Internationales

Geduld verloren

Südkoreaner streiken gegen Massenentlassungen

Lange war es angekündigt, zweimal hatten Südkoreas Gewerkschaften einen Rückzieher gemacht. Jetzt war es endlich so weit. Am 14.6. streikten im ganzen Land die Metallarbeiter. Einen Tag später schlossen sich die Beschäftigten in den staatlichen Betrieben und den Banken an. Insgesamt 150.000 Arbeiter folgten dem Aufruf der KCTU (Korean Confederation of Trade Unions) und legten für zwei Tage die Arbeit nieder. Die Proteste richteten sich gegen die wachsende Massenarbeitslosigkeit und die Abwälzung der Krisenfolgen auf die Arbeiter. Nach offiziellen Angaben beträgt die Erwerbslosenrate bereits 7%. Rechnet man allerdings auch all jene mit, die zuvor in kleinen Familienbetrieben mitgearbeitet haben, die jetzt pleite sind, oder jene, die nur ein paar Stunden in der Woche Arbeit haben, dann kommt man eher auf 16%. In einem Land ohne nennenswerte Arbeitslosenversicherung sind die Folgen katastrophal: Die Selbstmorde nehmen drastisch zu, Obdachlosigkeit breitet sich aus, die Gefängnisse füllen sich. Innerhalb von nur fünf Monaten nahm die Zahl der Insassen um 13% zu. Wer noch Arbeit hat, muß oftmals Lohnkürzungen hinnehmen oder gar mehrere Monate auf die Zahlungen warten. Die Fälle nicht gezahlten Lohns haben sich nach Angaben des Arbeitsministeriums gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.

 

Streikende in Seoul (Foto: Ana Enriquez)

Angesichts dieser Situation fordert die KCTU die Einhaltung der Tarifverträge und ein Ende der Massenentlassungen. Statt dessen müsse, so Yoong Mo, die Wochenarbeitszeit auf 35-40 Stunden verkürzt werden. In Vorkrisenzeiten wurde ca. 50 Stunden die Woche gearbeitet, mittlerweile ist, da nicht wenige Betriebe kurzarbeiten, der Durchschnitt geringer.

Die Juli-Streiks hatten eine längere Vorgeschichte des Hin-und-Hers der KCTU zwischen Protesten und Verhandlungen. Sowohl im Januar als auch noch einmal Anfang Juni hatte die Seouler Zentrale Streikvorbereitungen kurzfristig abgebrochen, um an den Verhandlungstisch mit Regierung und Unternehmern zurückzukehren.

Doch jetzt scheint den Gewerkschaftern endgültig der Kragen geplatzt. Am 10. Juli brachen sie die Drei-Parteien-Gesprächen mit Regierung und Unternehmern ab. Daß auch die eher konservative FKTU mitzog, zeigt wie sehr Frustration und Radikalisierung gewachsen sind. Bei den beiden Dachverbänden hat man das Gefühl, daß die Regierung ihr Reformprogramm ohne Abstriche durchzieht und die Gespräche nur Alibifunktion haben. So beklagen sich z.B. die Gewerkschaften der staatlichen Betriebe, daß die Regierung ihr Privatisierungsprogramm nicht mit den Gewerkschaften in den offiziellen Gesprächen diskutiert hat.

Südkoreas neuer Präsident Kim Dae Jung, dem die demokratische Opposition erst im Dezember ins Amt verholfen hatte, führt indessen unbeirrt die Umstrukturierung nach den Vorstellungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) durch. U.a. hat Kim eine Liste mit 50 Banken und Konzernen aufgestellt, die als nicht überlebensfähig gelten. Fünf Banken sollen geschlossen werden. Kim: "Es gibt keinen anderen Weg. Die Arbeitslosigkeit wird durch die Umstrukturierung von Banken und Firmen weiter steigen. Wenn wir dieses Jahr leiden, können wir den IWF bald hinter uns lassen."

Doch bei KCTU und FKTU ist die Leidensbereitschaft erschöpft. Sie fordern Beschäftigungsgarantien für die ca. 10.000 Angestellten der zwangsweise geschlossenen Banken. Auch sahen sie wenig Sinn darin, weiter zu verhandeln, solange sich die Unternehmer in ihren Betrieben nicht an die Gesetze halten. Arbeitervertreter würden nicht konsultiert, Kündigungsschutz nicht beachtet, Löhne und betriebliche Zulagen verspätet gezahlt, Tarifverträge durch einseitige Lohnkürzungen gebrochen. Zwei Tage nach Abbruch der Gespräche organisierten sie eine gemeinsame Kundgebung in Seoul mit 90.000 Teilnehmern.

Neben den persönlichen Schwierigkeiten schlägt den sehr nationalistischen Koreanern v.a. der Ausverkauf ans Ausland auf den Magen. Bei der KFPSU, einem KCTU-Mitgliedsverband für den öffentlichen Sektor, empört man sich, daß strategisch wichtige Unternehmen verkauft werden sollen, nur um Schulden zu bezahlen. "Die öffentlichen Unternehmen sind mit Steuergeldern und dem Schweiß der Arbeiter aufgebaut worden", heißt es in einem Protestbrief an Präsident Kim. "Betriebe wie Telekommunikation und Stromerzeugung sind Schlüsselindustrien, doch die Regierung will sie an ausländisches spekulatives Kapital für wenig Geld verkaufen, nur weil sie im Augenblick Dollar braucht, um die Schulden zu bezahlen." Dafür sei man nicht bereit, Opfer zu bringen.

Zu den Auslandsschulden war das Land wie die Jungfrau zum Kinde gekommen. Ähnlich den anderen asiatischen Krisenländern, konnte Südkorea noch vor einem Jahr auf einen ausgeglichenen Haushalt verweisen. In manchen Jahren waren sogar Rücklagen gebildet worden. Anders bei den Chaebols genannten koreanischen Industriekonglomeraten oder den Banken. Die verschuldeten sich massiv im Ausland. V.a. europäische Banken gaben gerne und ohne viel nach Sicherheiten zu fragen. Ende letzten Jahres platzte diese Blase. Um die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden, mußte der IWF um Kredit angegangen werden. Doch dessen oberste Prioritäten ist die Bedienung der Auslandsschulden. Also werden die privaten Schulden sozialisiert und die staatlichen Betriebe privatisiert.

Der Fond sorgt nicht nur für kapitalfreundliche Rahmenbedingungen, auch in die Innenpolitik mischt er sich ungeniert ein. Noch in letzter Minute versuchte Bijan Aghevli, IWF-Vizedirektor für die Region, einen Streik zu verhindern. Gerade auf Kontrollbesuch in Seoul, lud sich Aghevli zu Gesprächen beim KCTU ein. Ohne Erfolg. "Wir haben dem IWF noch einmal unseren Standpunkt klar gemacht", meint Yoong Mo. Die KCTU hält an der Forderung fest, die Kreditzinsen zu senken, die der unter extremen Kapitalmangel leidenden Wirtschaft erheblich zu schaffen machen. Als Folge der IWF-Auflagen war das Zinsniveau zeitweise auf über 20% geklettert, z.Z. bewegt es sich bei 14%. Nach Meinung vieler kritischer Ökonomen trägt die Verteuerung des Geldes für die koreanischen Unternehmen ganz wesentlich zur Verschärfung der Krise bei. Das sieht man in der Seouler KCTU-Zentrale ähnlich und fordert daher, daß das Strukturanpassungsprogramm des IWF aufgegeben wird.

Für die KCTU-Führung ist der Wechsel zwische Gesprächen und Streiks ein diffiziler Balanceakt. Auf der einen Seite verfängt die Propaganda der Regierung. Selbst manches Gewerkschaftsmitglied meint, Streiks würden die Krise verschlimmern und ausländische Investoren abschrecken. Auf der anderen Seite drängt in einigen Großbetrieben die Basis auf Aktionen. Zudem drohen Massententlassungen und die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse den fast ausschließlich in der Industriearbeiterschaft verwurzelten Verbänden den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Schließlich täuscht die hohe Militanz der südkoreanischen Streiks darüber hinweg, daß das Klassenbewußtsein selbst der Industriearbeiter unterentwickelt ist. Restriktive Arbeitsgesetze und die Organisierung in Betriebsgewerkschaften fördert die Identifikation mit dem Konzern. Diese Form der Organisierung, das hat man bei der KCTU längst erkannt, kann gerade in Krisenzeiten ein Spaltpilz sein. In der Seouler Zentrale würde man daher lieber heute als morgen Industriegewerkschaften gründen.

"Es ist an der Zeit, für gemeinsame Forderungen zu kämpfen", meinte dann auch eine Versammlung von rund 500 Gewerkschaftsfunktionären der KCTU-Mitgliedsverbände am 22.6.in Seoul. Das Treffen hatte eigentlich der Vorbereitung eines weiteren, diesmal unbefristeten Streiks dienen sollen, zu dem am 23. alle Mitglieder hatten aufgerufen werden sollen. Doch in nächtlichen Verhandlungen ging die Regierung auf einige KCTU-Forderungen ein. So soll ein System der Arbeitslosen- und Kurzarbeiterunterstützung ausgearbeitet werden. Für die Beschäftigten einiger von Schließung bedrohter Banken und Betriebe sollen Wege der Beschäftigungssicherung gefunden werden. Schließlich verspricht die Regierung, gegen illegale Entlassungen vorzugehen und ein öffentliches Hearing zu den Ursachen der Krise zu veranstalten. Weiter strittig bleibt v.a. die Privatisierung und Umstrukturierung staatlicher Unternehmen. Angesichts dieser Ergebnisse sagte die KCTU-Führung am Morgen des 23. überraschend den Generalstreik ab.

Die Regierung verfolgt unterdessen eine Doppelstrategie von Verhandlungen und Repression. Die Streiks seien illegal, hatten Präsident Kim Dae Jung und sein Finaznminister Lee Kyu Sung wiederholt verbreitet und mit harten Maßnahmen gedroht. Nach dem ersten Streiktag durchsuchte die Polizei in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni die Seouler Zentrale des Metallarbeiterverbandes. Gegen dessen Präsidenten Dan Byung Ho und 53 weitere Gewerkschafter wurde Haftbefehl erlassen. Eine Woche später wurden in einer größer angelegten Aktion 25 Gewerkschafter, Studenten und Mitglieder von Jugendorganisationen verhaftet. Die meisten davon in den frühen Morgenstunden in der im Süden des Landes gelegenen Stadt Ulsan, wo sich die Arbeiter von Hyundai im Streik gegen Massenentlassungen befanden. Unter den Verhafteten war auch ein Mitglied eines Unterstützungskomittees von Angehörigen der Arbeiter. Die Verhafteten, so das Konstrukt der Polizei, gehören einer illegalen Organisation, der "Anti-Imperialistischen Jugendliga", an, einer Gruppe, von der bis dato niemand außer dem Geheimdienst etwas wußte. Südkoreanische Bürgerrechtler fühlen sich an die Zeit der Diktatur erinnert.

Die Hyundai Motorenwerke hatten am 17.6. trotz eines Lohnverzichtangebots der Gewerkschaften die Entlassung von über 2.000 Arbeitern angkündigt, darunter auch zahlreiche gewerkschaftliche Vertrauensleute und der Gewerkschaftsvorsitzende. Die Gewerkschaften hatten ähnlich einem Modell, auf das man sich bei Daewoo geeinigt hatte, den Verzicht auf Zulagen, unbezahlte Verkürzung der Arbeitszeit und rotierende sechsmonatige Beurlaubung bei 50% Lohn vorgeschlagen. Dem Management war das nicht genug. Sie drohten, weitere 7.000 zu entlassen, wenn die Gewerkschaft nicht einer Lohnkürzung von 21% zustimmt.

Das Beispiel Hyundai, wo die Auseinandersetzungen noch andauern, zeigt, daß ein Teil der Chaebols inzwischen auf offene Konfrontation setzt. Für die KCTU, die aufpassen muß, nicht den Schwarzen Peter für die Verschärfung der Krise zugesteckt zu bekommen, wird die Situation damit zunehmend komplizierter.

(wop)

Die US-Regierung und sicherlich auch ihre Partner in Europa begrüßen eine Entscheidung der Welthandelsorganiation WTO. Die hatte Südkorea verurteilt, die hohen Steuern auf importierten Whisky aufzuheben. Es sei unfair, europäischen und amerikanischen Whisky mit 130% zu besteuern, während lokale Produkte nur mit 30% belegt werden, verkündet das Weiße Haus. Wir lernen daraus: Fair ist es, wenn europäische und - im geringeren Maße - US-amerikanische Banken Südkoreas Wirtschaft mit Krediten überschwemmen, ohne nach Sicherheiten zu fragen, und die Suppe andere auslöffeln lassen. Unfair hingegen ist, daß europäische und US-amerikanische Schnaps-Produzenten nicht mitverdienen dürfen, wenn Koreaner ihren Krisenfrust runterspülen.

(wop)