Internationales

"Es ist wie zu Suhartos Zeiten."

Am 21.5. stürzte einer der dienstältesten Diktatoren Asiens ­ Indonesiens Suharto: Durch einen blutigen Putsch war der "gute Freund" Helmut Kohls 1965 an die Macht gelangt und hatte seit dem das Land mit Terror und westlicher Unterstützung regiert. Sein Nachfolger Bacharuddin Jusuf Habibie verspricht zwar Besserung, doch seine enge Verbindung zum alten Regime und seine Abhängigkeit vom Militär lassen wenig Hoffnung.

Die LinX sprach mit der Rechtsanwältin Selma Widhi Hayati. Frau Hayati arbeitet in Jakarta für die Indonesian Legal Aid Foundation. Zu den Arbeitsfeldern ihrer Organisation gehört neben der Beobachtung der Menschenrechtslage die Vertretung von Aktivisten vor Gericht, politische Aufklärung und die Durchführung von Seminaren für Gewerkschafter, Frauenrechtler und Umweltschützer.

(wop)


Selma Widhi Hayati (Foto wop)

LinX: Frau Hayati, hat sich die Situation der Menschenrechte nach Suhartos Rücktritt verbessert?

Selma Widhi Hayati: Nein, es ist wie zu Suhartos Zeiten. Es gibt da keinen Unterschied zwischen ihm und Habibie. Die Regierung sieht in den Protesten der Arbeiter und Studenten eine Gefahr für die Stabilität und fürchtet, ausländische Investoren zu verschrecken. Verhaftungen von Aktivisten sind daher häufig, und für gewöhnlich werden sie von der Polizei gefoltert, um Informationen über die Organisatoren der Proteste zu erpressen. Arbeiter werden zudem meist mit Entlassung und Folgen für ihre Familien bedroht.

Was ist aus den Studentenführern und Menschenrechtlern geworden, die im März und April verschwunden sind? Wurden sie nach Suhartos Rücktritt freigelassen?

Einige sind bisher nicht wieder aufgetaucht, wie z.B. Herman Hendrawan, ein Studentenführer, der am 12.3. nach einer Pressekonferenz entführt wurde. Von 15 Personen, die in diesem Jahr verschwunden sind, tauchten bisher nur fünf wieder auf. D.h. sie wurden nach Suhartos Rücktritt freigelassen.

Was sagen die Verantwortlichen über den Verbleib der anderen zehn?

Habibie sagt, daß er nichts weiß. Auch das Militär und die Nationale Menschenrechtskommission wissen angeblich nicht, wer sie entführt hat. Wir haben aber z.B. Beweise dafür, daß Andi Arief, Vorsitzender der Studenten für Demokratie (SMID), von Soldaten gekidnapped und später der Polizei übergeben wurde. Auch die Freigelassenen, wie Pius Lustranang and Desmond J. Mahesa berichten, daß sie von Militärs verhaftet wurden.

Seid ihr besorgt um die anderen zehn?

Ja. Vielleicht sind sie tot. Aber Pius und andere haben zumindest Herman gesehen, als sie in Polizeihaft waren.

Berichten die Freigelassenen von Folter?

Ja. Sie wurden geschlagen und gefoltert. Eine zeitlang waren ihnen die Augen verbunden, so daß sie nur Stimmen hören konnten. Als ihnen die Binden abgenommen wurden, trugen ihre Peiniger Masken. Das ging zwei Monate so.

Kann das, was den fünfzehn im Frühjahr geschah, wieder passieren? Gibt es noch immer diese Politik des Verschwindenlassens?

Nein, es gibt bisher keine neuen Fälle. Habibie ist vorsichtig, denn die sozialen Bewegungen sind sehr stark. Ich denke, auch der stärkere internationale Druck spielt eine Rolle.

In den Gefängnissen sitzen noch immer politische Gefangene aus den 60ern, darunter einige kommunistische Führer. Gibt es für sie jetzt Hoffnung auf Freiheit?

Bisher nicht. Habibies Kriterien für die Entlassungen politischer Gefangener schließen alle sog. kommunistischen Aktivisten aus. Über 100 von ihnen sitzen über das ganze Land verteilt in den Gefängnissen. Natürlich verlangen wir ihre Freilassung. Genauso fordern wir Freiheit für die neun Führer der linken PRD, die von Habibie ebenfalls als Kommunisten bezeichnet und von der Amenstie ausgenommen werden. Ich denke, Habibie wird auch weiter die kommunistische und die chinesische Karte spielen, um die Bevölkerung einzuschüchtern.

Was heißt das, die "chinesiche Karte" spielen?

Nehmen wir die Ausschreitungen der letzten Wochen: Die meisten der Beteiligten sind Moslems, nicht sehr fundamentalistisch, aber ziemlich religiös. Das funktioniert so: "Du bist Chinese, du bist Christ, also kann ich nicht mit dir zusammenarbeiten." Und dann ist da die große Kluft zwischen den Moslems und den ethnischen Chinesen. Die sind Mittelklasse.

Alle acht Millionen?

Ja.

Sind die Ausschreitungen spontan?

Nach allem, was wir sagen können, sind sie von bestimmten Gruppen organisiert.

Was sind das für Gruppen?

Das ist sehr schwer zu sagen. Was wir wissen ist, daß die Leute meistens mit Lastwagen und Bussen kommen, aber woher ist unklar. Es gibt Hinweise, daß einige Massenorganisationen beteiligt sind. Z.B. haben wir eine von der Regierung finanzierte Jugendorganisation im Verdacht. Aber es ist sehr schwierig, Beweise zu finden. Aus Yogjakarta and Surabaya haben wir Informationen, daß Straßengangs an den Ausschreitungen beteiligt sind. Wir nennen diese Gangs "vreman". Das ist eine Art lokaler Mafia, die ganze Stadteile kontrolliert und Schutzgelder erpreßt.

Wie verhalten sich die Gewerkschaften und linken Parteien in der Frage der Ausschreitungen?

Wir denken, daß die Ausschreitungen von den grundsätzlichen Problemen des wirtschaftlichen und politischen Systems verursacht werden. Die Regierung hat keine Antwort für die Probleme, daher kommt der Zorn dieser Menschen. Aber die Demonstrationen haben nichts mit den Ausschreitungen zu tun. Die Demonstranten haben politische Forderungen, doch die Randalierer zerstören bloß und sind ziemlich brutal. Das sind ganz andere Leute als die Demonstranten.

Wie verhält sich das Militär bei den Ausschreitungen?

Es antwortet mit Gewalt.

Einige Berichte sagen, daß die Soldaten einfach wegschauen, wenn chinesische Läden geplündert werden?

Stimmt, das passiert auch. Aber es gibt so viele Opfer. So viele Menschen wurden vom Militär umgebracht. In Jakarta waren es über 1.000, die bei den Ausschreitungen erschossen wurden.

Obwohl es Hinweise gibt, daß die Organisatoren der Regierung nahe stehen?

Ja.

Welche Rolle spielt das Militär in Indonesien?

Das indonesische Militär hat zwei Funktionen. Neben der sicherheitspolitischen auch eine soziale. Es kann sich z.B. in Arbeitskämpfe einmischen und im Falle eines Streiks zwischen Arbeitern und Unternehmern vermitteln. Sie haben auch das Recht, sich an den Arbeiterorganisationen zu beteiligen. D.h. in jedem Ortsvorstand einer Gewerkschaft sitzt auch ein Vertreter des Militärs als eine Art Aufpasser.

Vielen Dank für das Gespräch.