Internationales

Ein Jahr Asienkrise

Die Schulden werden sozialisiert

Der 2. Juli 1997 ist ein Datum, das weder die Devisenhändler, noch die Bevölkerung Ost- und Südostasiens so schnell vergessen werden. Es war der Tag, an dem die thailändische Regierung die Bindung des Baht an den US-Dollar aufhob. Eine Abwertung von 15% war die Folge. Noch im gleichen Monat gerieten auch die Währungen der Nachbarstaaten Phillipinen (Pesos), Indonesiens (Rupiah) und Malaysias (Ringgit) unter Druck. Und was zunächst nur eine Währungskrise ist, greift schon bald auf die Aktienmärkte über. Die Kurse beginnen, auf breiter Front zu purzeln. Der Hongkonger Hang Seng-Index verliert innerhalb von drei Wochen 15%. Selbst an der New Yorker Wallstreet werden die Broker nervös. Am 15.8.97 erlebt der Dow-Jones-Index seinen stärksten Rückgang seit Oktober '87. Am 24.10. gibt es einen erneuten, noch stärkeren Einbruch.

Doch während sich die Börse in New York wieder erholt, sacken die Notierungen an den Märkten Ost- und Südostasiens weiter ab. Die Region schlittert immer tiefer in die Krise. Bis zum 31.12.97, so schätzt man bei Morgan Stanley Capital International, verlieren die Aktien in Thailand, Südkorea, Hongkong und Indonesien rund 200 Mrd. US-Dollar. Nach einem Zwischenhoch im Frühjahr geht die Talfahrt allerorten weiter. Selbst in Australien und Neuseeland beginnen Aktienbesitzer langsam zu schwitzen. Einzig Chinas Börsen zeigen sich bisher wenig beeindruckt. In Bangkok hingegen, wo alles seinen Anfang nahm, ist der Index inzwischen bei 265 Punkten angelangt. Ein rasanter Absturz von 650 im Juni '97 bzw. 850 Punkten im Dezember '97.

Überraschender Absturz?

Dabei hatten noch vor kurzem die meisten Indikatoren der thailändischen Wirtschaft ganz gut ausgesehen: Mit einem jährlichen Wachstum des Brottoinlandprodukts (BIP) von 9,8% zwischen 1985 und 1995 hatte das südostasiatische Land die weltweit am schnellsten wachsende Wirtschaft. Zudem nahm die relative Verschuldung gegenüber dem Ausland seit Jahren ab, und die Weltbank stufte Thailand in die Kategorie "weniger verschuldete Länder" ein. Schließlich verfolgte die Regierung in Bangkok eine strikte Haushaltspolitik, so daß sie 1995 einen Überschuß in einer Größenordnung von immerhin 2,5% des BIP erwirtschaftete.

So scheint die Asiatische Entwicklungsbank als eine der großen internationalen Finanzinstitutionen gute Gründe gehabt zu haben, noch wenige Wochen vor dem Crash optimistische Einschätzungen zu verbreiten: "Die Wirtschaft (Südostasiens) wird im allgemeinen als gesund angesehen, und das Eingreifen der Verantwortlichen hat wahrscheinlich eine breitere monetäre Krise von der Art, wie sie Mexiko 1994 erlebte, vermieden", hieß es in ihrem "Ausblick für 1997 und 1998", veröffentlicht im Juni '97. Wenige Tage später war das Makulatur.

Strukturelle Probleme

Voraussehbar, meinen einige Kritiker. Narong Pretpasert von der Chulalongkorn-Universität in Bangkok weist z.B. darauf hin, daß Thailands Handelsbilanz chronisch defizitär ist. Das Defizit hat in den letzten Jahren sogar zugenommen, und zwar trotz erheblicher Wachstumsraten bei den Exporten. 1996 betrug es 9% des BIP.

Die Erklärung ist einfach: Die Industrie des Landes ist sehr einseitig und hängt stark von Importen ab. Die Fertigungstiefe ist zudem gering. Vorprodukte, Maschinen und Anlagen ­ fast alles muß importiert werden. Ein Problem, mit dem auch andere der asiatischen Tiger zu kämpfen haben, wie z.B. die Philippinen, die bisher für wenig Schlagzeilen gesorgt haben. Selbst das vergleichsweise hochindustrialisierte Südkorea ist v.a. bei den Hightech-Komponenten auf Importe angewiesen, da seine Unternehmen Forschung und Entwicklung vernachlässigt haben.

Ein anderer Faktor, der die Alarmglocken schon frühzeitig hätte läuten lassen müssen, war das Stagnieren der Exporte, meint der indische Wissenschaftler Kavaljit Singh. Nach einem Wachstum von 22,2 und 24,7% in den beiden Vorjahren hatte es 1996 praktisch keine weitere Zunahme mehr gegeben. Zwei Gründe nennt der Ökonom dafür: Zum einen habe es einen Rückgang der Nachfrage nach Elektronik-Artikeln gegeben. Zum anderen habe ein Anstieg der Löhne Thailand einen Wettbewerbsnachteil verschafft, da die Unternehmer nicht in Produktivitätssteigerungen investiert hätten.

Das deckt sich mit einer Analyse des Wirtschaftswissenschaftlers Alwyn Young der 1992 und 1995 in zwei Arbeiten daraufhingewiesen hat, daß Asiens Boom einzig auf dem Zufluß von Kapital, statt auf einer Steigerung der Produktivität beruht, und damit nicht besonders nachhaltig sein kann.

Heißes Geld bekommt kalte Füße

Vor allem dann nicht, wenn wie in Thailand und den Philippinen, daß ausländische Kapital v.a. Anlage-Kapital ist, d.h. in Aktien, Krediten und Anleihen steckt, und daher rasch abgezogen werden kann. Genau das passierte letztes Jahr in Thailand, als die Probleme des dortigen Banksektors offensichtlich wurden.

Anfang 1997 begann das, was nicht nur Narong Pretpasert eine "bubble economy" nennt, zu platzen. Seit Beginn der 90er hatte es eine rasante Verschuldung gegeben. 1996 betrug sie 123% des BIP, 1992 waren es nur 39% gewesen. Der Löwenanteil davon entfiel auf Private und bestand aus Krediten mit geringer Laufzeit. Viele wurden zudem für Investitionen in den besonders boomenden Immobilienmarkt aufgenommen. Die Rechnung war einfach: Man nahm einen Kredit auf, um Land zu kaufen. Dessen Marktwert würde schnell steigen und die Kreditzinsen mehr als wett machen.

Doch Ende 1996 war Schluß mit diesem spekulativen Geschäft. Die Bodenpreise fielen wieder ­ mit fatalen Folgen: Mancher Kredit konnte nicht mehr bezahlt werden. Ein Siebtel aller Kredite soll nach Angaben der Bank of Thailand bereits Ende 1996 "faul" gewesen sein. Beobachter meinen allerdings, daß die tatsächliche Rate schon fast doppelt so hoch gewesen sein muß.

Als diese Fakten durchzusickern begannen, verloren ausländische Investoren ihr Vertrauen in die Wirtschaft des Landes, und der Angriff auf den Baht begann. Zunächst versuchte man in Bangkok noch, den Wechselkurs zu verteidigen. Die thailändische Zentralbank kaufte für mehr als 23 Mrd. US-Dollar Baht auf, nur um ihre Devisenreserven ohne nennenswerten Effekt dahinschmelzen zu sehen. Am 2. Juli gab sie schließlich auf.

Spekulation leicht gemacht

Eine Rolle bei der Abwertung des Baht und der anderen Währungen, die ihm bald darauf folgten, hat sicherlich die Devisenspekulation gespielt. Auch wenn man deshalb nicht gleich dem malaysischen Premier Mahathir Mohammad folgen muß, der George Soros, den Chef eines großen Investment-Fonds, zum alleinigen Verantwortlichen erklärt. Es wird geschätzt, daß im Juni und Juli '97 Spekulanten rund 10 Mrd. Dollar auf die Abwertung gesetzt haben. D.h., sie haben Schulden in Baht aufgenommen, mit dem Geld "harte" Währungen gekauft, um die Kredite schließlich nach Abwertung zurückzuzahlen und den Kursgewinn einzustecken.

Leicht gemacht hat ihnen das die vom Internationalen Währungsfond (IWF) und anderen Apologeten des freien Welthandels empfohlene Liberalisierung des Finanzsystems. Mit der Einrichtung der Bangkok International Banking Facilities gab die Regierung 1993 praktisch den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr frei, allein auf die Marktkräfte vertrauend.

Die Einrichtung dieser Finanzdrehscheibe muß mancher in Bangkok bereut haben, als im Sommer letzten Jahres die Blase aus privater Überschuldung, kurzfristigen Krediten, Bodenspekulation und einseitiger Exportorientierung platzte. Nun konnte das Anlage-Kapital ­ anders als die Direktinvestitionen ­ genauso schnell abfließen, wie es gekommen war. Thailand hatte seine Liquiditätskrise und mußte beim IWF betteln gehen.

Kreditschwemme

Ein Vorfall, wie er sich in den nachfolgenden Monaten in Indonesien, Südkorea und Malaysia wiederholen sollte. Denn die Probleme der "Tiger"-Ökonomien ähneln sich. Auch Südkorea leidet z.B. unter einer übermäßigen privaten Verschuldung, die die Banken auf einen Berg unbezahlbarer Kredite sitzen läßt. Das ist doppelt problematisch, denn wie in Thailand haben sich die Finanzinstitute einen nicht unerheblichen Teil ihres Kapitals im Ausland geborgt: Ende 1996 hatte Südkorea insgesamt rund 100 Mrd. US-$ Schulden bei ausländischen Banken. Mit 33,8 Mrd. entfiel davon der größte Brocken auf die EU. Japan und die USA folgten mit 24,3 und 9,4 Mrd. $.

In den letzten zwei bis drei Jahren hatten v.a. europäische und japanische Banken die Region förmlich mit Krediten überschwemmt. Allein von Dezember '94 bis Dezember '96 stieg die in Asien ausgezahlte Kreditsumme um rund 52% auf 367 Mrd. US-$. Das Gros ging in die "Tigerstaaten", denen zuvor Weltbank und IWF die Liberalisierung ihrer Finanzmärkte nahegelgt hatten. Die beiden Riesen Indien und China hielten sich hingegen bei der Verschuldung stark zurück und bevorzugen stattdessen ausländische Direktinvestitionen.

Folgen werden sozialisiert

Die Folgen dieses Kreditbooms werden sozialisiert: Nicht die leichtfertigen Kreditgeber, sondern die öffentliche Hand in den Krisenstaaten wird zur Verantwortung gezogen. "Es ist doch bemerkenswert", meint Kang Moon Kyu, der in Seoul am Aufbau eines Netzes ökologischer Nachbarschaftszentren arbeitet, "auf der einen Seite verlangt der IWF die Liberalisierung und Deregulierung unserer Wirtschaft, auf der anderen Seite soll der Staat für die privaten Schulden gerade stehen."

Über Nacht stehen so selbst Staaten wie Südkorea und Thailand, die einen ausgeglichenen Haushalt vorzuweisen hatten, deren öffentliche Kassen in manchen der vergangenen Jahren gar Überschusse erwirtschafteten, als hochverschuldet da. Um die Zahlungsunfähigkeit zu verhindern, wird die Kreditaufnahme beim IWF unvermeidlich.

Der springt ein ­ den mit 58 Mrd. US-$ größten Kredit bekam Seoul ­, doch der Preis ist hoch: Um die Währung zu stützen, verlangt der Fond die Erhöhung der Zinsen. Außerdem sollen die öffentlichen Ausgaben gekürzt und die Mehrwertsteuer angehoben werden. Weitere Bedingung: Die Grenzen müssen für Importe geöffnet und die Politik der Importdiversifizierung aufgegeben werden. Und schließlich: Die Beschränkungen für ausländische Beteiligungen an koreanischen Aktiengesellschaften ist auf 55% anzuheben und der Finanzmarkt vollständig zu öffnen.

Soziale Katastrophe

Wer am meisten unter den Krisenfolgen zu leiden hat, ist klar: "Die südkoreanische Wirtschaft ist in ein schwarzes Loch gefallen, und die Arbeiter haben die Kosenquenzen zu tragen", schreibt Lee Jai Yun in der jüngsten Ausgabe des "Asian Labour Updates". In der Region greifen Arbeitslosigkeit und Lohnabbau um sich. "Die Unternehmen drücken die Löhne weiter und weiter, so daß sie kaum noch für Nahrung und Fahrtkosten reichen", beklagt man bei der Hongkonger Arbeiterinnen Vereininigung. Thailands Finanzminister versprach dem IWF gar in einem "Letter of Intent", den Anstieg des Mindestlohns 1998 auf 2-3% zu beschränken. In Südkorea können sich indes Arbeiter glücklich schätzen, wenn sie überhaupt noch bezahlt werden. Vor allem in kleineren Betrieben muß mancher oft für Monate auf seinen Lohn warten. Die Alternative heißt Arbeitslosigkeit: Von Dezember '97 bis April '98 verdoppelte sich die Zahl der Erwerbslosen auf 1,43 Mio. Die Betroffenen stehen, wenn sie nicht von ihrem Unternehmen ausgezahlt werden, zumeist ohne jede Unterstützung da. Einige wählen den letzten Ausweg: Im ersten Quartal '98 stieg die Selbstmordrate, so Yoo Jae Hyun, gegenüber dem Vorjahr um rund 36%.

In Thailand demonstrieren indes die Bauern für Regierungshilfen. Während sich die Früchte des Booms vor allem in der Hauptstadt Bangkok und dort in den Händen der Reichen konzentriert haben, hat man auf dem Land nun unter in Folge der Abwertung drastisch verteuerten Importen zu leiden. Düngemittel und Maschinen müssen nachwievor eingeführt werden, ein weiteres Indiz dafür, wie unsolide der nun implodierte exportorientierte Industrialisierungs-Boom gewesen ist.

Wie immer in Krisenzeiten, trifft es die Frauen besonders hart: In Boom-Zeiten zu Niedrigstlöhnen in den Sonderwirtschaftszonen eingestellt ­ weil billiger und gewerkschaftlich weniger erfahren ­ landen sie im Falle eines Falles als erste auf der Straße. Damit nicht genug: "Get your husband energized" (Baue deinen Ehemann wieder auf) lautet der Titel einer Kampagne, mit der in Südkorea seit einigen Monaten Frauen an ihre "Verantwortung" erinnert werden. "Die Scheidung einzureichen ist im Zeitalter des IWF für eine Frau zum teuflischsten aller moralischen Verbrechen geworden", schreibt Choi Soung Ai im Asian Woman Workers Newsletter. Frauen würden als kaufsüchtig verurteilt, sie sollen auf Selbstmordabsichten bei ihren Männern achten und ihre Kinder ermuntern, in der Schule nicht abzurutschen. Und bei allem müssen sie sich noch einen Job suchen, um die Familie zu ernähren.

IWF in der Kritik

Dabei, so Kritiker, ist die IWF-Kur nicht einmal geeignet, die Krise zu überwinden. Vor allem die vom IWF verordneten hohen Zinsen sind Gift für die koreanische Ökonomie, die vom kleinen Ladenbesitzer bis zum großen Industriekonglomerat (Chaebol) im wesentlichen auf Kreditbasis arbeitet. Yoo Jae Hyun von der Semin Foundation in Seoul schätzt die Kreditrate der Chaebols auf stattliche 400%. "Die strikten Bedingungen des IWF-Programms", so Kavaljit Singh, "führen zu mehr und mehr Bankrotten und werfen Millionen von Menschen auf die Straße. Das Beharren des IWF auf Zinsanhebung führte dazu, daß diese jetzt mit 19-20% nahezu 15% über der Inflationsrate liegen. Die Folge war ein Anwachsen der Zusammenbrüche."

Auch Walden Bello von der Universität der Philippinen in Manila kritisiert die IWF-Politik des knappen Geldes und der hohen Zinsen, eine Politik bestens geeignet, die krisengeschüttelten Staaten in eine Rezession zu treiben. Außerdem, wendet Singh ein, wende der IWF zweierlei Maßstäbe an. Einerseits bestünde er mit seinen Auflagen darauf, daß die Regierungen ihren angeschlagenen Banken nicht zur Hilfe kommen, sondern sie an den "faulen" Krediten Bankrott gehen lassen. Wenn es aber um die internationalen Banken gehe, die so leichtfertig verliehen haben, würde der Fond aufeinmal auf die Bedienung der Kredite bestehen, möglichst noch mit Zinsen. Von einigen Kritikern wird er deshalb auch schon Hauptschuldeneintreiber für die Banken der Industriestaaten genannt.

"Tatsächlich", so Singh, "werden viele Gläubiger noch zusätzliche Profite durch die Umstrukturierung der Banken und Finanzinstitute in diesen Ländern machen." Wenn sie für ihre exzessive Kreditvergabe auch noch belohnt werden, sieht der Inder schwarz, könnten sie sich schon bald neue Wege für ähnliche Aktionen suchen. Fragt sich also, wer nach Mexiko und Südostasien das nächste Opfer sein wird. Afrika?

Erholung in Sicht?

Selbst Weltbank-Chefökonom Joseph Stiglitz reiht sich in die Front der IWF-Kritiker ein. Statt enger Haushaltspolitik sei eine Ausweitung der öffentlichen Ausgaben gefordert. Soziale Sicherungssysteme müßten her, um den Abstieg von Millionen in die Armut zu verhindern.

In verschiedene Staaten folgt man inzwischen diesem keynesianischen Ansatz. Hongkong, Singapur, Malaysia und Japan haben milliardenschwere Infrastrukturprogramme aufgelegt, die zumeist darauf abzielen, die Bauwirtschaft wieder anzukurbeln. In Jakarta, Bangkok und Seoul würde man gern diesem Beispiel folgen, wenn man denn die Mittel dafür hätte und der IWF es zuließe.

Doch ob die Programme ausreichen werden, die Länder aus der Krise herauszuführen, ist zweifelhaft. Von einer baldigen Erholung spricht jedenfalls inzwischen kaum noch jemand in der Region. Walden Bello meint gar, Asien stehe vor einem verlorenen Jahrzehnt.

Rettungsanker setzen Rost an

Selbst in Hongkong und China, die bisher als Rettungsanker galten, mehren sich die Krisenanzeichen. Hongkong-Dollar und chinesischer Yuan sind die einzigen Währungen in Ost- und Südostasien, die dem Abwertungsdruck bisher haben widerstehen können. Sowohl in Peking als auch in der ehemaligen britischen Kolonie ist seit Ausbruch der Krise keine Woche vergangen, in der nicht die Verteidigung der jeweiligen Währung versprochen worden wäre. Sollten nämlich auch noch HK-Dollar und Yuan fallen, da sind sich alle Analysten einig, dann stünde eine neue Abwertungsrunde ins Haus, die eventuell sogar eine globale Rezession auslösen könnte.

Doch auch in Hongkong spricht man inzwischen von einer einsetzenden Rezession. Der Einzelhandelsumsatz geht rapide zurück, die Bodenpreise sinken besorgniserregend, und die Arbeitslosigkeit erreicht Rekordwerte. In China ist man offiziell zwar noch zuversichtlich, auch in diesem Jahr das hohe Wachstumsziel zu erreichen, doch bleibt fraglich, ob die dafür notwendigen ausländischen Direktinvestitionen (30 Mrd. US-$ werden 1998 benötigt) eingeworben werden können. Die Hauptherkunftsländer befinden sich nämlich selbst in Schwierigkeiten: Hongkong, Taiwan und jetzt auch Japan.

Die sich verschärfende Krise der japanischen Wirtschaft und die Abwertung des Yen üben daher weiteren Druck auf den Yuan aus. Es wird geschätzt, daß die japanischen Direktinvestitionen um 2 Mrd. US-$ zurückgehen, sollte der Kurs des Yen auf 150 Y/$ absacken, was nicht so unwahrscheinlich ist.

So verwundert es auch nicht, daß Mitte Juni aus Peking zum ersten Mal verlautete, man werde den Yuan nicht um jeden Preis verteidigen, sollte Tokyo dem Verfall seiner Währung weiter tatenlos zusehen. Nur Stunden später griff die US-Notenbank in Absprache mit der japanischen Regierung ein und kaufte für mehrere Milliarden Dollar Yen. Doch der seinerseits gewonnene Kursgewinn des Yen schmolz binnen Wochenfrist wieder ab. Seitdem vollführt Nippons Devise einen irren Zickzack, der Analysten und Fondmakler in der Region in Atem hält.

Exportmotor versagt

Zu Beginn hatten manche Regierungen noch gehofft, die Abwertung würde zumindest zu einer Ankurbelung der Exporte führen. Auch die IWF-Programme zielen darauf, auf diesem Weg die Staaten aus der Krise zu führen. Doch das war, wie sich jetzt zeigt, ein Irrglaube. Übersehen wurde dabei zum einen, daß die hohe Importabhängigkeit der Exportwirtschaft die Produktion verteuern und damit eine Verbilligung der Ausfuhren begrenzen würde. Zum anderen bleibt ein nicht unerheblicher Teil der Exporte in der Region. Deren krisenbedingt nachlassende Kaufkraft macht sich also in den Bilanzen bemerkbar. Schließlich überschneidet sich der Exportmix der verschiedenen Länder zum Teil erheblich, d.h. nicht nur die jeweils eigenen Exporte werden durch Abwertung billiger, sondern auch die der Konkurrenz. Sollte z.B. der Yen auf 150 Y/$ fallen, erwartet das Hyundai Wirtschaftsforschungszentrum einen Rückgang der südkoreanischen Ausfuhren um 2% für das laufende Jahr.

Auch Singapur und Taiwan gehören zu den auf diese Weise von der Yen-Krise Betroffenen. Fumiyuku Sasaki vom japanischen Nomura Forschungsinstitut: "Für jeweils 10 Yen, die der US-$ steigt, gehen Singapurs Exporte um 10% zurück." Andere Staaten wie China haben eher mit der abnehmenden Nachfrage in Japan zu kämpfen. Japan wiederum leidet unter der Krise seiner wichtigsten Kunden: Vor der Krise gingen 45% der japanischen Exporte nach Asien. Das meiste davon in die Krisenstaaten. Der Tiger beißt sich also in den Schwanz.

Schnäppchenjäger

Doch wie jede Krise hat auch diese ihre Gewinner. Die Belohnung der Kredithaie wurde bereits weiter oben erwähnt. Daneben sind die europäischen und US-amerikanischen Schnäppchenjäger zu erwähnen, die nun an den doppelt entwerteten Aktienmärkten Ost- und Südostasiens auf Pirsch gehen. Dort, wo ihnen bisher noch Fesseln angelegt waren ,sorgen die IWF-Auflagen für "Liberalisierung".

Bosch hat z.B. sein Gemeinschaftsunternehmen mit den koreanischen KIA-Werken vollständig übernommen, BASF erwirbt Chemiebetriebe des Hanwha Chaebols, dessen Raffinerien gehen an Shell, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch bei den anstehenden Privatisierungen, wie z.B. der südkoreanischen Telecom, werden finanzkräftige Unternehmen aus den Industrieländern sicherlich nicht leer ausgehen. George Soro, der als inoffizieller Berater des neuen Präsidenten in Seouls Blauem Haus fungiert, hat bereits sein Interesse angemeldet.

Antworten rar

Die sozialen Bewegungen Ost- und Südostasiens tun sich derweil noch schwer, eine eigene Antwort zu finden. Allenthalben beschränkt man sich auf die Kritik der IWF-Auflagen und Abwehrkämpfe. Nicht selten tappt man ­ vor allem Mann ­ dabei in die nationale Falle: "Manchmal müssen Arbeiter eben zurückgeschickt werden", meint Premesh Chandran vom (regierungsnahen) malaysischen Gewerkschaftsverband. In seinem Land gebe es eben zu viele Arbeitsimmigranten, und seine Basis würde es nicht akzeptieren, wenn er sich gegen die Deportationen aussprechen würde, kommentiert er die Vertreibung indonesischer Flüchtlinge und Arbeiter aus Malaysia. Nur sollten dabei internationale Standards eingehalten werden, die auf den europäischen Erfahrungen (!) beruhen.

Auch in Südkorea initiieren ehemalige Oppositionelle Kauft-koreanisch-Kampagnen, appellieren an den Nationalstolz und sammeln Gold, um damit die Währung zu stützen. Ausgeblendet wird dabei, daß Südkorea nicht nur zu den Opfern, sondern durch exzessiven Kapitalexport v.a. nach Indonesien auch zu den Machern der Krise gehört. Im Gewerkschaftsdachverband KCTU gibt es derweil erhebliche Auseinandersetzungen zwischen Vertretern einer sozialpartnerschaftlichen Linie, die den nationalistischen Argumenten folgen, und solchen Kräften, die auf einen kompromißlosen Kampf gegen Massenentlassungen setzen.

Ebenfalls in Südkorea beginnen inzwischen einige Frauen zu verstehen, daß die untrennbar mit dem Nationalismus verwobenen patriarchalen Ansätze für sie wenig Gutes verheißen. "Laßt uns Frauen uns selbst organisieren", schreibt Choi Soung Ai. "Laßt uns darüber sprechen, wie soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklung und Gerechtigkeit aus der Perspektive der Frauen aussehen sollte."

Andere haben ihre Antwort bereits gefunden. "Am Protektionismus führt kein Weg vorbei", meint Edberto Villegas, Direktor des Institute of Development Studies an der Universität der Philippinen und zugleich Chef-Berater der Guerilla für ökonomische Fragen in den Friedensverhandlungen mit der Regierung. Die entsprechenden Liberalisierungsgesetze für Bergbau und Bankwesen müssen zurückgezogen werden, Konzessionen müssen zuerst an einheimische Gesellschaften vergeben werden. Vor allem eine Landreform, die den Namen verdient, müsse her, und die Plantagen der Multis und der alteingesessenen Großgrundbesitzer müßten enteignet werden. Die Industrialisierung schließlich, beschreibt er das klassische national-demokratische Programm kommunistischer Parteien in kolonialen und neo-kolonialen Ländern, müsse auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft zugeschnitten sein.

Doch wie ein solche Politik gegen den Druck von Wirtschaftskolossen wie Deutschland und den Vereinigten Staaten durchgesetzt werden kann, die allenthalben mit Verlockungen und Erpressung die Regierungen der Welt zur Öffnung der Grenzen für Kapital und Waren drängen, bleibt unklar. Aber diese Frage ist wohl auch eher den Metropolenbewohnern zu stellen.

(wop)

Wer sind die Schuldner?

Außenstände bei Banken Ende 1996

  US-Banken Japanische Banken EU-Banken internat. Kredite insges.
China 2,7 17,8 26,0 55,0
Hongkong  8,7  87,5  86,2  207,2
Indonesien  5,3  22,0  21,0  55,5
 Südkorea  9,4  24,3  33,8 100,0 
 Malaysia  2,3  8,2  9,2  22,2
 Philippinen  3,9  1,6 6,3   13,3
 Singapur  5,7  58,8  102,9  189,3
 Taiwan  3,2  2,7  12,7  22,4
 Thailand  5,0  37,5  19,2  70,2
 Vietnam  0,2  0,2  1,0  1,5
 Ostasien ges.  46,4  260,6  318,3  736,6

In Mrd. US-$. Quelle: Bank of International Settlements, zitiert nach "World Economic Outlook, Interim Assessment", IMF, December 1997, zitiert nach Kavaljit Singh, Globalisation of Finance.