Ho-Ho-Hochschulstreik!

Uni-Streik bundesweit 1997: Über 100 Hochschulen im Ausstand, 40.000 Studis demonstrieren am 27.11. in Bonn, 160.000 Studis, SchülerInnen und Azubis sind beim bundesweiten Aktionstag (4.12.) auf der Straße, hunderttausende Studierende im Streik, täglich Aktionen, Demonstrationen, etc.

1968 – 1977 – 1989 – 1997 – circa alle zehn Jahre erlebt die bundesrepublikanische Öffentlichkeit Uni-Streiks. Doch dieses Mal scheint alles anders zu sein: Noch nie war die Beteiligung in der Studierendenschaft so groß wie beim 97er „Lucky Streik“.

Noch nie hatten streikende Studis so viele FreundInnen in Politik, Wirtschaft und Medien. Noch nie waren die ProfessorInnen so dabei wie beim „Lucky Streik“ und erfreuten sich daran, daß die Studis für bessere Ausstattungen der Hochschulen streiken. Die verantwortlichen PolitikerInnen haben vollstes Verständnis für „ganz normale Studenten, die nicht für die Weltrevolution, sondern für ihre Leistungschancen kämpfen“. Die bürgerlichen Medien berichten über die furchtbaren Studienbedingungen und schlußfolgern, daß es dringend einer am Markt ausgerichteten, modernisierten Bildung bedürfe. Der Präsident der Frankfurter Börse spendet Studierenden, die zur Börse zogen, um die Solidarität der Wirtschaft einzufordern, 26 neue Computer. KapitalistInnenchef Hundt zeigt Verständnis für den studentischen Unmut und fordert im selben Atemzug Studiengebühren.

Diese massiven Umarmungstendenzen der Herrschenden gegenüber den Studis lassen sich zweifelsfrei unter repressive Toleranz (Marcuse) subsumieren, allerdings gab es derartiges bei den vergangenen Uni-Streik-Bewegungen nicht und das auch nicht ohne Grund:
Zum einen kommt der 97er Protest in weiten Teilen unpolitisch und rein ständisch orientiert daher. Der Blick bleibt oftmals auf die Probleme der eigenen Uni beschränkt und verzichtet dabei sogar auf Forderungen zur Durchsetzung originärer studentischer Interessen (Demokratisierung der Unis, bedarfsgerechtes BaföG für alle, die es brauchen, Grundrecht auf Bildung für alle, etc.). So wurden in vielen Fachbereichen der Kieler Universität Forderungskataloge erstellt die nicht über die Wiederbesetzung von vakanten Stellen, mehr Bücher und Beseitigung von baulichen Mängeln hinausgingen. Auf Demonstrationen zeigen Transparente, in deren Slogans Bildung zum Standortfaktor und „einzigem Rohstoff der Nation“ wird, daß sich der Großteil der Studierenden in seinen Protesten innerhalb der vorherrschenden neoliberalen Logik bewegt und diese nicht sprengen will. Ein anderer Teil ersetzt die Inhalte durch die Form. Mit Transparenten wie „Protest-Veranstaltung Uni-Kiel“ oder „Streik“ auf Demos und an Uni-Gebäuden wird lediglich auf die Aktionsform, aber nicht auf die Inhalte, gegen bzw. für die sich die Aktion einsetzt, hingewiesen.

Zum anderen ist der Willen vieler Studis zu erkennen, jeder Form von Konfrontation mit Politik und Gesellschaft auszuweichen. Es wird sich vielmehr bemüht, durch „kreative“ Aktionen, die niemandem weh tun und z.B. eine Anzeige in den Kieler Nachrichten, die den KielerInnen ausführlich und ausschließlich darlegt, daß Studierende doch gar nicht faul seien, Verständnis und breite Solidarität zu erheischen.

Diese unter vielen Studierenden verbreiteten Einstellungen brauchen auch eigentlich nicht zu verwundern, der Großteil von ihnen stammt inzwischen wieder aus bessergestellten Elternhäusern und ist finanziell von diesen abhängig. Nach dem Studium winkt aber selbst diesen nicht mehr der sichere, gutbezahlte Traumberuf, es droht vielmehr der Abstieg in das akademische Proletariat. Wer sich noch ein Stück von dem kleinen Kuchen abschneiden möchte, ist schön konform und meint brav, flexibel und kritiklos daherkommen und schnell studieren zu müssen. Individualisierung und Leistungsdenken sind ein Resultat. In Seminaren wird das mitgeschrieben, was der/die Dozierende vorträgt, eigene Beiträge erfolgen allein aus dem Gesichtspunkt des Studienerfolgs. Auch sonst sind diese Studis gute Untertanen, die herrschenden Verhältnisse werden als unverrückbar akzeptiert, und das Denken bewegt sich nur in deren Rahmen. Mit diesen Einstellungen müssen die Protestierenden aber zwangsläufig scheitern. JedeR Bundes- oder LandesfinanzministerIn wird ihnen einleuchtend darlegen, daß die öffentlichen Kassen leider leer seien und der Gürtel eben enger geschnallt werden müsse. Wer die Verteilungspolitik nicht hinterfragen kann oder will, muß dann leider frustriert nach Hause gehen.

Dies hat ein Teil der protestierenden Studis auch getan. Die beschriebenen Umarmungsversuche und folgenlosen Solidaritätsbekundungen aus der Politik haben bei etlichen Streik-AktivistInnen allerdings langsam aber sicher das Gefühl aufkommen lassen, nur hingehalten und verarscht zu werden. Was bei dem noch aktiven Teil der Studierenden zu einer Verschärfung des Protestes geführt hat. So hat die Zahl der VollversammlungsteilnehmerInnen in Kiel zwar von 3.000 auf 1.500 deutlich abgenommen, befindet sich damit für Uni-Vollversammlungen aber immer noch auf einem sehr hohen Niveau. Bei dieser verkleinerten Protestbasis ist zugleich eine stetige Radikalisierung von Protestform und Inhalt festzustellen. 2.000 Bochumer Studierende blockierten Autobahnabfahrten, in Frankfurt versuchten SchülerInnen und Studis, unter „hier sitzt die Kohle“, „her mit der Kohle“-Rufen in die Deutsche Bank einzudringen. 100 von ihnen zogen vor die Börse und zertrümmerten dort alte Computer als „Dankeschön“ für die Vereinnahmungsversuche seitens der Wirtschaft. In Kiel beteiligten sich in der ersten Streik-Woche 30 Studis an einer Straßenblockade, in der zweiten waren es 90, die die größte Straßenkreuzung unter harschem Protest der AutofahrerInnen blockierten.

Neben die Erkenntnis, daß Protest nur zu etwas führen kann, wenn er stört und in das gesellschaftliche Leben eingreift, sind auch wahrnehmbare inhaltliche Fortschritte getreten. Auf der ersten Kieler Vollversammlung, die den Streik beschloß, ging es nur um die miesen Studienbedingungen, der gesamtgesellschaftliche Zusammenhang wurde von Linken hineingetragen. Auf der dritten Streik-Vollversammlung wurde von einer studentischen Film-AG ein Video gezeigt, in dem auf die steuerfreien Milliardengewinne der Deutschen Bank und das angeblich fehlende Geld eingegangen wurde und eine gerechte Verteilungspolitik gefordert wurde. In einem Beitrag zu den sozialpolitischen Forderungen der Kieler Studierenden war die nach einer Umverteilung von oben nach unten ebenso enthalten, wie die nach dem Ende der Diskriminierung von Nicht-EU Studierenden, und beides stieß auf Zustimmung im Auditorium.

Das Treffen der streikenden Unis hat beschlossen, daß am 17.12., dem nächsten bundesweiten Aktionstag, die dezentralen Demonstrationen zusammen mit SchülerInnen, Azubis und Gewerkschaften stattfinden werden, um gemeinsam „Sozialstaats- und Bildungsmord“ entgegenzutreten.

Damit hat der „Lucky Streik“ immerhin zu einer gewissen Politisierung und einer sehr beachtlichen Mobilisierung in der Studierendenschaft geführt. Allerdings ist es fraglich, ob sich die Streiks in der bisherigen Form auch im neuen Jahr fortsetzen werden. Die Angst, ein Semester zu verlieren, hat ja schon an einigen Unis zum Ende des Streiks geführt. Damit die Proteste aber nicht nur ein Strohfeuer waren, wird für Mitte Januar ein Kongreß in Berlin vorbereitet, der der Protestbewegung inhaltliche Konturen geben soll. Damit kann eventuell. ein Fundament für eine politischere nächste Streikwelle gelegt werden. (Gerd Riemann, Stefan Waterkamp – Kieler Uni Linke – KUL)