Kommentar

Lästige Demokratie

Mit der Demokratie, der Herrschaft des Volkes, ist das wirklich lästig, vor allem wenn "das Volk" an seine Herrschaft unangenehme Nachfragen richtet. Solche nämlich, die einen längst gefaßten Beschluß in Frage stellen. In der letzten Ratsversammlung trat es wieder auf, das lästige Völkchen, das einwohneranfragte, warum ein Radweg um einen nicht mehr vorhandenen Baum geführt werden muß.

Der Baum, eine geschützte Linde, stand vor der Schwentineschule. Und weil der Baum nicht weggemacht werden sollte, sondern krank durch die vierspurigen Abgase der neuen B 502, mußte der Radweg um ihn herumgeführt werden ­ leider mitten durch eine Ecke der Schwentineschule. Irgendwie aus Versehen hat man jetzt die Linde gefällt statt eines anderen Baumes auf der schon beschlossenen Trasse. Eigentlich könnte man ja jetzt den Radweg gerade und die Schwentineschule stehen lassen, dachten sich die Bewohner und ein paar ihrer Volksvertreter. Doch solch' gesunder Menschenverstand ist Sand im Getriebe jener, die sich an einmal gefaßte Beschlüsse halten, auch wenn denen die Grundlage entzogen ist, und ihm mit der Arroganz der Macht antworten. Warum wird nicht noch einmal geprüft, fragten die Schwentineschüler die Verwaltung. Antwort: Weil wir schon mal geprüft haben. Warum spart man nicht die 400.000 Mark für den Abriß? Antwort: Weil wir den Abriß und damit die 400.000 schon beschlossen haben ­ "die Frage stellt sich nicht mehr" (O-Ton Stadtbaurat Flagge).

Beschlossenes wird durchgeführt, und zwar fraglos. Das ist wohl die Vorstellung der Volksvertreter von Demokratie: Wo kämen wir da hin, würden wir nach Gutdünken demokratisch gefaßte Beschlüsse wieder kassieren? ­ Zu den "Varianten", die sich der Oberkieler Gansel für das Neue Rathaus überlegt hat. Zwar gibt's da auch schon seit langem eindeutige demokratische Beschlüsse. Aber ­ quod licet Jovi, non licet bovi ­ für die fehlt Gansel der Wille, schließlich wurden die vor seinem Amtsantritt gefällt, sprich auf ganz anderer Grundlage. Nun will er alles anders machen. Die Volksvertreter im Rat fragen, warum sie davon aus der Zeitung erfahren, statt aus dem Mund ihres Oberdemokraten. Solche unnötigen Fragen nerven den OB: "Vertrauen Sie uns einfach!" Und was ihn noch mehr nervt ist, daß sich "Mitarbeiter der Stadt per Leserbrief an die KN" über die einsam beschlossenen Chefsachen ihres Chefs äußern. Volkes Stimme mal wieder echt lästig.

Der OB hat's wirklich schwer, wo er sich doch so gerne volksnah gibt. So volksnah, daß er beim Umzug des Bürgeramtes ins Neue Rathaus das alte "verwaisen" sieht. Dann besucht ihn womöglich keiner mehr, um sich zu beschweren oder einfach nur nachzufragen, auch wenn's schon beschlossen ist. Aber vielleicht ist das ­ und er weiß es nur nicht ­ für seine einsamen Beschlüsse "im Namen des Volkes" am Ende viel weniger lästig?

(jm)