„Wohin? Wohin willst du gehen?”

Die totalitären Welten der Mystery-Serien

Verschwörungen, bei denen es um die Herrschaft der Welt geht, und der Kampf von Gut gegen Böse gehören zum Handwerkszeug moderner Märchenerzähler. Was heute im (post-) modernen Gewand der Mystery-Serien erscheint, ist letztlich nichts anderes als eine Adaption eines altbekannten Schemas, das schon James Bond im Kampf gegen Dr. No, Blofeld & Konsorten variierte. In diese Tradition gehören auch Fritz Langs Dr. Mabuse-Verfilmungen der Weimarer Republik, die als Kritik am Fuß fassenden Nationalsozialismus gelesen werden können. Die Darstellung der entworfenen Welt wird entscheidend: Fördert sie den Widerstand? Oder fordert sie eine fatalistische Resignation, ein geducktes Mitläufertum?

In den folgenden Zeilen durchleuchte ich einige Mystery-Serien, wobei ich meinem persönlichen Eindruck vertraue. Dieser Artikel erhebt also kein Anspruch auf wissenschaftliche Systematik; seine Unvollständigkeit verstehe ich eher als Anregung an das kritische Publikum, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Von Law and Order zur Selbstjustiz

Mit David Lynchs „Twin Peaks” veränderten sich die (amerikanischen) TV-Serien: Die Fiktionen wurden komplexer, mehrdeutiger und offener. Aus dieser Perspektive wird Twin Peaks zum Ahnen (und nach meiner Einschätzung zum unerreichten Höhepunkt) eines neuen Genres: der Mystery.

Mystery selbst hingegen erscheint bei genauer Betrachtung als ein Patchwork aus verschiedenen Elementen älterer Genres: nämlich der Suche nach einem Täter (klassischer Krimi), angereichert mit psychologischen Versatzstücken wie die Recherche nach einem gutachterlichen Täterprofil (Thriller) sowie okkulten und/oder esoterischen Einsprengseln (Märchen, Fantasy, New Age), die sich durch Science-Fiction-Stoffe wie außerirdische Lebensformen oder Versuche von verrückten Wissenschaftlern ersetzen oder ergänzen lassen.

Wie bekömmlich ist dieser Cocktail? Mal offensichtlich, mal eher angedeutet wird hier ein Wertesystem vermittelt, das unter der aufwendigen Verpackung erstaunlich traditionell ist: das konservativ-reaktionäre Modell der Familie mit der angestaubten Rollenverteilung und dem Ziel, die nächste Generation großzuziehen. Die Verteidiger dieser Ordnung wie die FBI-Agenten Fox-Mulder und Scully („X-Files”, „Akte X”) oder Frank Black, der Agent der geheimen Millenium-Gruppe in der gleichnamigen Serie (beide vom selben Autoren, Chris Carter, betreut), werden zu quasi-religiösen Heroen stilisiert. Ihr Vorgehen gleicht über weite Strecken weniger einer kriminalistischen Ermittlung, bei der Verdächtige als unschuldig zu gelten haben, solange sie nicht durch Indizien und Geständnisse überführt worden sind, als einer fanatischen Hexenjagd, bei der schon der Verdacht ausreicht, um den Tod des Gejagten zu rechtfertigen. Die messianischen Verteidiger stehen über einem Rechtssystem, das entweder als blind und unwissend oder als Fünfte Kolonne eines bösartigen Gegners dargestellt wird. An Irrationalität gleichen sich im Mystery-Genre Jäger und Gejagte, doch mehr oder minder staatliche Institutionen breiten ihre Fittiche über sie und gewähren ihnen Schutz, während ihre Gegner, in der Regel Einzelpersonen, zum Freiwild degradiert werden.

Um Mißverständnisse zu vermeiden, weise ich darauf hin, daß die dargestellten Delikte (Mord, Vergewaltigung, Kindesmißbrauch) fraglos strafwürdig sind. Die emotionale Unterfütterung der Inhalte mit sexualisierten und aggressiven Untertönen (Keine Toleranz!) erzeugt jedoch eine Atmosphäre der Lynchjustiz, die bedenklicherweise nicht hinterfragt wird.

Lohnt sich Widerstand wirklich nicht?

Die von Laurence Hertzog kreierte Serie „Nowhere Man — Ohne Identität” könnte als Gegenstück zu „Millenium” interpretiert werden, geht es hier doch um die Perspektive eines Opfers, das sich der Mitläuferrolle verweigert. Der Dr. Kimble-Aufguß eines Fotografen, der in Hitchcock-Manier mehr weiß, als er ahnt, wird von einer anonymen Organisation gejagt, die sich totalitär über die gesamte USA erstreckt und sämtliche Institutionen infiltriert. Sein isolierter Widerstand verläuft sich in kleinen Nadelstichen, der die Säulen der übermächtigen Geheimgesellschaft nicht ankratzt, die zwar einzelne, ersetzbare Mitläufer verliert, aber an sich unbeschädigt bleibt.

Zur Abrundung flechte ich hier eine Skizze dreier Kinofilme ein, die auf dem literarischen Stoff der Körperfresser (Body Snatchers) basieren. Über mehrere Jahrzehnte entstanden, knüpfen sie inhaltlich aneinander an, während der Grad der Aussichtslosigkeit ständig zunimmt. In Don Siegels „Die Dämonischen” erscheinen in den 50er Jahren erstmals die Sporen aus dem All, die den Menschen im Schlaf ihren Körper rauben und sie zu gefühllosen Teilen eines pflanzlichen Organismus werden lassen, für den das Individuum nicht zählt. Das totalitäre System der Spore, das sich bei Siegel in Kalifornien verbreitet, hat bei Philip Kaufman in den 70er Jahren schon die USA erobert und plant die Invasion nach Übersee. In Abel Ferraras 90er Jahre-Version nähert sich die Invasion schon ihrem Ende, so jeder, der Widerstand leisten oder flüchten will, zynisch gefragt wird: „Wohin? Wohin willst du gehen?”

In den Körperfresser-Filmen quasi in Echtzeit, in den Serien in komprimierter Form wird hier ein Bild von totalitären Systemen entwickelt, das mir untragbar erscheint: Mitläufertum wird als verzeihlich gepriesen, weil einzige Überlebenschance. So müssen sich diese Systeme der Erpressung nicht mehr als erstrebenswert darstellen, ihr kalter Wohlstand läßt ja als aussichtslose Falle keine Alternative zu, und entschuldigen resigniertes Achselzucken. Aber „Resignation ist täglicher Selbstmord” (Motto der Libération), deshalb: Wehret den Anfängen! (bmw)