Internationales

Neue Kampfbereitschaft

In Südkorea wehren sich Arbeiter gegen die Auswirkungen der Krise

Düstere Aussichten für ein Wachstum gewohntes Land: Auf 6 bis 7,2% soll die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr in Südkorea nach Ansicht der meisten dortigen Wirtschaftsforschungsinstitute klettern. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) teilt diese Einschätzung. Sein jüngster "Weltwirtschaftlicher Ausblick" geht von 6,8% aus. Noch pessimistischer ist man beim Samsung Forschungszentrum. Dort hält man es gar für möglich, daß am Ende des Jahres zwei Millionen Südkoreaner ohne Job dastehen werden, was 9,3% entspräche.

Die Gewerkschaften, v.a. der radikalere Dachverband KCTU (Korean Confederation of Trade Unions), reagieren mit Streiks und Demonstrationen. Die Abwälzung der Krisenfolgen auf die Beschäftigen will man nicht hinnehmen. Denn in dem ostasiatischen Land bedeutet für die meisten Arbeitslosigkeit den Absturz ins Elend. Angesichts einer sich erst im Aufbau befindlichen Arbeitslosenversicherung bleibt oftmals nichts anderes übrig, als bei Freunden und Verwandten betteln zu gehen. Kaum verwunderlich, daß mancher diesen Druck nicht mehr aushält: Das "Policy and Information Center for International Solidarity" (PICIS) in Seoul berichtet von mehreren Selbstmorden verzweifelter Arbeiter pro Woche. So hat sich Anfang Mai der Taxifahrer Sung Koo Jung öffentlich verbrannt, nachdem seine Gesellschaft den Fest-Betrag, den die Fahrer täglich abliefern müssen, erhöhte.

Zwei Tage nach Sungs tragischer Tat traten am 7.5. 5.000 Arbeiter in verschiedenen Betrieben der Mando Maschinenfabrik in den Streik, um ausstehenden Lohn einzufordern. Mit über 6.000 DM pro Arbeiter steht das Unternehmen bei seinen Beschäftigten bereits in der Schuld, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Familien ernähren sollen. Auch von hier wird von einem Selbstmord aus Verzweiflung berichtet.

In anderen Branchen bahnen sich ebenfalls Arbeitskämpfe an. Die im KCTU organisierten Beschäftigten des öffentlichen Dienstes drohen z.B. an, ab dem 5.6. in den Ausstand zu treten. Ihre Gewerkschaft fordert Arbeitsplatzgarantien und Mitsprache bei der Reform des öffentlichen Sektors. Zum Streik könnte es auch in der Metallindustrie kommen, wo die Gewerkschaften ab dem 27.5. die Arbeit niederlegen wollen, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden.

Der neue Präsident Kim Dae Jung scheint jedoch entschlossen, eine harte Linie gegenüber der Arbeiterbewegung durchzuhalten. "Die Arbeiterseite muß Flexibilität zeigen, damit die ausländischen Investoren, die mit Geld in der Tasche vor der Tür stehen, hereinkommen können", wird er von Seouler Zeitungen zitiert. Passend dazu hat das Parlament den IWF-Auflagen folgend ein Gesetz verabschiedet, daß ab Ende Mai die Regel aufhebt, nach der Ausländer nur 55% einer Aktiengesellschaft besitzen dürfen. Beschränkungen soll es künftig nur noch bei Branchen von strategischem Interesse geben.

Im gleichen Zusammenhamg droht der einstige Oppositionelle Kim weitere Repression an: "Die Regierung wird strenge Maßnahmen gegen die Teilnahme von Studenten an Arbeiterdemonstrationen ergreifen." Passend dazu beschloß Mitte Mai ein von der Regierung einberufenes Expertentreffen, künftig Anti-Aufstands-Einheiten der Polizei frühzeitig gegen illegale Streiks einzusetzen. Besonders den starken links-nationalistischen Studentenverband Hanchongnyon hat man im Visier, der für die Zusammenstöße am 1. Mai verantwortlich gemacht wird. Auch gegen einen neuen Verband von Arbeitslosen, der sich an den Gewerkschaftsaktionen beteiligt hat, will man vorgehen.

Bei Zusammenstößen mit der Polizei waren in Seoul am 1. Mai Berichten koreanischer Zeitungen zur Folge 56 Demonstranten verletzt worden. Laut gleichen Quellen hatten mehr als 22.000 Arbeiter und Studenten gegen Massenentlassungen demonstriert. Mehrere Gewerkschaftsführer wurden nach den Protesten verhaftet, so der linke Informationsdienst "PICIS-Newsletter". Nach insgesamt 98 Personen werde gefahndet. Die Oberstaatsanwaltschaft macht die Demonstranten für die Gefährdung der sozialen Stabilität und der wirtschaftlichen Erhohlung verantwortlich. Man werde eine Ermittlungskommission einsetzen und auch untersuchen, inwieweit die Führungen von KCTU und Hanchongnyon in die Vorfälle verwickelt gewesen seien.

Die Gewerkschafter sehen allerdings die Verantwortung für die Ausschreitungen bei der Polizei, die eine legale und friedliche Demonstration unterbrochen habe. In der KCTU-Zentrale sieht man in den Vorgängen ein ideologische Manöver der Regierung zur Vorbereitung der Drei-Parteien-Gespräche zwischen Unternehmern, Gewerkschaften und Regierung, die demnächst wieder aufgenommen werden sollen.

Die KCTU verlangt daher die sofortige Freilassung der Festgenommenen und die Bestrafung der verantwortlichen Polizisten. Auch wolle man an den Gesprächen nicht eher teilnehmen, ehe nicht klar ist, daß die Regeln für Massenentlassungen, auf die man sich Ende Januar geeinigt hatte, neu verhandelt werden und der Status der Gespräche aufgewertet wird.

Unterdessen haben sich 52 Organisationen und Verbände, darunter auch der KCTU und die Nationale Allianz für Demokratie und Wiedervereinigung, zu einer Initiative für Beschäftigung und Arbeitslose zusammengeschlossen. Sie verlangen von der Regierung effektive Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung und Neuverhandlung der IWF-Auflagen. "Jede Woche wird es Aktionen für eine Verkürzung der Arbeitszeit und Arbeitslosenversicherung geben", hieß es auf einer Pressekonferenz in Seoul.

Das System der Chaebols genannten Industriekonglomerate müsse grundlegend reformiert, unfähige Manager entlassen werden. Die Gewerkschaften verlangen bereits seit längerem, daß die Bosse der meist von Familien gesteuerten Chaebols mit ihrem beträchtlichen Privatvermögen für die Schuldenlast ihrer Unternehmen einstehen. Die exzessive Verschuldung der Chaebols ist eine der Hauptursachen für Südkoreas schwere Wirtschaftskrise.

Das neue Beschäftigungsbündnis ist durchaus beachtenswert. Bereits anläßlich der Präsidentschaftswahlen im Dezember war die Allianz unter dem Namen "People's Victory 21" ein Bündnis mit der KCTU eingegangen. Jetzt haben sich weitere Gruppen des sog. Lagers der nationalen Befreiung angeschlossen. Die neue Initiative ist damit, wie auch die Teilnahme der Studenten an den Protesten der letzten Wochen, ein Zeichen für eine Umorientierung in der südkoreanischen Linken. Vor allem für die Mehrheit der Studentenbewegung stand bisher der Kampf um Wiedervereinigung des Landes im Vordergrund. Angesichts der Krise wendet man sich nun auch dort vermehrt der bisher vernachlässigten Arbeiterbewegung zu.

Auch innerhalb der KCTU-Führung hat es deutliche Veränderungen gegeben. Ende Januar hatte der alte Verbandsvorstand mit der Regierung eine Art Stillhalte-Abkommen geschlossen, u.a. da man befürchtete, in der Öffentlichkeit die Schuld für eine weitere Verschärfung der Krise zu bekommen. Damit hatte sich die Führung allerdings nicht an die Beschlüsse der nationalen Delegiertenkonferenzen gehalten. Heftige Auseinandersetzungen waren die Folge. Anfang April wurde schließlich mit Lee Kap Yong ein neuer Vorsitzender gewählt, der wieder mehr auf Konfrontation und Massenaktionen setzt.

(wop)