Kultur

KAMPEC DOLORES und HEAD MIX COLLECTIVE in der Alten Meierei

Funky Folk

Was haben Folk und Weltmusik mit Punk, Funk und Indie-Wave zu tun? Nichts, möchte man meinen. Kampec Dolores und das Head Mix Collective bewiesen in der Alten Meierei das Gegenteil.

Wenn es so etwas gäbe und Schubladen denn notwendig wären, würde man Kampec Dolores auf dem Feld des "Art-Punk" verbuchen. Sprich: es geht bei dem ungarischen Quintett wild und klangexperimentell zu, gestützt von treibenden und durchaus pogo-baren Beats. Sängerin Gabi Kenderesi könnte mit ihren guturalen Scats, Kantilenen und quäkenden Vokalisen in einer seltsamen Phantasiesprache bei Maria João in die Schule gegangen sein. Das aber ist nun ein ganz anderes Genre. Und so tut man gut daran, die Vergleiche beiseite zu legen. Kampec Dolores begannen ihren Gig eher zahm: Gitarren wie MG-Salven, schrilles Unisono von Geige und Sopran-Saxophon, immer wieder durchsetzt mit melodiös-grüblerischen Breaks, das läßt sich noch nebenbei verköstigen und evoziert im Publikum ein einverstandenes Mitwippen irgendwo zwischen der Eins und polyrhythmischen Offbeats. Doch mit der Zeit gerieten Kampec Dolores mehr und mehr in eine trance-artige Fahrt, in deren Verlauf die Stücke von ihnen selbst dekonstruiert wurden, auseinanderfielen. Es sind dies die seltenen Momente, wo Kunst, sich selbst reflektierend und um sich kreisend, zu etwas Großem wird, das über bloßes Können hinausgeht, wo plötzlich ein Funke überspringt, nicht nur von den Künstlern zum Publikum, sondern in beide Richtungen. Das Publikum war der eigenen Begeisterung noch nicht gewiß und vollzog so Kampec Dolores' Experiment gleichsam unbewußt nach. Diese Verstörung war erst mit dem furiosen Abschied der Ungarn aufgehoben. Backvoicing-Effekte und Balázs Dongós schrill schnarrendes Bambus-Didgeridoo entließen die Zuhörer viel zu früh in die Pause. Hier hätte man noch Stunden kontemplierend zuhören mögen.

Die Spannung, die Kampec Dolores mit ihrer unvergleichlichen Mischung aus Weltmusik und ultrahartem Beat aufgebaut hatten, konnte das Head Mix Collective entladen. Die Londoner Band ist nicht weniger als Kampec Dolores ein Grenzgänger zwischen Folk-Elementen und zupackendem Funk. Nur ist die Anlage ihrer Stücke wesentlich geradliniger und damit auch eingängiger. Schon bei den ersten vom dicht gewebten Schlagwerkteppich unterlegten Jigs aus Harmonika und Geige ging das Publikumn ab. Die von den Ungarn gelegte Lunte brannte lichterloh und machte bei den Head Mixes selbst vor so "Klassischem" wie einem puren Reggae nicht Halt. "Heimspiel", hieß es aus der Schar der Begeisterten, die sich noch an den Gig des Collectives im September erinnerten. Schweißtreibend ging so in der Alten Meierei ein Abend extravaganter Musik erst nach Mitternacht zu Ende.

(jm)