Internationales

Südkorea: Generalstreik gegen IWF?

Gewerkschaften kritisieren Auflagen des Währungsfonds

Aktienkurse purzeln, die Währung hat 50 Prozent ihres Wertes verloren, vier von fünf Südkoreanern fürchten um ihren Job, ohne daß es eine nennenswerte Arbeitslosenversicherung gäbe. Südkorea steckt - für seine Bürger vollkommen überraschend - in der Krise. "Wieso eigentlich?" fragt man sich allenthalben, aus Blütenträumen zweistelliger Wachstumsraten abrupt erwacht.

Einer weiß es ganz genau: "In Folge von Lohnsteigerungen hat die Produktivität in Korea bedeutend abgenommen. Die neue Regierung sollte daher bereit sein, die Vollbeschäftigung wachsender Produktivität zu opfern." David Lipton, Staatssekretär im US-Finanzministerium ist gekommen, um Südkoreas künftigen Präsidenten Kim Dae-jung einzunorden.

Der ist durchaus lernwillig. Im Wahlkampf noch hatte er Plänen eine Absage erteilt, Massenentlassungen zu erleichtern. Einen Tag nach dem Treffen mit Lipton läßt er jetzt verkünden, daß er das Parlament zu einer Sondersitzung zusammenrufen werde. Firmen, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden, müßten Massenentlassungen ermöglicht werden. "Legalisiert man die nicht", so Chung Dong-young, Sprecher von Kims Partei NCNP, "werde sich die ökonomische Krise in nächster Zukunft noch verschärfen".

Massenentlassungen stehen auch auf dem Wunschzettel des Internationalen Währungsfonds (IWF), der dem ostasiatischen Land mit einem 57-Milliarden-Dollar-Kredit aus der Klemme hilft. Weiter sehen die Kredit-Bedingungen eine Einschränkung von Geldmenge und Staatsausgaben sowie die Umstrukturierung der Wirtschaft vor.

Rasur als Protest gegen die Auflagen des IWF - Kwan Young-Ghil, ehemaliger Gewerkschaftsführer und Präsidentschaftskandidat der radikalen Linken

 Bei Südkoreas kämpferischem Gewerkschaftsbund KCTU hält man allerdings wenig vom Allheilmittel Entlassungen. "Die Arbeiter sollen zum Sündenbock gemacht werden", meint Yoon Youngmo, KCTU-Sekretär für internationale Kontakte. Die Ursachen lägen woanders. "Unmittelbaren Anstoß für die gegenwärtige Krise hat der Exodus internationalen 'heißen Geldes' gegeben in Verbindung mit unverantwortlichen Maßnahmen der Regierung und einer Serie schlecht abgestimmter politischer Entscheidungen", stellt eine jüngst von den Gewerkschaften herausgegebene Studie fest.

"Die eigentlichen Ursachen", so Yoon Jin-ho, Autor der Studie und Ökonom an der Seouler Inha Universität, "sind im Verlust internationalen Vertrauens aufgrund der problematischen Wirtschaftsstruktur Koreas zu suchen". Die sehen nicht nur Gewerkschafter in der Dominanz der monopolistischen Chaebols, jener meist familiengeführten vielgliedrigen Gebilde, die unterschiedlichste Branchen in sich vereinigen. Auf ihr Konto geht der größere Teil der umlaufenden Kredite. Geringe Aussattung mit Eigenkapital in Verbindung mit einem Rückgang der Gewinnspanne hat in letzter Zeit viele dieser Kredite faul werden lassen. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Banken, die das Geld oftmals gegen nur unzureichende Sicherheiten herausgegeben haben.

Die IWF-Auflagen verkennen diese Problemlage, meint Gewerkschaftssekretär Yoon. In Südkorea hätten nicht zu hohe Ausgaben der öffentlichen Haushalte oder Staatsverschuldung in die Krise geführt. Der Haushalt der Regierung befinde sich vielmehr schon seit langem im Gleichgewicht. Das Problem sei die zu kurze Finanzdecke großer wie kleiner Unternehmen. Da viele Transaktionen von Krediten abhingen, müßte deren Verteuerung infolge der IWF-Politik kleine Händler wie Chaebols in den Ruin treiben.

Der KCTU, der erst im Frühjahr seine Legalisierung mit einem Generalstreik durchgesetzt hat, fordert daher Neuverhandlungen über die Kredit-Bedingungen. "Wir erkennen durchaus an, daß es schwierige Zeiten sind", meint Yoon. "Ein Moratorium kommt daher für uns nicht in Frage, da es die Lage für den kleinen Mann nur verschlimmern würde." Hat nämlich ein Land erst einmal seine Zahlungsunfähigkeit erklärt, können Importe nur noch gegen direkte Bezahlung abgewickelt werden. Für ein rohstoffabhängiges Land wie Südkorea eine schwierige Lage. Die Erfahrung Lateinamerikas in den 80ern habe gezeigt, daß ein Moratorium der Wirtschaft eher noch mehr Schaden zufüge.

Einzig in der Frage der Umstrukturierung weiß man sich mit dem IWF einig, zumindest im Prinzip. Nach dem Willem der Gewerkschafer sollen die Chaebol-Chefs mit ihrem persönlichen Vermögen für die "faulen" Kredite haften. Auch soll mit dem System gegenseitiger Bürgschaften zwischen Unternehmen einer Chaebol-Gruppe schluß gemacht werden, das viel zu Undurchsichtigkeit der Bilanzen beiträgt. Von der Regierung wird schließlich verlangt, daß sie den größeren Banken die Umwandlung von Krediten in Beteiligungen ermöglicht und dafür sorgt, daß Vertreter der Banken und der Gewerkschaften in die Unternehmensvorstände aufgenommen werden.

Statt Massenentlassungen regt der Gewerkschaftsbund eine konzertierte Aktion von Kapital, Arbeit und Regierung an. Bis zum Jahre 2000 soll die jährliche Arbeitszeit auf 2.000 Stunden verringert werden. Zwei Millionen neue Arbeitsplätze wären so zu schaffen. Außerdem solle die Regierung sich dem Wunsch von IWF und Unternehmerverbänden widersetzen, Leiharbeitsfirmen zuzulassen.

In Sachen Neuverhandlung, so Yoon in der Seouler Gewerkschaftszentrale, müsse internationaler Druck auf den IWF entwickelt werden. Vor allem die Hauptanteilseigner wie USA und Deutschland seien gefragt. Die IWF-Kriterien nähmen keine Rücksicht auf die südkoreanische Realität und seien eher geeignet, seiner Wirtschaft weiter zu schaden. Der KCTU fordert, daß der IWF einen "sozialen Dialog" mit den Gewerkschaften führt. Sowohl Kim Dae-jung als auch IWF-Vertreter haben bereits angekündigt, daß man sich noch einmal über Details unterhalten wolle.

Dennoch soll weiter Druck auf die Seouler Regierung ausgeübt werden. In den Mitgliedsgewerkschaften des KCTU bereitet man sich daher auf einen neuen Generalstreik vor. Welche Formen der allerdings annehmen werde, konnte Yoon noch nicht ausmachen. Auch ein Datum mochte er noch nicht nennen. Wahlkampf-Äußerungen des KCTU-Vorsitzenden Kwon Young-kil lassen allerdings darauf schließen, daß es im Februar so weit sein wird.

(wop)