Aus dem Kieler Rat

Verwaistes Rathaus

Doch vorerst kein Umzug ins Neue Rathaus?

Längst beschlossene Sache ­ der Umzug u.a. des Bürgeramtes in das Neue Rathaus im ehemaligen Hauptpostgebäude an der Andreas-Gayk-Straße. Doch OB Gansel hat Zweifel an der Durchführbarkeit und möchte mit dem Umzug noch warten bzw., was das Bürgeramt betrifft, ihn ganz aussetzen.

Über Gansels einsamen "Beschluß" erfuhr die Ratsversammlung aus den "Kieler Nachrichten". Grund genug für die "Volksvertreter", genervt zu sein und in der Ratsversammlung vom 11.6. einen interfraktionellen Antrag zu stellen, der OB möge schnellstens "ein aktualisiertes Nutzungskonzept" für das Neue Rathaus vorlegen und Auskunft über dessen "finanzielle Auswirkungen" geben. Seit Monaten tue sich nichts im Neuen Rathaus, heißt es sinngemäß in der Antragsbegründung. Das "Schnäppchen", das die Stadt mit dem Erwerb der Immobilie beabsichtigte (v.a. Mietersparnisse durch den Umzug von Ämtern aus nicht stadteigenen Gebäuden) droht, sich zu einem neuen Finanzdesaster auszuwachsen.


Schon ein Auslaufmodell? ­ Das Neue Rathaus (Foto: jm)

Lutz Oschmann eröffnete für die Bündnisgrünen die Debatte mit dem Vorwurf, die Mittel, die die Ratsversammlung für den Umzug/Umbau in den 98er Haushalt eingestellt hatte, würden anders verwendet als vorgesehen. Wiedermal habe der OB "längst einsam entschieden", vorbei an Beschlüssen der Selbstverwaltung. Die Kritik am OB, besonders an seiner unzureichenden Informationspolitik gegenüber der Ratsversammlung, zog sich durch alle Fraktionen. CDU-Ratsherr Vieregge monierte ferner, daß das "Sahnestück" des Neuen Rathauses, die ehemalige Kantine, von der Andreas-Gayk-Straße aus gut sichtbar "vor sich hin schimmelt". Für die SPD-Fraktion mahnte Eckehard Raupach etwas vorsichtiger aber deutlich kritisch gegenüber Gansels Alleingang an, man brauche endlich ein Konzept, das "nicht alle halbe Jahr über den Haufen geworfen wird".

Ob solcher Kritik sah sich der OB wiedereinmal zu einer seiner längeren Reden veranlaßt, in denen er pflegt, laut nachzudenken ­ meistens ziemlich unausgegoren. Die Mittel für den Umbau fehlten bzw. seien nicht ausreichend. Er habe sie beantragt, aber die Ratsversammlung habe sie seinerzeit nicht in der von ihm vorgeschlagenen Höhe bewilligt. "Die einen stellen Ansprüche, die anderen wollen Kosten reduzieren, beides geht nicht", so Gansel einigermaßen aufgebracht. Seine "Entscheidung", das Bürgeramt im alten Rathaus zu belassen, sei "keine Entscheidung, sondern nur eine zu prüfende Variante" gewesen. Wenn solche Überlegungen "durch Indiskretionen verbreitet" würden, dann sei das "der Rückfall in die alten Kieler Zeiten". Zudem sei zu berücksichtigen, daß die Zahl der Angestellten verringert und die Arbeit mehr technisiert werde. Insofern verringere sich auch der Platzbedarf des Bürgeramtes, ein Verbleib im alten Rathaus sei möglich. Gansels Argumente für den Verbleib schienen grob zusammengeklaubt. "Hier ist die Parkplatzsituation günstiger", und: "Das alte Rathaus wird verwaisen, wenn das Bürgeramt umzieht." Das seien aber nur Überlegungen. Natürlich sei es Aufgabe der Ratsversammlung, die Verwaltung zu kontrollieren. Aber: "Haben Sie doch etwas Geduld!"

Die war bei Wolfgang Kottek (SUK) längst zuende. Das Neue Rathaus sei gerade deshalb ein "großer Deal" gewesen, weil das Bürgeramt dort einziehen könne. Das sei im übrigen so beschlossen. Daß der OB einen Beschluß der Ratsversammlung jetzt so hinstelle, als sei "lediglich in diese Richtung nachgedacht worden", sei schlicht "unseriös": "Wir sind von Ihnen an der Nase herumgeführt worden."

Das wollte Gansel nicht auf sich sitzen lassen und kam nun mit einer noch abstruseren "Variante". Man könne 800.000 DM jährlich an Mietkosten sparen, wenn z.B. Stadtgalerie (derzeit im Sophienhof) und Stadtbücherei in die für das Bürgeramt vorgesehene 1. Etage des Neuen Rathauses umzögen. Edina Dickhoff (B 90/Grüne) verwies diesen laienhaften Vorschlag auf die Plätze: Eine Galerie stelle bestimmte ­ teure ­ bauliche Anforderungen, "wenn man nicht nur naive Künstler aus der Region auszustellen gedenkt, die sonst auf dem Flohmarkt zu finden sind". Der Vorschlag sei schlicht "blödsinnig". Daß der OB in der Tat von Kunst und Architektur keine Ahnung hat, zeigte er übrigens auch mit dem Vorschlag, man könne die unansehnliche Fassade des Neuen Rathauses zur Andreas-Gayk-Straße doch "mit Kieler Woche-Plakaten zuhängen". Nochmal beharrte er auf seinem Vorschlag ­ diesmal in noch erweiterterer Variante: Auch das Kulturviertel könne doch umziehen. Da würde man 2 Mio. Mietkosten sparen, ein Betrag, der höher sei als die Förderung der Stadt für freie Theater.

Die Ratsversammlung ließ sich von Gansels wirren Plänen vorerst nicht beirren und beschloß die Aktualisierung des Nutzungskonzepts für das Neue Rathaus wie beantragt einstimmig. Nun muß Gansel handeln. Viele nette Debatten im Rat sind vorprogrammiert.

(jm)