Wenige Fortschritte im Klimaschutz

Im japanischen Kyoto wurde am 11. Dezember ein neues Klimaschutzabkommen unterschrieben, faktisch eine Fortschreibung der Klima-Rahmenkonvention von Rio. Nach überaus zähen Verhandlungen einigten sich die Vertreter von rund 160 Staaten auf ein sog. Protokoll, eine Ergänzung zur Konvention. Der neue Vertrag hält u.a. fest, um wieviel und in welchem Zeitraum die Industriestaaten ihren Treibhausgas-Ausstoß verringern müssen. Desweiteren werden Methoden der Berechnung und die Gase, für die das Abkommen gilt, festgehalten.

Die Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas wirken in der Luft isolierend. Sie verhindern, daß die Wärmeabstrahlung der Erdoberfläche auf direktem Weg in den Weltraum entweicht. Je mehr von ihnen in der Luft sind, desto mehr erwärmen sich die unteren Luftschichten, da die einfallende Sonnenstrahlung besser gespeichert werden kann. Die gleiche Wirkung haben die sog. F-Gase, die als FCKW-Ersatz eingesetzt werden. Kohlendioxid entsteht bei der Verbrennung von Holz, Öl, Erdgas und Kohle. Seine Konzentration in der Atmosphäre ist seit Beginn der Industriellen Revolution um ca. 30% gestiegen. Es ist damit z.Z. für die Hälfte des Treibhaus-Effekts verantwortlich. Die wesentlich effektiveren F-Gase spielen gegenwärtig nur eine geringe Rolle, was sich aber wegen der beständig zunehmenden Produktion schon bald ändern könnte.

Seit spätestens Mitte der 80er Jahre ist bekannt, daß die Menschheit (genauer: die Industriestaaten) dabei ist, das Klima drastisch zu ändern. Die UN setzte daher ein Wissenschaftlergremium ein, den IPCC, das den Stand der Wissenschaft zusammentragen soll. Außerdem wurde ein internationaler Verhandlungsprozeß gestartet, aus dem 1992 die Klimarahmenkonvention hervorging. In ihr erkennen die Unterzeichnerstaaten das Problem an und verabredeten, Maßnahmen zu ergreifen. Als erster Schritt wurde vereinbart, daß die Industriestaaten in Ost und West ihre Emissionen bis zum Jahre 2000 auf das 1990er Niveau zurückfahren. Ein Ziel, das die meisten verfehlen werden. Weitere Maßnahmen sollten in einem Zusatzprotololl vereinbart werden, das jetzt endlich in Kyoto unterzeichnet wurde. Eigentlich hätte es schon vor zweieinhalb Jahren auf der Klimakonferenz in Berlin verabschiedet werden sollen, was aber u.a. an der mangelhaften Vorbereitung der Bundesregierung scheiterte.

Was da nun mehr als fünf Jahre nach dem großen UN-Umweltgipfel in Rio zustandegekommen ist, reißt Umweltschützer nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hin. „Lausig“ nennt Stephan Singer vom WWF (Worldwide Found for Nature) das Kyoto-Protokoll. Um lediglich 5,2% sollen die industrialisierten Staaten ihre Emissionen verringern. Doch seit 1990, das für gewöhnlich als Referenzjahr gilt, auf das sich alle Zahlen beziehen, sind, so Singer, die Emissionen bereits um ca. 4,6% zurückgegangen. In Kyoto sei also eine Abnahme von lediglich 0,6% beschlossen worden.

Wenn man dann noch den Effekt der diversen Schlupflöcher im Vertragswerk berücksichtigt, meint Bill Hare von Greenpeace, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß sich die reichen Länder einige Prozent Zunahme gegönnt haben. U.a. wird es möglich sein, sich Aufforstungsprogramme gutschreiben zu lassen. Wer also Bäume pflanzt, darf mehr Auto fahren. Wie das berechnet werden soll, ist weitgehend unklar. Botaniker weisen darauf hin, daß nur sehr schwer und ungenau zu bestimmen ist, wieviel Kohlendioxid ein Wald der Luft entzieht und speichert.

Eine weitere Hintertür, die u.a. auf Drängen der USA und Rußland geöffnet wurde, besteht im sog. Emissionen-Handel. Demnach soll es (Industrie-) Ländern, die weniger Treibhausgase produzieren, als ihnen zugestanden wurde, erlaubt sein, damit Handel zu treiben. Zwar nur im begrenzten Umfang, allerdings wird nicht definiert, wo diese Grenzen liegen.

Die Reduktionsziele, die den verschiedenen Industriestaaten auferlegt wurden, fallen unterschiedlich aus. Erstmals wurde auf Druck Japans eine Differenzierung eingeführt, wogegen sich die EU lange Zeit gesperrt hatte. So werden die EU-Mitgliedsländer ihren jährlichen Ausstoß um 8% verringern müssen, die USA um 7% und Japan um 6%. Australien, das unter dem Druck einer starken Kohle-Lobby steht, wurde hingegen eine Zunahme um 8% zugestanden. Anders wäre eine Unterschrift Camberras unter den Vertrag nicht zu haben gewesen. Rußland und die Ukraine bekamen 100% zugesprochen. Da sie in Folge ihrer wirtschaftlichen Umstellungskrise derzeit 30-40% weniger als 1990 emittieren bedeutet das faktisch eine Zunahme. Da sie diesen Spielraum aber selbst bei günstigster Entwicklung kaum ausnutzen werden, bleibt für sie viel Platz, per Emissionen-Handel eine Extra-Mark zu machen. Wen wundert es also, daß Rußland in Kyoto eifrigster Befürworter dieser Regelung war.

Einige Entwicklungsländer hatten z.T. heftig gegen diesen Taschenspielertrick protestiert, konnten sich aber nicht durchsetzen. Auch die EU, die in den Verhandlungen geschlossen auftrat, war ursprünglich dagegen, da sie eine Verwässerung befürchtete. Indien und China machten darauf aufmerksam, daß Emissionen-Handel keinerlei positiven Effekt für den Klimaschutz hat. Wenn, dann wollten sie es nur auf der Basis der Gleichheit akzeptieren. D.h. auf der Grundlage, daß allen Menschen gleiche Emissionsrechte zugestanden werden.

Ein Gedanke, der den reichen Ländern des Nordens nicht besonders behagt. In den USA werden derzeit ca. 20 Tonnen Kohlendioxid pro Kopf und Jahr in die Luft geblasen, in Deutschland sind es etwa 10, in Indien oder China aber nur 0,7 bzw. 2. Würde vertraglich festgelegt, daß nur soviel emittiert werden darf, wie das Klima verträgt (nämlich 2 Tonnen pro Kopf und Jahr umgerechnet auf die Erdbevölkerung), dann müßte der Norden ganz erheblich Federn lassen. Indien könnte hingegen – wie die meisten anderen Entwicklungsländer – noch ordentlich zulegen. Wenig erstaunlich also, daß entsprechende Vorstöße Indiens und Chinas scheiterten.

Auch sonst hatten die in der Gruppe 77 (G77) zusammengeschlossenen Entwicklungsländer wenig in Kyoto zu melden. Von einigen Staaten wie den USA und Neuseeland wurden sie stark unter Druck gesetzt, ebenfalls Verpflichtungen in Bezug auf zukünftige Emissionen zu übernehmen. In den USA hatte eine einflußreiche Industrielobby 12 Mio. Dollar für eine Anzeigenkampagne ausgegeben, die die Gefahren eines Klimawandels herunterspielte und den armen Länder des Südens die Verantwortung zuschob. Initiatoren waren Kohle- und Ölindustrie sowie Autohersteller. Schließlich hatten die Lobbyisten es so weit gebracht, daß Clinton seine Machtlosigkeit eingestehen mußte. Er würde in Sachen Klimaschutz gerne mehr unternehmen, ihm seien aber durch die Industrie die Hände gebunden.

Die G77 wehrte sich allerdings heftig gegen die Anmaßungen einiger der reichen Länder. Mit Recht wies ihr Sprecher, der tansanische Wissenschaftler und Diplomat Marc Mwandosiya, immer wieder darauf hin, daß die Entwicklungsländer bereits erhebliche Anstrengungen unternehmen. Im Gegensatz zu den meisten Industriestaaten haben sie die aus der Rio-Konvention erwachsenden Verpflichtungen erfüllt. Außerdem, so Mwandosiya, habe man sich in Berlin und Rio darauf geeinigt, daß die entwickelten Länder voranzugehen haben. Schon deshalb, weil sie die historische Verantwortung für den Anstieg der Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre tragen.

Das wesentliche Verhandlungsgeschehen spielte sich allerdings zwischen den Triadenmächten USA, EU und Japan ab. Die G77 hatten zwar ursprünglich sehr hohe Forderungen an die Industriestaaten, waren dann aber „realistischerweise“ auf die EU-Linie eingeschwenkt. Die hatte mit 15% Reduktion bis zum Jahre 2010 von allen reichen Ländern die weitestgehende Forderung. Die USA wollten sich hingegen ursprünglich nur auf ein Einfrieren auf 1990er Niveau festlegen lassen. Japan hatte differenzierte Ziele gefordert, die im Mittel auf die nun beschlossenen nominellen 5,2% herausgelaufen wären.

Daß aber selbst die scheinbar so radikalen Forderungen der EU in Wirklichkeit unrealistisch sind, wenn es darum geht, schwerwiegende Veränderungen des Klimas zu verhindern, hatte erst eine Woche vor Konferenzbeginn erneut ein Bericht des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung (WBGU) festgestellt. Der WGBU empfiehlt, daß die westlichen Industriestaaten ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2005 um 11%, bis 2010 um 23% und bis 2020 um 43% reduzieren. Langfristig – bis 2050 – sollte diese Ländergruppe ihre Emissionen um 77% verringern.

Dabei legen die Klimaforscher des WGBU Wert darauf, daß ihre Zahlen nur Mindestanforderungen sind. Sie würden eine Erwärmung nicht stoppen, sondern nur auf ein gerade noch erträgliches Maß beschränken. Das sehen sie bei einem Temperaturanstieg von 0,2 Grad pro Jahrzehnt. Es gibt allerdings auch Fachleute, die meinen, daß viele Ökosysteme, z.B. die mitteleuropäischen Wälder, nicht mehr als 0,1 Grad pro Jahrzehnt vertragen können.

„Selbst die Einhaltung der Empfehlungen“, so heißt es in einer Presseerklärung des Beirats, „wird nach bisherigem Wissen wegen der Trägheit des Klima-Systems z.B. den Anstieg des Meeresspiegels nicht mehr aufhalten können. Besonders wirtschaftsstarke Industrieländer sollten sich aus diesem Grunde verpflichten, ihre Emissionen bis 2005 um deutlich mehr als 11% zu reduzieren, damit die begrenzten Möglichkeiten der weniger wirtschaftsstarken Industrieländer ausgeglichen werden können“.

Von derlei Einsichten ihrer Berater scheint die Bundesregierung weit entfernt. In Kyoto hielt man sich vornehm zurück und überließ der EU und Staaten wie Großbritanien und den Niederlanden das Streiten für die Position der Union. Ministerin Merkel beschränkte sich stattdessen im wesentlichen darauf, Eigenlob zu betreiben. Deutschland habe schon erheblich reduziert und die Bundesregierung bereits ausreichende Maßnahmen ergriffen, um das 25%-Reduktionsziel bis 2005 zu erreichen, das Kohl 1995 auf der Berliner Klimakonferenz versprochen hatte. Was sie den Vertretern der Weltgemeinschaft nicht verriet, ist, daß in Deutschland die Emissionen seit zwei Jahren wieder steigen und eine ganze Reihe von Studien im letzten Jahr ganz andere Prognosen als die rosige der Ministerin für nukleare Proliferation geben.

In Kyoto standen allerdings andere am Pranger der Umweltschützer, nämlich vor allem die USA, Japan, Australien, Kanada und Neuseeland, die die Verhandlungen zeitweise zu torpedieren schienen. Daß schließlich zumindest noch ein Vertrag zustande kam, werten die meisten daher als Erfolg. So ist zumindest gewährleistet, daß in im weiteren Verhandlungsprozeß die Verpflichtungen verschärft werden können. Nachfolge-Konferenzen wird es im Jahresrhythmus geben. Auch das Montrealer Protololl, so Stephan Singer, sei ursprünglich sehr schwach gewesen. Schließlich habe man aber doch mit ihm die Ozon-Killer FCKW weitgehend verbieten können. (wop)