Andreas Rothmann aus Kronshagen übernommen, der seinerseits für den Bund für Gesamtdeutschland (BGD) und die JN auftritt und sich zudem für das „Bündnis Rechts“ einsetzt.

Im Anschluß an die Gegen-Kundgebung besetzten die AntifaschistInnen um 13 Uhr den Schleusenpunkt am Wilhelmsplatz, an dem die Nazis die zur Veranstaltung Angemeldeten weiterleiteten, um den Ort des Seminars möglichst geheim zu halten. Nachdem ein weiterer Schleusentreffpunkt ermittelt werden konnte, fand mensch schließlich auch den Veranstaltungsort des Seminars heraus. Insgesamt 11 PKW mit etwa 60 Leuten (weil ein Bulli dabei, außerdem natürlich 2 „Bullen“ als heimliche Begleitung) machten sich auf den Weg, das Nazi-Treffen zu verhindern.

Gegen 16 Uhr erreichten die AntifaschistInnen die Gaststätte „König Ludwig“ in Bünsdorf am Wittensee. Sie blockierten den Eingangsbereich des Gasthauses und klärten den Wirt über die Identität der angemeldeten „Religionsgemeinschaft“ auf. Daraufhin kündigte dieser kurzfristig die Veranstaltung und forderte die 12 schon anwesenden Nazis auf, die Gastwirtschaft zu verlassen. Die gleiche Aufforderung erging sodann an die AntifaschistInnen, die danach den Eingang zur Gastwirtschaft sicherten.

Relativ spät schritt die Polizei ein, versuchte, einzelne Nazis durch die Antifa-Reihen zu geleiten, und forderte schließlich die mittlerweile eingetroffenen Köpfe (Pierre Krebs, Jürgen Rieger, Andreas Rothaupt und eine weitere Person) auf, wieder abzufahren. Diesen blieb nichts anderes übrig, als unter dem verbalem Beifall der Demonstrierenden den vermeintlichen Veranstaltungsort zu verlassen („H.a.! Ha, Ha!“)

Nach Angaben von „Enough is enough“, reisten Pierre Krebs und Jürgen Rieger daraufhin wieder ab. Andreas Rothaupt habe am Telefon die Auskunft gegeben, daß aufgrund des Vorfalls die gesamte Veranstaltung abgesagt sei. Nicht geklärt werden konnte hingegen, wo die restlichen Möchtegern-TeilnehmerInnen des Seminars nach dem zweiten Schleusungspunkt verblieben. Weitere Nazi-Aktivitäten wurden weder am gleichen Abend, noch am Sonntag beobachtet.

Nach einer Einschätzung des Antifaschistischen Aktionsbündnisses gegen Nazi-Treffen sei hier ein Zusammenhang mit weiteren Veranstaltungen verschiedener rechtsgerichteter Gruppen im diesem Jahr zu sehen. (Zum Beispiel im September in Ottendorf oder im Oktober in Munkbrarup.) Gleichzeitig werde vom Innenministerium und dem Verfassungsschutz der Grad der rechtsradikalen Organisierung in Schleswig-Holstein heruntergespielt. (Möglicherweise wird das „Bündnis Rechts“ zu den Kommunalwahlen im März 1998 antreten.)

Es war nicht das erste Mal in Schleswig-Holstein, daß ein faschistisches Treffen verhindert werden sollte. Es war jedoch das erste Mal, daß die Antifa ihr Ziel erreichte und die Nazi-Zusammenkunft ausgesetzt werden mußte. Es wird auch nicht das letzte Mal sein, daß antifaschistischer Widerstand gefordert ist, und es wird nicht das letzte Mal sein, daß den Neofaschisten ein Strich durch ihre Rechnung gemacht wird. (US)
 

Erläuterungen:

Die Zeitschrift „ELEMENTE“ erschien erstmals 1986 und entspricht der Zeitschrift „éléments“ der französischen „Nouvelle Droite“. Deren Vordenker, Alain de Benoist, ist auch Verfasser von mehreren Artikeln in „ELEMENTE“. Das professionell gestaltete Blatt wird vom Thule-Seminars herausgegeben und versteht sich als dessen theoretisches Organ.

Das Thule-Seminar wiederum wurde 1980 in Anlehnung an die Thule-Gesellschaft (ihrerseits Nachfolgerin des Germanenordens und Ausgangspunkt bedeutender Faschisten im „Dritten Reich“) gegründet und hat seinen Sitz in Kassel und Thüringen. Laut „Neues Deutschland“ vom 15.2.93 kommt dem Thule-Seminar eine Koordinierungs- und ideologische Leitfunktion in der „Neuen Rechten“ zu. Ihm gehören Rechtsintellektuelle aus ganz Europa an. Ziel ist es, in Berufung auf u.a. germanische Mythen ein neues Wertesystem zu schaffen, um letztendlich die politische Macht zu übernehmen, Hauptthemen des Thule-Seminars sind nach dem „Neo-Nazi-Experten“ Prof. Siegfried Jäger: „Mythos und Übermensch, Boden und Blutsbande, Naturverwurzelung und (individuelle und nationale) Identität, Dialektik des Lebens und des Todes als Sozial-Darwinismus, gegen Egalität und für Mannigfaltigkeit“ (vgl.: JÄGER, S. (Hrsg.): „Rechtsdruck. Die Presse der Neuen Rechten“, Verlag J.H.WE. Dietz Nachf. GmbH, Berlin, Bonn, 1988).