Internationales

Heißer Frühling

Industriestaaten wollen Großkonzernen weltweit umfassende politische Befugnisse einräumen

In diesem Frühling findet eine Reihe von entscheidenden Verhandlungen zwischen den Mächtigsten der Weltwirtschaft statt, bei denen global Bedingungen für eine "neue Weltwirtschaftsordnung" geschaffen werden sollen.

Dafür soll der Weltmarkt weiter liberalisiert werden. Politische und rechtliche Möglichkeiten zur Machtbegrenzung großer Konzerne sollen entscheidend eingeschränkt werden. Gleichzeitig sichern sich Nationalregierungen die Stellung zur innenpolitischen Durchsetzung und Verteidigung der neuen "Verfassung der Weltwirtschaft".

Diese Globalisierung der Wirtschaft ist jedoch kein zwangsläufig stattfindender, "natürlicher" Prozeß, sondern das Resultat einer gewollten Politik, die versucht, jeden mehr oder weniger unabhängigen Wirtschaftsraum in den Weltmarkt einzugliedern. So können die derzeitigen Gewinner der Weltwirtschaft ­ das sind besonders transnationale Konzerne ­ weitere Rohstoffquellen, Arbeitsmärkte und Absatzmärkte erschließen. Durch deren einseitig an Gewinnmaximierung orientiertes Wirtschaften wird sich die Konzentration des Reichtums in den Händen Weniger verstärken. Auf der anderen Seite werden große Bevölkerungsgruppen in die Arbeitslosigkeit oder in ungesicherte Lohnverhältnisse gedrängt. Wirtschaftsweisen, die bisher weitgehend auf Selbstversorgung beruhen, brechen zusammen und werden von den Weltmarktführern übernommen. Eine selbständige Verfügung über die Naturressourcen und über ihre eigene Zeit sowie der direkte Zugang zu den anderen Konsumenten wird der Bevölkerungsmehrheit so erschwert oder gar unmöglich gemacht.

Das wird zu einer direkten wirtschaftlichen Abhängigkeit des weitaus größten Teils der Weltbevölkerung führen. Falls sich diese Entwicklung weiter fortsetzen sollte, wird eine rapide Verschärfung von Armut und Umweltzerstörung kaum abwendbar sein, während einige Großkonzerne über neuartige, umfassendere Möglichkeiten verfügen werden, ihre Gewinne zu vergrößern.

Weltweiter Widerstand von unten: HOT SPRING '98

Die wahrscheinlich einzige wirklich erfolgversprechende Perspektive, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, beinhaltet ein breites Bündnis der benachteiligten Bevölkerungsgruppen.

Wenn es gelingt, eine "horizontale Vernetzung" untereinander herzustellen, wenn über Ländergrenzen hinweg gemeinsame Forderungen aufgestellt und mit Nachdruck vertreten werden, kann die Stimme der Benachteiligten nicht länger überhört werden.

Ein breiter Ansatz sollte unterschiedliche Strategien beinhalten. Eine davon ist die Schaffung einer Vielfalt von selbstverwalteten Wirtschaftssystemen im kleinen Maßstab ­ mit unabhängiger Nahrungsmittelproduktion, Gesundheitsversorgung, Kommunikation und kulturellem Leben. Eine andere ist die öffentliche Ablehnung und der Abbau der riesigen Wirtschaftsmächte. Dies sind zwei Aspekte des Widerstandes, die jeder für sich allein wahrscheinlich lange nicht so wirksam sein können. Worum geht es nun konkret?

HOT SPRING `98: Lokale und globale Alternativen ­ Bereits laufende Kampagnen

Peoples Global Action (PGA)

"Weltweite Aktion gegen Freihandel und die WTO" ist ein neues Bündnis vieler unterschiedlicher Basisbewegungen, Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Einzelpersonen aus der ganzen Welt. Sie soll als globale Plattform für Kommunikation und Koordination für all jene eine Hilfe sein, die gegen die Zerstörung der Umwelt und der Menschlichkeit durch Großkonzerne aktiv sein und lokale und überregionale Alternativen aufbauen wollen ­ z.B. im wirtschaftlichen Bereich eine selbstverwaltete Vernetzung von ProduzentInnen und KonsumentInnen. Die PGA ruft dazu auf, Widerstandsbewegungen auf den unterschiedlichsten Ebenen ins Leben zu rufen, z.B. in Form des gewaltlosen zivilen Ungehorsams.

Die PGA hat keine Mitgliedschaft und ist keine juristische Person. Sie will lediglich die Koordination und den Informationsfluß mit Hilfe von Konferenzen und Informationsvermittlung erleichtern. Eine PGA-Datenbank informiert mit Texten und bibliographischen Verweisen über das Thema "Freihandel" und über oppositionelle Bewegungen auf der ganzen Welt. Sie wird über das Internet unter http://www.agp.org zugänglich. Zusätzlich werden eine Vielzahl von E-Mail-Diskussionsforen eingerichtet.

Ungefähr alle zwei Jahre, immer drei Monate vor der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO, findet eine PGA-Konferenz statt. Diese wird von einem Komitee einberufen, das sich aus Organisationen und Bewegungen aus der ganzen Welt zusammensetzt, die aus unterschiedlichen sozialen Bereichen kommen. Jede Konferenz wählt ein neues Einberufungskomitee. Die erste PGA-Konferenz tagte vom 23. bis 25.2.1998 in Genf.

Kein Patent auf Lebewesen!

Weltweit wurden in den letzten Jahren schon unzählige Patente auf Lebewesen erteilt. Die meisten von ihnen wurden beim US-Patentamt und anderen nationalen Patentämtern angemeldet und sollen die Rechtsgrundlage bieten, um z.B. gentechnisch veränderte Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere und "Menschenteile" (Organe, Gewebe, Zellen) als "Erfindungen" und damit als privaten Besitz ("geistiges Eigentum") zu verteidigen.

Alternativen zur Gentechnik

Die heute von Großkonzernen gelenkte Gentechnologie ist ein folgenschwerer Angriff auf jegliche Demokratie. Deshalb ist es strategisch notwendig, auf zwei voneinander unabhängigen Ebenen zu arbeiten, um einen Mißerfolg unwahrscheinlicher zu machen:

Proaktiver Widerstand

... würde z.B. den Aufbau eines eigenen, zwangsläufig z.T. nicht legalen Saatgutmarktes beinhalten, in dem Menschen kostenlos Saatgut tauschen können, das nicht unbedingt den offiziellen europäischen Saatgutauflagen entspricht. Solche Aktivitäten verbinden unterschiedliche wichtige Elemente wie Schutz der Artenvielfalt, Selbstbestimmung, zivilen Ungehorsam und die Schaffung lokaler ­ später vielleicht regionaler ­ Kontrolle über Ernährung und Landwirtschaft durch die produzierende Bevölkerung selbst.

Vorsorgende Aktivitäten wie diese wären gerade dann besonders lebensnotwendig, wenn sich die Gentechnologie der Unternehmen ungeachtet des Widerstandes durchsetzen würde. In solch einem Fall müßte die verbleibende Biodiversität für ein weiteres Überleben erhalten werden, so daß ein gleichberechtigter Zugang aller Menschen möglich ist.

Reaktiver Widerstand

... muß eine öffentliche inhaltliche Kritik an der Gentechnologie beinhalten. Dabei sollten die Kampagnen sich eindeutig an die Unternehmen, die politischen Funktionäre und die WissenschaftlerInnen richten, die die Verbreitung der transgenen Produkte durchsetzen, um sowohl die Öffentlichkeit zu informieren als auch einer weiteren Verbreitung entgegenzuwirken.

Geld-oder-Leben-Karawane Mai '98

Die "Widerstand weltweit"-Arbeitsgruppe (WiwA Wendland) wird anläßlich der WTO-Konferenz vom 18.-20.5.98 eine Karawane organisieren ­ mit solidarisch-politischer Lebenspraxis und einem Austausch mit der Bevölkerung der durchreisten Regionen. Fahrräder werden die Hauptverkehrsmittel sein, begleitet von einigen Treckern, die die Wendländische Volksküche, Zelte, Bühnenwagen usw. transportieren. Damit die Teilnahme nicht am Geld scheitert, soll die Küche auch diesmal wieder nach dem Grundsatz funktionieren: "Jede/r gibt so viel wie möglich und nimmt so viel wie nötig". In einer Sternfahrt sollen sich die Teilkarawanen aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands im Finanzzentrum Frankfurt am Main treffen, um dann zum Konferenzort Genf weiterzuziehen.

Kampagne gegen das MAI

Weltweit erhebt sich Widerstand von Gewerkschaftsverbänden, Frauen-, Umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen, Studierenden, WissenschaftlerInnen und vielen anderen gegen das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) mit den Forderungen:

20 Mio. Menschen gegen Weltwirtschaftsforum

Als sich anläßlich des diesjährigen Gipfeltreffens des Weltwirtschaftsforums im Januar ein Bündnis von 192 NGOs, sozialen Basisbewegungen, Gewerkschaften und Kirchengruppen aus 54 Ländern bildete, wurde deutlich, daß der weltweite vernetzte Widerstand gegen den Neoliberalismus inzwischen von 20 Mio. Menschen getragen wird ­ wenn allein die Mitglieder dieser 192 Organisationen gezählt werden, die einen Widerspruch gegen das Weltwirtschaftsforum unterzeichnet haben. Sie bekunden darin ihre Ablehnung gegenüber "der Globalisierung und der damit einhergehenden Zentralisierung von wirtschaftlicher und politischer Macht und deren Konzentration auf nicht belangbare, undemokratische Institutionen wie die WTO".

Globalisierung des Verkehrs

"Concrete Action" nennt sich die Arbeitsweise einer Gruppe verkehrspolitisch Aktiver, die die Rolle des Verkehrs im Zusammenhang mit dem "freien" Welthandel verdeutlichen wollen. Es geht dabei z.B. darum zu zeigen, welche Verbindungen zwischen Unternehmen und Straßenbau bestehen, wieviel Steuergelder für Straßenbau verwendet werden, welchen Energieverbrauch, welche Emissionen und welche Naturzerstörung Autos verursachen, wieviel Platz sie einnehmen, warum der Mythos "Sauberes Auto" nur eine neue Vermarktungsstrategie ist und ähnliches mehr. Es soll ein Netzwerk geschaffen werden, das Aktionen ankündigt, über sie berichtet und Hintergrundinformationen zu europaweiten Infrastruktur-Großprojekten verbreitet.

(gekürzter Nachdruck aus: DER RABE RALF ­ umweltabhängiges Monatsblatt ­ März '98)

 

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