Antimilitarismus

Totalverweigerer: Rechtsberatung kriminalisiert

Am 20.5. hat das Amtsgericht Braunschweig unter Vorsitz der Richterin Quade-Polley zwei Mitarbeiter der Totalverweigerer-Initiative Braunschweig, den Diplom-Mathematiker Detlev Beutner (28) und den Bildhauer Rainer Scheer (28), wegen angeblichen "Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz" (RBerG) in drei Fällen zu einer Gesamtgeldbuße von jeweils 1.300 DM verurteilt. Die Betroffenen haben Rechtsmittel angekündigt.

Beutner und Scheer, selbst Totale Kriegsdienstverweigerer, hatten in den Jahren 1995/96 zwei befreundete Antimilitaristen in deren Strafprozessen wegen "Dienstflucht" bzw. "Fahnenflucht" verteidigt. Nach der Strafprozeßordnung können auch Nichtjuristen mit der Zustimmung des betroffenen Gerichts als Verteidiger zugelassen werden (§ 138 Abs. 2 StPO). Diese Zulassung hatten die beiden Braunschweiger bei den Gerichten in Nordrhein-Westfalen bzw. Schleswig-Holstein jeweils erhalten.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig warf den zwei Mitarbeitern der Totalverweigerer-Initiative vor, sie "hätten sich entschlossen, in einer Vielzahl von Fällen Totalverweigerer in gegen diese anhängigen Strafverfahren zu vertreten", ohne eine Erlaubnis "zur geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten" zu besitzen. Ins Rollen gekommen war das Verfahren, nachdem der Präsident des Amtsgerichts Braunschweig, Brackhahn, eine Dienstaufsichtsbeschwerde der beiden zugelassenen Verteidiger gegen einen Mitarbeiter des Amtsgerichts zu entscheiden hatte, da zunächst Akten am Amtsgericht Braunschweig, welches die Akteneinsicht zu regeln hatte, 'verloren' gegangen waren, und später die Geschäftsstelle das Anfertigen von Kopien aus den Akten verweigern wollte. Brackhahn wandte sich daraufhin an die Staatsanwaltschaft und erklärte: "Beutner und Scheer haben sich als selbst wegen Wehrdienstverweigerung Verurteilte in besonderem Maße mit der Materie der Wehrdienstverweigerung befaßt. Offenbar gelten sie in Kreisen Betroffener als besonders sachkundig. Es liegt daher nahe, daß sie bei sich bietender Gelegenheit wieder zur Übernahme einer Verteidigung bereit sein werden. Ich bitte, dem Verdacht nachzugehen."

Im Zuge des Ermittlungsverfahrens hatte die Staatsanwaltschaft am 24.4.1996 mit einem Beschluß des Ermittlungsrichters Nitschke die Wohnungen von Beutner und Scheer durchsuchen lassen. Dabei hat sie die gesamten Verteidigerakten in den laufenden Verfahren und weitere Ordner mit diversem Schriftverkehr beschlagnahmt.

Die Hauptverhandlung hatte am 18.5. begonnen. In ihr hatten die Betroffenen und die Verteidigung ausführlich dargelegt, daß zum einen durch die zum Vorwurf erhobene Verteidigertätigkeit die Schutzzwecke des RBerG überhaupt nicht betroffen sein können, weil durch die Zulassungsregelung der Strafprozeßordnung zwingend eine richterliche Überprüfung sowohl der Sachkompetenz als auch der Zuverlässigkeit stattfindet. Der Schutz der Rechtsanwaltschaft seinerseits könne schon deshalb nicht betroffen sein, weil eben keine 'gewerbsmäßige' Rechtsberatung stattgefunden habe. Zum anderen wurde darauf verwiesen, daß dieses im Jahre 1935 und primär zur Eliminierung der Juden aus der Rechtsberatung eingeführte Gesetz immer wieder von der Justiz nicht nur in den Fällen, in denen Schutzzwecke tangiert werden, angewendet wird, sondern auch in anderen Fällen, in denen die Justiz sich schlicht 'politisch unerwünschter Elemente' entledigen will.

Am 20.5. erfolgte nach dem halbstündigen 'letzten Wort' durch Beutner und Scheer und einer zehnminütigen Unterbrechung die Urteilsverkündung durch Richterin Quade-Polley. Sie verurteilte die beiden Betroffenen zu Einzelgeldbußen von 400, 400 und 300 DM und stellte das Verfahren ­ entgegen dem Antrag der Verteidigung, die eine Entscheidung in der Sache gewünscht hatte ­ in den beiden Fällen, in denen eine Zulassung beantragt, aber nicht erteilt worden war, ein. Die beiden letzten Teilsummen setzen sich aus den Zulassungen in den Verfahren gegen den Totalverweigerer Steffen Loecke zusammen, der zunächst in Husum wegen 'Fahnenflucht' verurteilt worden war, dann erneut seinen Dienst antreten sollte, und, da er dies nicht tat, vor dem Amtsgericht Neumünster erneut angeklagt worden war. Jenes Amtsgericht hatte ­ in Kenntnis der vorhergehenden Zulassung von Beutner und Scheer durch das Amtsgericht Husum ­ die beiden wiederum als Verteidiger zugelassen und anschließend das Hauptverfahren nicht eröffnet, da es sich um einen verfassungswidrigen Versuch der Doppelbestrafung, also rechtlich um dieselbe Sache handelte. Über diese Wertung setzte sich das Amtsgericht Braunschweig hinweg und erklärte, es habe sich hierbei um "zwei verschiedene Verfahren an zwei verschiedenen Amtsgerichten an verschiedenen Orten" gehandelt, und der zur Verhandlung stehende Stoff sei nur "ähnlich" gewesen.

Im übrigen erklärte Quade-Polley, ein "erhebliches Indiz" für das Vorliegen von 'geschäftsmäßiger Rechtsberatung' sei u.a. "die angegebene langjährige Beobachtung von Strafprozessen", auf die die Betroffenen zur Untermauerung ihrer Sachkunde in ihren Anträgen auf Zulassung als Verteidiger hingewiesen hatten. Die Richterin erklärte, zwar seien die "Betroffenen besonders sachkundig", und insofern bestünden auch keine wirklichen Bedenken, was den Schutz der seinerzeit angeklagten Totalverweigerer vor 'unzuverlässiger Rechtsberatung' betreffe. Es gehe jedoch um die grundsätzliche Frage, wie dies in anderen Fällen aussehen könne. Warum die Zulassung als Verteidiger seinerzeit erfolgte, sei der Richterin "nicht ersichtlich", eventuell hätten die jeweiligen Gerichte nichts von den anderen erfolgten Zulassungen gewußt.

Dr. Helmut Kramer, der sich, selbst ehemaliger Richter am Oberlandesgericht Braunschweig, in diesem Verfahren gem. § 138 Abs. 2 StPO ebenso wie seinerzeit die Betroffenen als Verteidiger hat zulassen lassen, hatte sich nach seinem am 18.5. gehaltenen Plädoyer selbst wegen Verstoßes gegen das RBerG angezeigt, da bei ihm exakt die Voraussetzungen vorliegen, die zu dem Verfahren gegen Beutner und Scheer geführt hatten. Weder am 18., noch am 20.5., auch nicht nach nochmaligem Hinweis der Betroffenen auf diese widersprüchliche Situation, regte die Staatsanwalt einen Entzug der Zulassung an, noch entzog Quade-Polley diese von sich aus. Die Richterin erklärte hierzu, schließlich sei Kramer früher Honorarprofessor in Bremen gewesen, und hätte damals sowieso als Verteidiger auftreten dürfen. Sie ließ hingegen offen, was dies mit der jetzigen zeitlichen Situation zu tun hatte, in der diese Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Beutner und Scheer erwägen, sowohl die Richterin Quade-Polley als auch den Staatsanwalt Meyer-Ulex wegen dieses Verhaltens ­ vor dem Hintergrund der erfolgten Verurteilung ihrerseits ­ wegen Rechtsbeugung anzuzeigen.

Im Anschluß an das Verfahren übergaben die Betroffenen 50 Selbstanzeigen von KDV-BeraterInnen aus der gesamten Bundesrepublik, die seit Jahren Beratung für Kriegsdienstverweigerer in über 6.000 Fällen durchgeführt haben, an die Staatsanwaltschaft. Diese Art der freien Rechtsberatung, die als selbstverständlich angesehen wird und seit über 20 Jahren nicht mehr kriminalisiert wird, fällt sehr viel eher unter das RBerG, da hier sowohl eine Beratung in deutlich höherem Umfang als auch ohne Kontrolle der Sachkompetenz durch Gerichte stattfindet. Sollte die Staatsanwaltschaft hier tatsächlich ermitteln, und nicht etwa weiterhin nur selektiv politisch vorgehen, so werden innerhalb der nächsten Monate Ordnungswidrigkeitenverfahren das gesamte Land überziehen. Die Totalverweigerer-Initiative kündigte an, diese Selbstanzeigenaktion fortzusetzen und zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig weitere Anzeigen zur Übergabe an die Staatsanwaltschaft parat zu haben.

(Presseerklärung der Totalverweigerer-Initiative Braunschweig)

Die TKDV-Initiative Braunschweig hat eine 50-seitige Dokumentation zu dem Verfahren erstellt.