Kommentar

Man formiert sich

Zwei abgeschiedene Regionen. Beide geschichtsträchtig, beide gebirgig und rohstoffreich, beide von der fernen Zentralregierung stiefmütterlich behandelt, unterentwickelt, der Selbstverwaltung beraubt. Hier wie dort bedrängt der aggressive Nationalismus der als fremd empfundenen Herrscher die Minderheit, die eigentlich eine Mehrheit ist, macht ihr Sprache und die eigene Geschichte madig. Und hier wie dort ruft das gewalttätige Reaktionen hervor, organisiert sich ein Teil der Unterdrückten, bewaffnet sich, schlägt zurück, nicht nur gegen die bewaffneten Organe des Feindes. Lehrer werden umgebracht, weil sie angeblich Spione sind, Zivilisten, weil sie einen verdächtigen Nachnamen haben, Kinder, weil ihr Vater auf der falschen Seite steht. Der Staat seinerseits umstellt Dörfer, zerstört sie, vertreibt die Bewohner, wenn er sie nicht gar umbringt.

Hier hören die Parallelen auf. Im ersten Fall bekämpft ein treuer, langjähriger Verbündeter Berlins, Bonns und wieder Berlins mit deutschen Waffen Terroristen, und zwar welche von der übelsten Sorte, nämlich Kurden. Im anderen Fall bekämpft ein treuer, langjähiger Verbündeter Moskaus und ebenso langjähriger Feind Berlins ein freiheitliebendes Volk, nämlich die Kosovo-Albaner. Die hat man hierzulande sogar so gern, daß man ihnen auf keinen Fall zumuten möchte, im kalten Germanien als Flüchtling leben zu müssen. Man unterstützt daher ihre Führer nach Kräften, und es ist gerade erst zwei Jahre her, daß einer von diesen, Ibrahim Rugova, nach einem Besuch bei Kinkel, noch in Bonn weilend, der internationalen Presse verkünden durfte, daß man sich nun mehr nicht weiter mit der Forderung nach Autonomie zufrieden geben werde. (Ein Schelm, wer bei all dem an das viele Nickel denkt, auf dem die Brüder der Kossovoer in Tirana sitzen.)

Nun wollen die Serben ­ wir kennen das schon, das war im Sommer 1914 nicht anders ­ nicht einsehen, daß ihre Angelegenheiten auch unsere sind. Also muß Volkers Truppe ran, um die Menschenrechte durchzusetzen, ungefähr so, wie es Kollege Kanthers Mannen an der Oder tun. Der Fall ist so eindeutig, daß nicht mal mehr die Stahlhelme blau übertüncht werden müssen. Und er hat einen sehr erfreulichen Nebeneffekt: Er eignet sich prächtig zur Schaffung der Volks-, pardon, Standortgemeinschaft. Alle machen mit, die Sozis sowieso, die Grünen bekommen endlich ihre Kriegskredite, und den paar Spinnern von der PDS werden wir es schon noch zeigen.

Ach ja: Es glaube keiner, daß die "öffentliche Meinung" schon aufwachen werde, wenn die ersten Zinksärge zurückkommen. Jedenfalls nicht von selbst. Denn wer der alten Marinestadt wieder zu Germaniahafen und militaristischen Shows verhilft, wird auch noch aus elendig Verreckten Märtyrer zu machen wissen, zu wohlfeilen Instrumenten der weiteren Formierung der Gesellschaft also.

(wop)