Antifaschismus

Siemens: Keine Geste für NS-Zwangsarbeiter

Hundert Jahre Siemens Hamburg: Entschädigungsfrage ist nicht Teil des Festprogramms

Siemens Hamburg feiert Geburtstag: Vor hundert Jahren eröffnete die Berliner "Telegraphen-Bau-Anstalt Siemens & Halske" ihr erstes Büro in der Paulsstraße. Heute zählt Siemens Hamburg 2.500 MitarbeiterInnen. Zur Feier der Erfolgsgeschichte waren am 16.6. 200 VIP-Gäste in das Hamburger Rathaus geladen. Nicht eingeladen wurde Esther Bejarano, die im September 1943 von Auschwitz zur Zwangsarbeit für die Siemens-Werke ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück gebracht wurde. Die Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der Bundesrepublik, die seit 1960 in Hamburg lebt, erinnert sich: "Die Hallen waren nicht beheizt, wir arbeiteten oft mit eiskalten, steifen Händen. Wenn Frauen ihr Soll nicht erfüllten, schlugen SS-Aufseher sie brutal zusammen. Die Siemens-Leute haben sich nie eingemischt, wenn Frauen geschlagen oder erschossen wurden. Dabei hätte Siemens uns zumindest wärmere Kleidung oder ein wenig mehr zu essen geben können."


Vernichtung durch Arbeit ­ ZwangsarbeiterInnen im KZ Neuengamme

Auch Siemens erinnert sich ­ dokumentiert auf einer Mosaikplatte, die der Konzern vergangenes Jahr in Berlin einweihte: "Wir gedenken der vielen Mitmenschen, die in den Jahren des Zweiten Weltkrieges gegen ihren Willen in unserem Unternehmen arbeiten mußten". Weitaus schwerer als das trauernde Gedenken an die Zwangsarbeiter fällt dem Konzern offenbar eine verantwortungsvolle Bewältigung seiner Vergangenheit: Auch ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende wehrt Siemens alle Forderungen nach Entschädigung ab. Rund ein Drittel der Beschäftigten, etwa 60.000 Kriegsgefangene, Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge, waren nach Schätzung des Hamburger Historikers Karl-Heinz Roth allein 1943 zur Zwangsarbeit bei Siemens & Halske und den Siemens-Schuchert-Werken verpflichtet. Der nüchterne Kommentar des Konzernsprechers Eberhard Posner zur Frage nach Entschädigungen: "Siemens hat von den Zwangsarbeitern nicht profitiert. Wir sind dazu gezwungen worden."

Für Ursula Krause-Schmitt, Historikerin im Studienkreis Deutscher Widerstand, "eine perfide Argumentation". Sie betont die Vorreiterrolle des Unternehmens bei der Rekrutierung von Zwangsarbeitern: "Schon 1939 haben die Siemensstädter Werke jüdische Zwangsarbeiter vom Berliner Arbeitsamt angefordert. 1942 wurde eigens eine KZ-Fabrik in Ravensbrück errichtet, ebenso zahlreiche Lager an vorhandenen Produktionsorten. Eine Erfindung von Siemens waren auch die sog. Judenabteilungen, in denen bewußt die Angst der Menschen vor der Deportation in die Vernichtungslager genutzt wurde. Siemens hat die gesamte Klaviatur der Zwangsarbeit hervorragend beherrscht."

Esther Bejarano wurde wie 2.200 andere jüdische Überlebende Anfang der 60er Jahre aus Mitteln eines Fonds entschädigt, den Siemens auf Druck der Jewish-Claims-Conference einrichtete. Für anderthalb Jahre Zwangsarbeit erhielt sie weniger als 1,50 Mark pro Tag ­ alle übrigen gingen leer aus. Weitere Entschädigungen und die Anerkennung eines Rechtsanspruchs lehnt Siemens ab. Eine öffentliche Entschuldigung gab es bislang nicht. Aber noch vor jeder materiellen Entschädigung ist es das, was Menschen wie Esther Bejarano hören wollen. Gelegenheiten dazu bieten sich zur Genüge ­ offizielle Geburtstagsfeiern gehören dazu.

(Peter Hahne)