Betrieb & Gewerkschaft

1. Mai in Kiel

3.000 demonstrierten eitel Sonnenschein

Neulich war mal wieder 1. Mai, auch Tag der Arbeit genannt. Alles, Demo, Kundgebung und Volksfest mit Kinderkarussel, Propagandaständen und Würstchenbuden, fand bei sommerlicher Temperatur unter blauem Himmel mit strahlendem Sonnenschein statt. So war es richtig nett, man traf sich mal wieder (frau natürlich auch).

Früher, im Gefolge der 68er-Bewegung, als in Kiel Lehrlinge und StudentInnen und die damals entstehenden K-Gruppen dafür gesorgt hatten, daß der DGB den 1. Mai nicht mehr länger als Gedenktag im Legiensaal abfeierte, sondern auf die Straße ging, wurde dieser Tag (wieder) zum "Kampftag der Arbeiterklasse" erklärt. Das war für die damalige Gewerkschaftsführung sehr, sehr unbequem, und sie reagierte schließlich auf solche und ähnliche Störungen (z.B. die Besetzung des Gewerkschaftshauses) mit Anwendung des Unvereinbarkeitsbeschlusses, was etliche Ausschlüsse zur Folge hatte.

Heute dagegen läßt die alte und neue Linke es zu, daß wieder gefeiert wird, harmonisch mit Platzkonzert und Bier, und mit einem Bürgermeister zum Anfassen, der, trotz der schmerzhaften Folgen seines rigorosen Sparkurses in Kiel, keine Probleme hat, sich ohne Bodygard unters linke Volk zu mischen. Eben richtig nett. Dann spricht unsere Landesmutter, die gleichzeitig oberste Arbeitgeberin des Öffentlichen Dienstes in Schleswig-Holstein ist, wo massenhaft entlassen und privatisiert wurde, was ihrem Auftritt aber beileibe keine Pfiffe, sondern dennoch freundlichen Applaus einbringt. Sie spricht über Steuern, die wir alle für gesamtgesellschaftliche Ausgaben wie die Deutsche Einheit aufbringen müßten: "Es ist gerechter, wenn auch Beamte, Zahnärzte, Rechtsanwälte, Abgeordnete und Ministerpräsidentinnen dazu beitragen", scherzt sie. Daß sich die Abgeordneten in Bonn vier Wochen zuvor gerade erst eine Diätenerhöhung von monatlich 525 DM genehmigt hatten und die nächste für Januar 1999 schon beschlossen ist, bleibt von Rednerin und Publikum unerwähnt.

SPD-Wahlkampf ist an diesem Tag der Arbeit angesagt. Heide Simonis plädiert, wie Gerhard Schröder, für den technologischen Aufbruch ins Jahr 2000. Und wie Schröder für die Bundesrepublik hat auch der diesjährige Mai-Aufruf des DGB für Schleswig-Holstein u.a. zu Investitionen in der Gen- und Biologietechnologie aufgefordert, "um den guten Standort Deutschland zu erhalten". Aber sog. "Veto-Gruppen" (Schröder), die den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt gefährden, weil sie ihn "mit laienhafter Beliebigkeit beurteilen" (Schröder), waren bei der Kieler Mai-Kundgebung nicht zu hören und zu sehen.

Und noch eine "Kleinigkeit" am Rande, weil wir gerade beim DGB-Mai-Aufruf 1998 sind: Auf dem Blatt wird in einem Kasten ausführlich für die Volksfürsorge geworben, u.a. mit angeblicher Schaffung von Arbeitsplätzen durch diese Versicherung und den Möglichkeiten für persönliche Karrieren im Außendienst. Daß die seit 1913 gewerkschaftseigene Versicherung an die Privatwirtschaft verscherbelt wurde, daß es sich bei den angebotenen persönlichen Karrieren um härteste Klinkenputzerjobs handelt und daß die Angestellten der Volksfürsorge mit der HBV gegen massive Rationalisierungen um ihre Arbeitsplätze kämpfen und gewerkschaftliche Solidarität brauchen, wird glatt umgelogen.

Doch zurück zum Wahlkampf unserer Landesmutter am 1. Mai und zu ihrem lammfrommen Publikum. Heide Simonis sorgt sich um den Anstieg der Lohnnebenkosten und lastet ihnen an, daß die Arbeit teurer und die Arbeitsplätze weniger würden. Als der 1. Mai noch Kampftag der Arbeiterklasse hieß, hätte das ein Pfeifkonzert ausgelöst, denn damals war den versammelten Linken noch geläufig, daß es sich bei den sog. Lohnnebenkosten um nichts anderes handelt als um einbehaltenen Lohn, und sie hätten kaum geduldet, daß man oder frau ihnen am 1. Mai durch die Blumen Lohneinschränkungen nahelegt. Daß dagegen bei dieser Wahlveranstaltung für Schröder auch unsere Mitbürger ohne deutschen Paß relativ leise demonstrieren und beim anschließenden Volksfest nicht mehr zu sehen sind, versteht sich wegen der Schröderschen CSU-Sprüche über "kriminelle Ausländer" schon fast von selbst. Und auch die Handvoll anwesender Arbeitsloser, denen die Gewerkschaftsbürokratie einen eigenen Redebeitrag verweigert hatte, hält sich taktvoll zurück.

So viel Harmonie soll von der kommenden SPD-Regierung belohnt werden. Zum Beispiel mit dem zügigen Aufbau eines Dritten Sektors für gemeinnützige Arbeit, auch "gemeinnütziger Beschäftigungssektor" genannt (Simonis) oder "Non- oder Lowprofit-Sektor" (Simonis) oder "Niedrigstlohnsektor" (Schröder). Und falls das zur Ruhigstellung der benachteiligten Massen beim wirtschaftlichen Aufschwung des "Standortes Deutschland" nicht reichen sollte, wird auch schon für mehr innere Sicherheit gesorgt. Dann kann doch auch der 1. Mai wieder im Saal gefeiert werden, wie in den goldenen 60er Jahren.

(Text: Eva D., Fotos: usch)