Kommentar

Eine schrecklich nette Familie

Daß Politiker mehr lügen als andere Menschen, ist bekannt. Ein Skandal ist, daß die Atomindustrie seit mindestens 1984 versucht, die radioaktiven Verschmutzungen an den rollenden Atommülltonnen zu vertuschen. Aber als wäre dieser Vertrauens-GAU, der größte anzunehmende Unfall also in das Vertrauen der Kernenergie nicht schon Zumutung genug, geben sich alle Verantwortlichen obendrein noch vollkommen ahnungslos. Allein ein paar Techniker hätten von den Verstrahlungen gewußt. Die naiven Wissenschaftler in den Atomkraftwerken erhielten also eine Strahlenmeldung, sagten "Na so was, das strahlt ja stärker als erlaubt" und ließen die Unterlagen ganz schnell in der Ablage verschwinden. Weil: sie waren ja gewiß überzeugt, ihre Vorgesetzten interessiere die Sache nun wirklich nicht. So muß es gewesen sein, und zwar in nahezu allen deutschen Energiekonzernen. Ganz und gar ahnungslos auch Reaktorsicherheitsministerin Angela Merkel. Erstmals am 24. April habe sie von den Verunreinigungen an den Atomcontainern erfahren. Später gab sie zu, daß ihre Beamten das Problem schon vorher gekannt hätten. Aber nur theoretisch eben, von wissenschaftlichen Fachtagungen. Und wer kommt schon auf die Idee, dies könne etwas mit den realen Castor-Transporten zu tun haben?

Spätestens in der vorletzten Woche wurde klar: Eine schrecklich nette Familie, die deutsche Nuklear-Gemeinde. Souverän beherrschen Dumpfbacke & Co. das Restrisiko, irgendwann gibt sie der Bevölkerung den Rest. Den Angsthasen, die mehrheitlich eine weitere Nutzung der Atomenergie längst ablehnen. Schimpfen auf Atommüll und Kernenergie allein aber hilft nicht, schließlich deckt sie derzeit ein gutes Drittel des deutschen Strombedarfs. Her muß ein neuer Energiekonsens. Einer, der seinen Namen verdient, den die Mehrheit der Bevölkerung wirklich befürwortet. Zu diskutieren ist neben geeigneten Endlagerkonzepten für den bislang nur zwischengelagerten Atomschrott über konkrete Utopien. Über alternative Energieformen v.a., etwa eine wirtschaftlichere Nutzung von Biomasse oder Solartechnik. Aber schon wenn der Energieverbrauch abnimmt, steigen die Chancen für einen Ausstieg aus der Kernenergie. Aufgabe der Politik ist es, hier entsprechende Anreize zu schaffen. Durch geschickten Einsatz wirtschaftspolitischer Instrumente etwa ließe sich Studien zufolge der Stromverbrauch um bis zu 30% senken, auch ohne daß gleich überall die Lichter ausgehen.

Nicht warten auf die große Politik wollte der 18-jährige Ronny aus Sachsen und beschämte statt dessen schon mal die ganze Elektroindustrie: "Ich hatte es einfach satt, abends immer aus dem warmen Bett zu krabbeln, hinter den Schrank zu kriechen und den Stecker vom Fernseher rauszuziehen". Um Faulheit und grünes Gewissen in Einklang zu bringen, baute sich Ronny eine simple Konstruktion aus Standard-Elektrobauteilen, eine Standby-Schaltung, die praktisch keinen Strom verbraucht. Dafür erhielt er kürzlich vom Bundeswirtschaftsminister den Energiesparpreis. Angeschlossen an jede deutsche Röhre würde die Box künftig nicht weniger als ein ganzes Atomkraftwerk überflüssig machen ­ ohne daß die Deutschen nach dem Glotzen aufstehen müßten.

(Peter Hahne)