„Vor der Abnahme annehmen!“

Die Hörnbrücke wird immer teurer

Fehler bei der Gewichtsberechnung oder nicht? Gibt es Regreßansprüche der Stadt? Wessen Kopf muß rollen? Vielfältig waren die Fragen und Anwürfe in der Beratung zum Hörnbrücken-Desaster in der Ratsversammlung am 20.11. Anträge von allen Fraktionen, die am Ende zu einem interfraktionellen Antrag zusammengefaßt wurden, fordern Aufklärung um das Ausmaß der Verteuerung bei Bau und   wenn sie denn irgendwann klappt   Betrieb der Hörnbrücke. CDU-Fraktionsvorsitzender Arne Wulff monierte, daß man schon wieder einen Beschluß über umfassende Aufklärung fasse, was man im Juni schon einmal getan habe, ohne Erfolg. „Die Ratsversammlung“, so Wulff, „hinkt mit ihren Beschlüssen immer der aktuellen Entwicklung bei der Hörnbrücke nach“. Es sei ein Armutszeugnis für das Baudezernat unter der Leitung des Stadtbaurats Otto Flagge, wenn die Ratsversammlung „dauernd hinterherrennen muß, um an Informationen zu kommen“. Das Amt komme seiner Berichtspflicht kontinuierlich nicht nach. Die CDU   und nicht nur die   will Flagges Kopf für die von 16,5 Mio. auf 20,5 Mio. DM angestiegenen Kosten des Projekts (die Baukosten für die Klappbrücke selbst stiegen inklusive provisorischer Brücke von 2,5 Mio. auf 4 Mio. DM).

OB Norbert Gansel stellte sich vor seinen Stadtbaurat, so gut es ging, und bemühte sich um Schadensbegrenzung. Alle in der Ratsversammlung hätten, als man sich für die „technische Innovation“ entschieden habe, gewußt, daß es sich um eine „zerbrechliche Konstruktion“ handele. Im Bereich von Baukosten sei eine Überschreitung um bis zu 50% „beklagenswerterweise der Normalfall“. Seit März habe es keine „Option zum Ausstieg mehr gegeben“. Nun gehe es um Schadensbegrenzung, und die beinhalte, daß die Brücke erstmal funktionieren müsse, bevor man ein Schadensersatzverfahren beginne. „Die Hörnbrücke muß von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen werden, bevor sie abgenommen werden kann“, wortspielte Gansel. Er sehe die Hörnbrücke als unverzichtbaren Bestandteil des Großprojekts Hörnsanierung. Letzteres schaffe Arbeitsplätze, somit auch die Hörnbrücke, so die seltsame Logik des OB weiter. Hart ging Gansel mit der Presse ins Gericht. Sie verbreite Falschmeldungen oder „Unvollständiges“ über die Hörnbrücke und gefährde damit die Akzeptanz der Hörnsanierung in der Bevölkerung. Alle redeten immer nur von der Brücke, klagte Gansel einigermaßen hilflos beleidigt.

Arne Wulff warnte vor einer Abnahme der Hörnbrücke, daraus folge juristisch eine „Beweislastumkehr“, die Stadt müsse dann die Fehler beim Bau den beteiligten Unternehmen, respektive dem Ingenieurbüro nachweisen.

Der grüne Ratsherr Klaus Tank machte noch eine ganz andere Rechnung auf. Die laufenden Kosten für den Betrieb der Hörnbrücke würden wahrscheinlich etwa fünf mal so hoch ausfallen, wie ursprünglich geplant. „Die investiert in soziale Projekte, da würden wir uns alle freuen“, meinte Tank.

Die Ratsversammlung beschloß mit interfraktionellem Antrag eine „umfassende Aufklärung“ rund um das Brückenprojekt. Zur Frage der Finanzierung der überplanmäßigen Kosten hat der OB bereits einen Plan. Im laufenden Haushaltsjahr will er 600.000 DM nachbeantragen. Für 1998 müßten 350.000 im Haushalt bereitgestellt werden, 1999 noch einmal 650.000 DM.

In der Folge der Ratsversammlung betrieb die CDU weiter die Demontage des Stadtbaurats und stellte am 27.11. für die Dezember-Ratsversammlung einen Abwahlantrag. Den findet die SPD laut einer Pressemitteilung „scheinheilig“. „Während die Christdemokraten einerseits kritisieren, daß die SPD-Fraktion Kürzungsvorschläge des Oberbürgermeisters im Promillebereich des Haushalts behutsam korrigiert“, so SPD-Fraktionschef Raupach, „beantragt sie die sinnlose Verschwendung von Steuergeldern, indem sie den arbeitsfähigen und arbeitswilligen Stadtbaurat zum gut bezahlten Spaziergänger machen will.“ Eine Abwahl von Otto Flagge werde den Haushalt durch die Weiterbezahlung seiner Bezüge und der für einen neuen Stadtbaurat „um einen deutlich sechsstelligen Betrag belasten“. Raupach erinnerte in diesem Zusammenhang daran, daß die Ratsversammlung vor wenigen Jahren nahezu einmütig   also auch mit den Stimmen der CDU-Fraktion   Otto Flagge nach sechsjähriger Erfahrung mit seiner Arbeit wiedergewählt habe. Die SPD-Fraktion werde den Antrag ablehnen.

In der Ratsversammlung vom 12.12. war die Hörnbrücke noch einmal Thema, bevor es um den Abwahlantrag der CDU für den Stadtbaurat Otto Flagge ging. Ulrich Kolb (B 90/Grüne) kritisierte, daß bestimmte Zahlen über die Brücke nicht in die Öffentlichkeit kämen, weil sie im nicht-öffentlichen Teil der Ratsversammlung verhandelt würden. Die Stadtpräsidentin Silke Reyer ermahnte ihn mehrfach, die geheimen Zahlen nicht auszuplaudern. So mußte Kolb sich zurückhalten, wies jedoch daruf hin, daß Kostensteigerungen schon lange vor dem Desaster mit der Brücke absehbar waren, also nicht nur durch das Nicht-Funktionieren der Brücke hervorgerufen sind. Bei der Ausschreibung der Brücke sei die Ratsversammlung durch eine „detailscharfe“ Aufstellung der Kosten getäuscht worden. Es sei der falsche Eindruck entstanden, die Brücke sei, auch kostenmäßig, genau durchgeplant. Kolbs Kritik richtete sich vor allem gegen eine Geschäftliche Mitteilung der Verwaltung zu den Brückenkosten. Die Mitteilung lasse immer noch viele Fragen offen, insbesondere die, ob die Kosten für die Brücke bei Ausschreibung gedeckelt waren oder nicht.

Johannes Wunder (CDU) wies auf den inzwischen öffentlich gewordenen Schriftwechsel des Stadtbaurats mit dem Rechnungsprüfungsamt (RPA) von 1995 hin. Das RPA hatte bereits frühzeitig Bedenken bezüglich der Folgekosten des Brückenbaus angemeldet. Flagge habe damals Nachfragen aus der Ratsversammlung „arrogant“ abgeschmettert. Hätte die Ratsversammlung, so Wunder, damals „diese Dinge gewußt“, wäre die Entscheidung für die 3-Feld-Klappbrücke wahrscheinlich nicht gefallen. (jm)