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"Die Tests sollten einen nationalen Konsens erzwingen"

Mit einem Donnerschlag meldete sich Indiens neue nationalistische Regierung Anfang Mai zu Wort. In Rajasthans Wüste, unmittelbar vor der Haustür des Erzrivalen Pakistan, gingen insgesamt fünf Atomsprengsätze hoch. In Islamabad zögerte man nicht lange, sondern zündete ebenfalls ein paar Atombomben.

Dabei ließ man es vorerst bewenden. Delhi kündigte an, es habe genug Daten gesammelt, um künftig per Computersimulation weiter entwickeln zu können. Sogar dem Teststop-Abkommen will man beitreten. Allerdings sollen unabhängig davon Raketen mit Atomsprengköpfen bestückt werden.

Das ganze Säbelgerassel hat viel damit zu tun, daß in Delhi seit März die Indischen Volkspartei (Bharatija Janata Party, BJP) regiert, eine Partei, die in vielen Aspekten den traditionellen faschistischen Parteien Europas der 20er und 30er ähnelt. Die BJP regiert mit Hilfe 17 kleiner, zum Teil regionaler Koalitionspartner.

LinX sprach mit dem indischen Filmemacher und Publizisten Sumit Chowdhuri über die Tests, die Geschichte des pakistanisch-indischen Konflikts, die BJP und die poltische Lage in der "größten Demokratie der Welt".

(wop)

Sumit Chowdhuri (Foto: wop)

LinX: Ende Mai haben 75 indische Wissenschaftler ihre Befürchtung ausgedrückt, die jüngsten Atomtest könnten zu einem Wettrüsten führen.

Sumit Chowdhuri (S.C.): Wahrscheinlich haben sie damit recht. Mit Sicherheit haben die Tests die Spannungen auf dem Subkontinent verstärkt. Betroffen sind auch andere Länder wie Bangladesch, Bhutan, Nepal, Sri Lanka etc.

Im wesentlichen bestehen die Spannungen aber zwischen Indien und Pakistan und stammen bereits aus dem Jahre 1947, dem Geburtsjahr der beiden Staaten. Und Feindseligkeiten gibt es nicht nur auf der Regierungsebene, sondern auch in den Köpfen der Menschen. Das hat mit dem Teilungstrauma, den gewalttätigen Krawallen (im Zusammenhang mit der Teilung der ehemaligen britischen Kolonie - die Red.) und all dem zu tun.

Seit 1947 hat es drei Kriege geben: 1948 um Kaschmir, 1965 und dann 1971 der Krieg, der zur Unabhängigkeit Bangladeschs führte. Seit dem hat es immer Spannungen gegeben.

Einer der Gründe, weshalb Indien nach der Bombe greift, ist, daß es der Welt etwas beweisen will. Jetzt sind wir Mitglied in diesem exklusiven Club der Atommächte. Das ist die Psychologie, die hinter den Tests steckt.

Die Bombe ist von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil sowohl des wissenschaftlichen als auch des Verteidigungsprogramms gegewesen, und die Atomenergiekommission gehörte immer zu den Schlüssel-Abteilungen der Regierung. Z.B. ist ihr Vorsitzender jeweils der Premierminister. Aufgaben, Finanzen, Tätigkeit - alles wird geheimgehalten.

LinX: Haben die Tests und die zwischenstaatlichen Spannungen in Indien Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Hindus und Moslems?

S.C.: Ja. Die Gründe für die Tests hängen mit dem ultra-nationalistischem Geist zusammen, der in der Bevölkerung seit der Teilung verbreitet wird.

LinX: Nationalismus meint Hindu-Nationalismus?

S.C.: Für die BJP bedeutet es Hindu-Nationalismus. Sie definiert indische Identität unipolar. Für sie gibt es keine zusammengesetzte Kultur, sondern nur eine einzige Identität, eine Hindu-Identität, die sehr wenig mit der Religion als solcher zu tun hat. Sie definieren ihren eigenen Nationalismus, Hinduismus in ihren Worten, und nennen es kulturellen Nationalismus. Ihr nationalistisches Programm ist also ein kuturelles, ein ideologische Projekt.

Auf der anderen Seite basiert der Nationalismus der Congress-Partei, die Indien fast 50 Jahre regierte, und der der anti-kolonialen Freiheitsbewegung auf dem Konzept eines modernen indischen Staates. Und ein wesentliches Attrinbut des modernen Staates ist die Atombombe.

LinX: Schließt der Nationalismus der Congress-Partei die Moslems mit ein, oder ist er hindu-zentristisch?

S.C.: Er ist mehr oder weniger hindu-zentristisch, auch wenn er kein kulturelles Projekt ist. Das war schon zur Zeiten der Freiheitsbewegung so. Die Parolen waren alle Hindu-Parolen, die Führerschaft war die indische Elite. Sie gaben dem ganzen eine spezielle Hindu-Ideologie und -Farbe. Die Moslems waren unerwünscht. Die gründeten deshalb die Moslem-Liga, und ihre Führer forderten schließlich die Teilung auf religiöser Grundlage.

LinX: Indischer Nationalismus, egal welcher Schattierung, schließt also 20% der Bevölkerung aus, oder wieviele Moslems gibt es in Indien?

S.C.: Ca. 14%. Hinzu kommen noch Christen, Sikhs und eine ganze Reihe anderer. Und ob die restlichen 80 oder 75% Hindus sind, ist eine schwierige Frage. Denn eigentlich ist Hinduismus nicht wirklich eine Religion. Außerdem gibt es so viele Varianten. Und auch der indische Islam hat zahlreiche Facetten, variiert sehr stark von Region zu Region. Da ist es schwer, die Menschen als hundertprozentig Hindu oder hundertprozentig Moslem zu definieren. Und wo bleiben in diesem Nationalismus die Menschen, die keine Religion haben?

LinX: Wie sehen die indisch-pakistanischen Beziehungen nach den Tests aus? Droht ein neuer Krieg?

S.C.: Bevor die BJP an die Macht kam, hatte es einige Verbesserungen in den Beziehungen gegeben. Kulturelle Austauschprogramme. Man hatte zumindest miteinander gesprochen. Auch das Verhältnis zu China hatte sich deutlich verbessert.

Die neue Regierung hat die Tests auch durchgeführt, um eine Hysterie zu erzeugen, Feindbilder wiederzubeleben. Die städtische Mittelklasse war begeistert. Sie wollte es der Welt zeigen, wollte Pakistan zeigen, daß wir stärker sind. Vielleicht ging es gar nicht mal so sehr um Pakistan, sondern darum, daß der Nobody Indien jetzt Mitglied des Atom-Clubs ist. Natürlich haben die Tests eine Welle von Chauvinismus erzeugt, aber der ist inzwischen wieder abgeebbt, so daß ich im Augenblick nicht an einen Krieg glaube.

Aber was es sicherlich weiter geben wird, ist, daß separistische Bewegungen und kleine terroristische Organisationen unterstützt werden. Z.B. in Karachi gibt es Gruppen, die von Indien Förderung erhalten, während Pakistan in Kaschmir und z.T. im Punjab mitmischt. Das erzeugt natürlich Spannungen, und zwischenstaatliche Spannungen wirken sich auch auf das Verhältnis von Moslems und Hindus aus. In Indien wie in Pakistan.

Als die USA ihre Sanktionen verhängten, erklärte Premierminister Atal Behari Vajpayee, daß China der Grund sei, weil es Pakistan bei seinem Atom-Programm helfen würde. Nur wenige Tage vor der ersten Explosion hatte Verteidigungsminister George Fernandez aus heiterem Himmel angefangen, von Bedrohungen zu sprechen. Indiens Sicherheit sei durch China gefährdet.

LinX: Werden die Sanktionen Auswirkungen zeigen?

S.C.: Ich denke kaum. Die Leute auf der Straße merken nicht viel davon. Außerdem werden sie bald wieder aufgehoben werden. Die USA stehen ziemlich alleine da und müssen befürchten, daß die EU von der Situation profitiert. Darüberhinaus versucht Vajpayee, Washington zu beruhigen, indem er sagt, die ganze Sache richte sich hauptsächlich gegen China. Und die USA denkt sich natürlich, das ist eine gute Sache. Denn wenn Indien und China sich vertragen, stellen sie eine Kraft dar, mit der zu rechnen ist. Im Weißen Haus hat man also kein Interesse an freundlichen chinesisch-indischen Beziehungen.

LinX: Die Tests haben also Indiens internationaler Position eher geschadet. Weshalb wurden sie dann durchgeführt?

S.C.: Aus innenpolitischen Gründen. Die BJP hat ein kulturelles Programm. Sie will einen Hindu-Nationalismus schaffen. Dafür braucht sie die politische Macht, weiß aber, daß sie nie die Mehrheit haben wird. Also wird sie auf Partner angewiesen sein. Diese Situation haben wir im Augenblick. Die vielen Koalitionspartner verhindern die Konzentration der Macht, die die BJP braucht und will. Mit den Tests sollte also ein nationaler Konsens erzwungen werden, der die Koalitionspartner diszipliniert. Dieser nationale Konsens gehört auch zu ihrem Konzept der Militarisierung der Gesellschaft und der Errichtung einer autoritären Herrschaft.

LinX: Wird es weitere Tests geben?

S.C.: Nein. Die Regierung hat unzweideutig erklärt, daß sie keine weiteren plant. Denn nach der Euphorie der ersten Wochen ist den einfachen Leuten klar, daß sie nichts davon haben. Im Gegenteil, sie würden unter den wachsenden Spannungen zwischen Indien und Pakistan sehr zu leiden haben. Nicht, daß sie das Spiel der BJP durchschauen, aber die Euphorie ist vorbei. Die BJP hatte versucht, eine Atmosphäre des Chauvinismus und der Kriegshysterie zu schaffen. Doch das hat nicht funktioniert.

LinX: Ist den sozialen Bewegungen und den Gewerkschaften bewußt, daß sich diese Politik auch gegen sie richtet? Gibt es Versuche, sich zu wehren?

S.C.: Ja, aber es gibt keine gemeinsame Front, keine Plattform. Die linken Parteien beginnen mehr und mehr, darüber zu reden. Auch andere Gruppen, kleine Umweltgruppen, Wissenschaftler. Unter der vorigen Regierung mit ihrer Annäherungspolitik wurde sogar ein indisch-pakistanisches Freundschaftsforum gegründet. In einigen Städten wie Kalkutta und Delhi hat es Demonstrationen für Völkerverständigung gegeben.

LinX: Nach den Tests?

S.C.: Vorher. Aber einige Sachen sind für die nächste Zeit geplant. Am 6. August, dem Hiroshima-Tag, soll es in Kalkutta eine große Demonstration gegen die Atombombe geben.

LinX: Was sagen die linken Parteien zu den Tests?

S.C.: Zu Anfang haben sie sich von der Euphorie ein wenig davontragen lassen, haben die Erfolge der indischen Wissenschaftler gerühmt. Das hat sich aber schnell geändert, als sie verstanden, daß die BJP versucht, mit den Tests eine Atmosphäre des Chauvinismus zu erzeugen, und daß der letztendlich dazu genutzt werden soll, die demokratischen Institutionen zu zerstören und eine autoritäre Herrschaft zu errichten. Daher begannen sie, Widerstand zu leisten. Die ganze Bewegung. Widerstand gegen die Spannungen, die zwischen den beiden Staaten aufgebaut wurden.

LinX: Würden Sie sagen, die BJP ist faschistisch?

S.C.: Ja. Sie wollen Faschismus einführen. Das wird schon an ihrer Geschichte deutlich. Die Mutterorgansiation der BJP ist das RSS (Rashtriya Swayamsevak Sanjh, Nationales Freiwilligen Corps). RSS wurde in den 30ern von Brahmanen gegründet, als eine Reaktion auf Emanzipations-Bestrebungen in den unteren Kasten. Sie wissen, Indien ist eine in Kasten unterteilte Gesellschaft. Zu jener Zeit war P. R. Ambedgar, der spätere Vater der indischen Verfassung, sehr engagiert dabei, die unteren Kasten, v.a. die Unberührbaren, zu organisieren, die von den oberen Kasten, den Brahmanen, ausgebeutet wurden.

Deren Antwort war das RSS. Es ist eine monolithische Führerorganisation. Es gibt keinerlei Demokratie in ihr. Die BJP ist ihre politische Front, daneben haben sie andere Formationen, wie die SA-ähnliche Badrang Dal und die religiöse Vishwa Hindu Parishad (VHP). Aber die eigentliche Kontrolle wird vom RSS ausgeübt.

LinX: Die Badrang Dal ist eine Schlägertruppe?

S.C.: Ja. Das sind junge Lumpen (lumpen people) mit modischem Haarschnitt. Sie waren es, die die Moschee in Ayodhya zerstört haben. Die religöse Rechtfertigung für all das wird von der VHP geliefert, aber im Hintergrund zieht die RSS die Fäden.

Der RSS-Gründer war ein Hitler-Fan. Er wollte die Gesellschaft militarisieren. Die Hindus militarisieren und das Land hinduisieren, war sein Slogan. Z.B. steckte das RSS auch hinter dem Mord an Mahatma Gandhi. Sie haben eine durch und durch faschistische Ideologie, und die BJP ist ihr Werkzeug.

LinX: Vor kurzem war in den Zeitungen zu lesen, daß die Regierung entschlossen ist, in Ayodhya an der Stelle der Moschee einen Hindu-Tempel zu errichten.

S.C.: Das können sie nicht. Aber kann man es wissen? Wir hätten auch niemals gedacht, daß sie die Moschee zerstören würden, und doch haben sie es getan. Trotzdem: Im Augenblick könnte es die Koalition sprengen. Einige kleine Parteien, die ihre Basis unter den Moslems haben, würden die Regierung verlassen.

Die BJP sagt also, daß es für sie im Augenblick nicht so wichtig ist, und überläßt dieses Feld anderen, radikaleren Organisationen des RSS-Netzwerkes. Dafür drängen sie auf Änderungen in der Verfassung. Z.B. wollen sie ein Präsidial-System, d.h. sie wollen das Land von einer einzigen Person regiert haben. Ein Weg zum Abbau von Demokratie und der Errichtung einer autoritären Herrschaft.

LinX: Kann die BJP noch aufgehalten werden?

S.C.: Die BJP weiß, daß sie nicht mehr als 25-30% der Stimmen bekommen kann. Durch Wahlen werden sie also niemals an die Macht kommen, es sei denn, sie finden Koalitionspartner. Aber Hitler hatte schließlich auch keine eigene Mehrheit und hat es dennoch geschafft. Die BJP könnte das ebenfalls. Aber Koalitionen bedeuten zunächst eine Menge Zwänge für sie, halten sie davon ab, ihr Programm voll durchzusetzen.

Wenn daher die anderen Parteien, v.a. die linken, sich der Gefahr bewußt sind, wenn sie diese Tendenz beharrlich bekämpfen und die Menschen aufklären, dann, bin ich überzeugt, wird die BJP nicht weit kommen. Denn Indiens Kultur ist nicht ausgrenzend, auch der Hinduismus nicht. Die Grundüberzeugung aller Religionen, einschließlich des Hinduismus, ist die der Harmonie zwischen den Religionen.

LinX: Die deutschen Nazis wurden von den wichtigsten Fraktionen der Bourgeoisie unterstützt. Wie sieht es damit in Indien aus?

S.C.: Die indische Bourgeoisie hat bisher immer zur Congress-Partei gehalten. Die wichtigste Basis der BJP waren hingegen die kleinen Händler und Ladenbesitzer. Bis zur Mitte der 80er. Bis dahin war Indiens Ökonomie mehr oder weniger vom Staat kontrolliert. Natürlich gab es private Industrie, die auch groß wurde, aber das Sagen hatte der Staat.

Dann startete Rajiv Gandhi sein Liberalisierungsprogramm, und 1991 kamen schließlich IWF und Weltbank ins Land. In der Folge wurde die Industrie-Lobby wesentlich stärker. Die Congress-Partei fiel gleichzeitig in eine Krise, zerbröckelte, so daß die Industrie nach einer neuen Vertretung suchte. Und da bot sich die BJP mit ihrer extrem reaktionären, arbeiterfeindlichen, antidemokratischen Ideologie an. Der diesjährige Wahlkampf der BJP - das ist ein offenes Geheimnis - wurde auch von der einflußreichen Vereinigung der indischen Industrie unterstützt.

Außerdem: Viele der ehemals kleinen Händler und Ladenbesitzer sind durch die Liberalisierung ziemlich groß geworden. BJPs traditionelle Financiers und Unterstützer sind also jetzt Teil der Bourgeoisie.

LinX: Sie sprachen davon, die BJP verfolge ein kulturelles Programm.

S.C.: Sie sind in der Lage gewesen, ihre Leute in den Medien unterzubringen, so daß sie jetzt von dort viel Unterstützung bekommen. Tatsächlich können wir beobachten, daß jetzt, wo sie einen Teil der politischen Macht in Händen halten, ihr kulturelles Projekt so richtig Fahrt aufnimmt.

In der Koalitionsregierung haben sie dafür gesorgt, daß sie die Schlüssel-Ministerien kontrollieren. Z.B. stellen sie den Informationsminister, der Fernsehen und Presse kontrolliert. Die Folgen können wir bereits sehen. Jemand wie Guru Gulwalker, ein ehemaliger RSS-Führer, der wegen seiner Verwicklung in den Mord an Gandhi bisher als Krimineller angesehen wurde, wird plötzlich zu einer respektablen Persönlichkeit. Das RSS ist in der Geschichte mehrfach verboten gewesen. Nun werden ihre Führer aufeinmal interviewt, ohne das ihnen widersprochen würde.

Aber nicht nur in den Medien, auch im Staatsapparat postieren sie ihre Leute. Und sie versuchen, die Akademiker zu sich herüberzuziehen. Eine der ersten Maßnahmen der Regierung war es, die Gehälter der Professoren und Dozenten nahezu zu verdoppeln. Damit konnten sie einen großen Teil dieser Leute für sich einnehmen. Auch den Posten des Erziehungsministers haben sie sich gesichert.

Das RSS hat z.B. wie die Nazis ein Programm, Kinder und Jugendliche zu drillen. Die treten am frühen Morgen in Khaki-Shorts und weißem Hemd an und bekommen ihre Gehirnwäsche. Diese Kinder sind in sog. Shakkas organisiert. Die werden da von kleinauf zu Randalierern und Chauvinisten herangezogen.

Nun fangen sie an, besondere Schulen ins Leben zu rufen, finanziert aus den Mitteln des Ministeriums. Indische Kultur soll da angeblich gelehrt werden, und Familienwerte. Daß es in der Familie keine Ausbeutung und Hierarchie gibt. Und Geschichte natürlich. Alle muslimischen Könige, die Mogulen, werden als Invasoren dargestellt und die Moslems runtergemacht. Ein unterbewußter Haß auf Moslems soll erzeugt werden.

Überall sollen diese Schulen eingerichtet werden, um die Gehirne der Kinder zu waschen, in Slums, Arbeitervierteln, auf den Dörfern. In Madhya Pradesh, wo BJP bereits seit längerem an der Macht ist, haben sie bereits 35.000 von diesen Schulen aufgebaut. Außerdem werden natürlich die Lehrpläne der normalen Schulen geändert.

LinX: Wird es bei all dem nicht langsam Zeit, daß die Linke und die sozialen Bewegungen aktiv werden?

S.C.: Was die Parteien angeht, so sind sie sich der Gefahr bewußt. Aber ich glaube, ihr Problem ist, daß sie sich zu sehr auf Wahlen konzentrieren. Sie hoffen, die BJP in den Wahlen schlagen zu können. Ich denke allerdings, daß man sich auch mit der Ideologie der BJP auseinandersetzen und daß sie auf der Straße bekämpft werden muß. Außerdem ist eine starke Arbeiterbewegung wichtig, denn das Hauptziel der BJP ist deren Zerschlagung.

LinX: Gibt es antifaschistische Komitees in den Stadtteilen oder Fabriken?

S.C.: Die Dinge sind noch nicht so weit. Indien ist ein riesiges Land. In einigen Regionen hat die BJP einen gewissen Einfluß, in anderen existiert sie nicht einmal, wie z.B. in Westbengalen. Die Linke diskutiert viel über Faschismus. Die extreme Linke sagt: "Wir hören die Schritte des Faschismus nahen." Die etablierten linken Parteien reden zwar auch vom Faschismus, sehen es aber eher als eine Auseinandersetzung zwischen Kommunalismus und Säkularismus.

Tatsächlich können die meisten Menschen in Indien, v.a. die Analphabeten, nichts mit dem Begriff Faschismus anfangen. Aber mit ihrem Säkularismus erreichen die etablierten Linken die Leute auch nicht. Säkularismus, die Trennung von Religion und Politik, ist ein sehr modernes, westliches Konzept. In Indien spielt die Religion jedoch eine sehr wichtige Rolle, nicht nur für den einzelnen, sondern auch im gesellschaftlichem Leben. Heirat, Geburt - viele Leute sind tiefgläubig; bereit für ihre Religion zu sterben. Die verstehen es einfach nicht, wenn du sagst, daß Religion und Politik nichts miteinander zu tun haben sollen. Natürlich heißt das nicht automatisch, daß sie für eine Trennung zwischen den Religionen sind. Tatsächlich ist der Gedanke der Harmonie vorherrschend.

Ich meine also, daß, auch wenn es wichtig ist, den Kommunalismus zu bekämpfen, man dabei die Religion nicht negieren darf. Das funktioniert einfach nicht. Die Frage des Glaubens muß verstanden und in der richtigen Weise eingesetzt werden. Man muß die BJP bloßstellen, den Leuten zeigen, daß das, was die BJP sagt, nichts mit ihrer Religion zu tun hat. Nur so kann man ihnen beikommen.

LinX: Wir danken für das Gespräch.

Zum 53. Jahrestag des Atombomben-Abwurfs über Hiroschima demonstrierten laut Korrespondenten-Berichten am 6.8. in Kalkutta 100.000 Menschen gegen die Nuklear-Politik der indischen Regierung. Auch in der Bundeshauptstadt New Dheli gingen mehrere Tausend auf die Straße, darunter eine Gruppe pakistanischer Friedensaktivisten. Die Demonstration in Kalkutta war von der Regierung des Bundesstaats Westbengalen organisiert worden, die seit 21 Jahren von der Kommunistischen Partei (CPI) gestellt wird. Westbengalens Premierminister Buddhadev Bhattacharya warf der Regierung in Delhi vor, "Kriegshisterie aufgepeitscht" zu haben. "Der kleine Revolver, mit dem Nathurm Godse Gandhi ermordete, ist in den Händen der BJP zur Wasserstoffbombe geworden."

(wop)