KERNspalte

Während sowohl die schweizerische als auch die niederländische Regierung bis auf weiteres alle Atommülltransporte in ihrem Land verboten, zeigt sich die BRD einmal mehr wankelmütig. Hier stehen in Kürze wieder Transporte von radioaktiven Materialien an. Von der ehemaligen Brennelementefabrik in Hanau aus sollen demnächst 73 kg Plutonium auf den Weg geschickt werden, ausgerechnet in die jüngst in die Schlagzeilen geratene WAA Dounreay. Damit kündigt sich ein Kräftemessen an, da Merkel einen derartigen Transport zur Zeit nicht will. In der Zeit von Juli bis Oktober sollen außerdem zwei Transporter nach Sellafield und drei nach La Hague geschickt werden. Damit will die Betreibergesellschaft Preussen-Elektra von Transportgenehmigungen Gebrauch machen, die sie schon im Vorfeld von Merkels Bitte, die Transporte einzustellen, eingeholt hatte. Preussen-Elektra will außerdem eine Tochtergesellschaft gründen, an die sie die Zuständigkeit für ihre Atomkraftwerke abtreten kann. Das hätte sie allerdings etwas früher tun sollen, denn dafür ist eine neue Betriebsgenehmigung nötig, die der niedersächsische Umweltminister Wolfgang Jüttner (SPD) solange verweigern will, bis die Zuverlässigkeit der niedersächsischen AKW-Betreiber geklärt sei. Wie einfach wäre es doch wieder, alle Verantwortung von sich zu weisen und eine Tochtergesellschaft zu opfern, wie damals beim Skandal um die Blähfässer.

Derweil sprach sich Ende Juni der Bundestag gegen einen Untersuchungsausschuß zur Aufklärung der Affäre um die kontaminierten Atommülltransporte aus. Und das natürlich mit der Zustimmung der SPD. Überhaupt: Die Zeiten ändern sich, und Macht und Geschäfte winken. So spricht sich der ehemalige Atomkraftgegner Gerhard Schröder im Wahlkampfreigen geschickt für einen Ausstieg aus der Atomstromnutzung in 25 Jahren aus. Die Grünen legen auch bei diesem Thema ihre Inkonsequenz zu Tage; sie streben ihren "Sofortausstieg" innerhalb von 8 Jahren an.

In Anbetracht der Enthüllungen über die Kontamination von Transportbehältern hat das Amtsgericht in Frankfurt Hoechst einen Bußgeldbescheid gegen eine Frau im Nachhinein von 500 auf 100 DM gesenkt. Die Frau hatte an der Blockade eines Zuges mit Castorbehältern teilgenommen.

Zwei weitere Urteile vor dem Amtsgericht in Lüneburg stehen vermutlich ebenfalls unter dem Einfluß des Atomtransportskandals, da sie doch recht milde ausfielen: Vier Castor-GegnerInnen, die im März 1997 den sog. Six-Pack für mehr als 40 Minuten aufhielten, indem sie sich an die Gleisanlagen gekettet hatten, müssen Geldbußen von je 200 DM an den Verein "Kinder von Tschernobyl" zahlen. Das gegen sie angestrengte Verfahren wegen Störung öffentlicher Betriebe wurde eingestellt, die Gerichtskosten übernimmt die Landeskasse. Zuvor wurde ein Verfahren gegen einen Mann, der an jenem 3. März die Demonstrierenden per Megaphon aufgefordert hatte, sich auf die Gleise zu setzen, ebenfalls gegen Geldbuße eingestellt.

Und noch ein Vermerk "am Rande": Nach Angaben des sächsischen Innenministeriums wurden im vergangenen Jahr drei sächsische Polizistinnen, die zur Begleitung von Castor-Transporten eingesetzt wurden, wegen Brustkrebs, Karzinom und Schilddrüsenerkrankungen ärztlich behandelt. Dabei sei ein Zusammenhang der Erkrankungen mit dem Einsatz nicht zweifelsfrei auszuschließen.

Apropos ans Licht kleckern: An Standorten der britischen Rheinarmee gab es nach Angaben der englischen Zeitung "Sunday Telegraph" seit den 60er Jahren mehr als ein Dutzend Unfälle mit atomaren Waffen. Ein Sprecher des britischen Verteidigungsministerium behauptete, es handelte sich um "einige kleinere Zwischenfälle". Den Refrain kennen wir bereits: In keinem Fall sei atomares Material ausgetreten und habe Umwelt und Menschen gefährdet.

Mittlerweile hat sich die Welle der Empörung gegen die Atombombenversuche in Indien und Pakistan gelegt, und der nukleare Handel kann uneingeschränkt weitergehen. Rußland plant sogleich den Bau von zwei 1.000-Megawatt Atomreaktoren im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu in Indien. Ein entsprechender Vertrag wurde bereits unterzeichnet. Als Reaktion auf die Bombenzündungen hatte Rußland gemeinsam mit den anderen vier offiziellen Atomwaffenstaaten (USA, China, Großbritannien und Frankreich) betont, Pakistan und Indien nicht als Atommächte anzuerkennen und in den "nuklearen Club" (M. Allbright, Außenministerin der USA) aufzunehmen. Die USA selbst lassen sich übrigens Zeitungsberichten zufolge ihre Atomrüstung ca. 35 Mrd. Dollar pro Jahr kosten. Das entspricht immerhin 11% der gesamten Staatsausgaben und 29% aller militärischen Ausgaben. Erst kürzlich hat sie ein neues Atomforschungsprogramm gestartet, das Experten als das größte aller Zeiten bezeichnen.

(us)