Antimilitarismus

Gelöbnis in Polizeifestung

"Demonstrationen, Ausschreitungen oder gar militante Störaktionen würden das positive Image der Landeshauptstadt beschädigen", warnte der Kreisvorstand der Kieler SPD vorsorglich alle, die derlei gegen das am 18.8. auf dem Kieler Rathausplatz durchgeführte Öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr planten. "Der Staatsbürger in Uniform kann auf unseren Respekt zählen - auch in Kiel", hieß es am Schluß des vorauseilenden "Gelöbnisses" der Kieler SPD.

Vorausgegangen war dieser Ablehnung nicht nur von Militanz, sondern jeglichen Widerstandes gegen Rühes Promo-Veranstaltung, selbst des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit, ein wochenlanger Streit. Den hatten die Ratsfraktionen der CDU und der SUK losgetreten. Vom Oberbürgermeister Norbert Gansel (SPD) verlangten sie eine Bewerbung für ein Gelöbnis in Kiel bei der Hardthöhe. Zwar gibt es in Kiel gar keine vereidigbaren Rekruten, die wurden knapp 400 Mann stark aus dem nahen Eckernförde angekarrt. Aber die Stadt kämpft beharrlich um ihren Erhalt als Marinestandort, wofür ein Gelöbnis als geeignete Werbemaßnahme erscheint.

SPD - Der Wandel zur Militärpartei

Vor der Wahl des langjährigen Bundestagsabgeordneten Norbert Gansel zum Oberbürgermeister im Mai 1997 und dem fast vollständigen Austausch der SPD-Fraktion nach der Kommunalwahl im März '98, die nunmehr ohne die Grünen regieren kann, war derlei in Kiel undenkbar. Kiel, das als "Reichskriegshafen" und wesentlicher Standort des Kriegsschiffbaus besonders stark vom Bombenkrieg der 40er Jahre betroffen war, wurde vom ersten Nachkriegsbürgermeister Andreas Gayk (SPD) zur "Friedenswerkstatt" erklärt. Die bis März '98 amtierende Stadtpräsidentin Silke Reyer (SPD) rief neben einer Städtepartnerschaft mit Hiroshima auch einen Arbeitskreis ins Leben, welcher der örtlichen Friedensbewegung nicht nur personell nahe stand und Kiel zur "atomwaffenfreien Zone" proklamierte. Doch mit Gansel, der als Reserveoffizier aus seiner Sympathie zur Marine keinen Hehl macht, und der neuen SPD-Fraktion weht in Kiel ein anderer Wind.

Ganz offen wird auf die unrühmliche und verbrecherische Marine-Vergangenheit wieder positiv Bezug genommen. Im Juni, kurz vor der Kieler Woche, zu der regelmäßig ganze Flotten von Kriegsschiffen befreundeter Seestreitkräfte in die Förde einlaufen, wurde auf Gansels Betreiben ein neues Hafenbecken als "Germania-Hafen" benannt. Gansel sah in dem Namen eine Erinnerung an die Krupp'sche Germania-Werft, die bis 1945 am selben Ort auch Kriegsschiffe gebaut hatte. Die Grünen, Teile der SPD-Basis, viele Linke und die Friedensbewegten sahen dagegen in der Namensgebung einen ganz und gar unangebrachten Bezug auf eine großdeutsche Vergangenheit. Zum 40. Geburtstag des in Kiel stationierten Segelschulschiffs "Gorch Fock" wurde man deutlicher. Verteidigungsminister Rühe überbrachte nicht nur Glückwünsche, sondern ein lange ersehntes und von Norbert Gansel als Chefsache herbei verhandeltes Geschenk: die Stationierung eines der vier neuen Einsatzgruppenversorger (EGV) der Bundesmarine. Die EGV sollen als "Plattform für Versorgungs-, Führungs- und Sanitätsaufgaben" die neuen schnellen Einsatzkräfte der Bundeswehr bis zu 45 Tage logistisch unterstützen. Sie sind damit Teil des in den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" von 1992 formulierten neuen Ziels der Bundeswehr, deutsche Interessen in aller Welt auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Das Argument für eine solche Stationierung in einer ehemals von einem SPD-"Genossen" zur "Friedenswerkstatt" erklärten Stadt ist freilich nicht dies, sondern das Stereotyp Arbeitsplätze (rund 200).

Aber nicht nur Gansel, auch sein verlängerter Arm in der SPD-Ratsfraktion, Jürgen Fenske, schon vom Auftreten her ein mustergültiges Exemplar aus der "New SPD" Schröderscher Prägung, ist eifrig um das Militär bemüht. Bei Antrittsbesuchen lobte er die "wirtschaftliche Bedeutung des Marinearsenals für die Region Kiel" und stellte klar, daß seine Fraktion alle ihre "Möglichkeiten nutzen will, die Auslastung des Arsenals zu gewährleisten". Hinsichtlich Freundschaft zur Marine und zum "Staatsbürger in Uniform" mag sich die Kieler SPD von der CDU nicht überbieten lassen. Und so unterstützte sie mit einem fast gleich lautenden "Alternativ"antrag auch deren Begehr nach einem Öffentlichen Gelöbnis auf dem Kieler Rathausplatz.

Anachronistisches Abfeiern der "Wehrfreiheit"

GelöbNIX-Protest auf dem Asmus-Bremer-Platz (Foto: jm)

Die letzte ähnliche Veranstaltung, ein "Großer Zapfenstreich", hatte dort im März 1936 stattgefunden, zum ersten Jahrestag der "Wiedererlangung der Deutschen Wehrfreiheit". In genau solchen Traditionen sehen die GegnerInnen des Gelöbnisses, die sich in einem Bündnis "GelöbNIX - kein Gelöbnis in Kiel und anderswo" organisiert hatten, den Ansatzpunkt ihrer Kritik. Mit "militärischen Weihe-Handlungen" und "pseudoreligiösen Kulthandlungen", so in einem Aufruf, stelle sich die Bundeswehr in die anti-demokratische Tradition des preußischen Militarismus und damit auch nicht zuletzt in die seiner Folge, der Nazi-Wehrmacht. Auch zur "Wiedererlangung der Wehrfreiheit" sieht man Parallelen. Die Bundeswehr, "von Freunden umzingelt", suche neue Aufgaben außerhalb ihres ursprünglichen Verfassungsauftrags der bloßen Landesverteidigung, beziehungsweise habe sie auf dem Weg zu einer "ganz normalen", sprich in aller Welt potentiell aktionsfähigen Armee bereits gefunden. Dafür bedürfe sie aber auch neuer Legitimation im öffentlichen Bewußtsein, zumal nach dem Imageverlust durch das Bekanntwerden der rechtsextremen Normalitäten in ihren Reihen und in Vorbereitung auf den Kosovo-Einsatz, der Volker Rühe inzwischen auch schon ohne UN-Mandat durchführbar erscheint. Gelöbnisse seien also nur die "Spitze des Eisbergs" dieses neuen Rollenverständnisses.
Bei einer Podiumsdiskussion zum Gelöbnis am 15.8. im Kieler Gewerkschaftshaus sah Nadja Kleinholz, Vorsitzende des Zusammenarbeitsausschusses der Friedensbewegung in Schleswig-Holstein, in der "Serie von Gelöbnissen in Schleswig-Holstein im Wahljahr" (allein im August sind vier weitere geplant) auch eine "Provokation der rot-grünen Landesregierung". Das Verteidigungsministerium habe bewußt an der Landesregierung vorbei Kommunen angesprochen, in ihren Mauern Gelöbnisse abzufeiern - und in Kiel damit Erfolg gehabt. Auf einen Brief von Kleinholz an die Ministerpräsidentin Heide Simonis hatte die geantwortet, sie begrüße "grundsätzlich öffentliche Gelöbnisse, allerdings mit der Einschränkung, daß sie nur in Orten stattfinden sollten, in denen Soldaten ausgebildet werden". Das aber ist in Kiel nicht der Fall. Auf die zwischen dem Verteidigungsministerium und der Landeshauptstadt getroffene Vereinbarung bezüglich des Gelöbnisses habe Simonis aber "keinen Einfluß".

Es mögen hier verdeckte Zwiste zwischen Landes-SPD und ihrem Ableger im Kieler Kreisverband aufscheinen, auf Podien der Friedensbewegung haben es SPD-Mitglieder dennoch schwer. Mit ihrem Bekenntnis zur Bundeswehr finden sie in der Friedensbewegung kaum Freunde, und die wenigen Bundeswehrgegner aus ihren Reihen, wie der Ammersbeker Literaturprofessor Friedrich-Wilhelm Wollenberg, der bei der Podiumsveranstaltung aus der Position eines ungebrochenen Pazifismus argumentierte, wirken in der SPD deutlich als Fremdkörper. Welcher Spagat zwischen SPD-Mitgliedschaft und Friedensbewegtheit gelegentlich zu leisten ist, zeigte auch das Mitglied der Landtagsfraktion Wolfgang Baasch. "Wir brauchen kein Militär, sondern gewaltfreie Konfliktlösungen", sagte er. Doch wenige Sätze später dachte er über "neue Aufgaben der Bundeswehr im Katastrophenschutz und zum Schutz des Friedens" nach und resümierte, die Bundeswehr tue sich mit Öffentlichen Gelöbnissen "keinen Gefallen, sondern organisiere nur die Provokation".

Friedensbewegung uneinig

"Die SPD hat sich um das Gelöbnis gerissen!" - Angelika Beer (B 90/Grüne) bei der GelöbNIX-Kundgebung (Foto: jm)

Auf die zu antworten fällt - zumindest in Kiel - aber auch der Friedensbewegung schwer. Zu heterogen sind inzwischen auch hier die Positionen. Nicht einmal das Postulat "Bundeswehr abschaffen!" findet hier noch einen durchgängigen Konsens. So hieß es aus den Reihen der Kieler Friedensbewegung in der Diskussion, die sich in weiten Strecken eher um die abzulehnende neue Rolle der Bundeswehr als Interventionsarmee drehte, als um das Gelöbnis selbst: "Man muß nicht unbedingt gegen die Bundeswehr sein, um gegen Öffentliche Gelöbnisse zu sein." In der Vorbereitungsphase des GelöbNIX-Protestes hatten selbst die Kieler Grünen, im Rat einstimmige Gegner des Gelöbnis-Beschlusses, in dieser Hinsicht eine unentschlossene Haltung gezeigt. Auf eine eindeutige Ablehnung von Auslandseinsätzen hatten sie sich ebensowenig festnageln lassen wollen wie auf die Abschaffung der Bundeswehr. Daß sie ferner vorbei am GelöbNIX-Bündnis eine eigene Gegenkundgebung zum Gelöbnis bereits angemeldet hatten, dann aber beim Bündnis wegen "mangelnder personeller Ausstattung" dafür um HelferInnen baten, hatte große Teile des Bündnisses sehr befremdet.
Die ungeklärte Frage, ob die Bundeswehr als Ganzes oder nur in ihrer jetzigen Form abzulehnen sei, spaltet die Bewegung ebenso wie die "Gewaltfrage" des Protests. Vor allem christliche Friedensgruppen sehen offenbar bereits im Einsatz einer Trillerpfeife einen Gewaltakt und mochten sich dem aus autonomen Kreisen in den Protest eingebrachten Motto "Wir stören gern!" nicht anschließen. "Wir wollen nicht stören, wir wollen argumentieren", hieß es dagegen.

Die Stadt Kiel sieht aber schon im "Argumentieren" eine unzulässige Störung des Gelöbnisses. Eine Genehmigung der bereits vor einigen Wochen angemeldeten Demonstration auf dem dem Asmus-Bremer-Platz war bis zum Mittwoch vor dem Tag X nicht erteilt worden. Aus Kreisen der Kieler PDS wurde bekannt, daß die Stadt zunächst sogar eine bereits erteilte Genehmigung für eine Wahlkampfkundgebung mit Gregor Gysi am 20.8. am selben Ort zurückziehen wollte, um auch die Anti-Gelöbnis-Demonstration verbieten zu können. Erst durch die Einschaltung eines Rechtsanwaltes einschließlich Lokaltermin konnte die Genehmigung für die GelöbNIX-Demonstration in letzter Minute erreicht werden.

Gelöbnis militant durchgezogen

Militante Gelöbnisschützer am Rathausplatz (Foto: jm)

Hundertschaften von Polizei, BGS und Feldjägern hatten dann am 18.8. das Gebiet um den Rathausplatz lange vor Eintreffen der zu vereidigenden Rekruten und der GegendemonstrantInnen weiträumig abgeriegelt. Noch vor dem Ertönen der ersten Trillerpfeifen hatten die Gelöbnis-GegnerInnen damit schon einen kleinen Erfolg errungen: Das Gelöbnis war nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt öffentlich. Denn die Sicherheitskräfte ließen neben den geladenen Gästen Personen nur vereinzelt und nach zum Teil willkürlicher Taschen- und Gesichtskontrolle auf den Rathausplatz. Selbst Presseausweise konnten den hermetischen Polizeiring nicht öffnen. Der Oberbürgermeister Norbert Gansel (SPD) hatte zuvor in einer Pressemitteilung eine "Einladung an die Bevölkerung" zum Gelöbnis ausgesprochen, der durch die Absperrungen aber kaum noch jemand nachkommen konnte.

Hundert Meter entfernt fand auf dem Asmus-Bremer-Platz die Gegenkundgebung mit etwa 500 TeilnehmerInnen statt. Die Hauptrednerin Angelika Beer (verteidigungspolitische Sprecherin von B 90/Grüne) warf der Stadt vor, sich geradezu "darum gerissen zu haben, das Gelöbnis nach Kiel zu holen". Insbesondere die SPD sei in "Rühes Gelöbnisfalle getappt". Der Minister versuche, Gelöbnisse zu einem "Ja zur Wehrpflicht und zu weltweiten Kampfeinsätzen der Bundeswehr" umzufunktionieren. Überdies solle mit Gelöbnissen von den Problemen der Bundeswehr mit dem Rechtsextremismus in ihren Reihen abgelenkt werden, gerade aus schleswig-holsteinischen Kasernen seien weitere Vorfälle bekannt geworden. Schließlich versuche Rühe, "im Schatten der Gelöbnis-Kampagne" - allein in Schleswig-Holstein sind im Wahljahr 17 Gelöbnisse geplant oder bereits durchgeführt worden - "die BürgerInnen auf einen Kampfeinsatz im Kosovo ohne UN-Mandat vorzubereiten". Diesen "Bruch internationalen Völkerrechts" gelte es auch mit einem Protest gegen das Gelöbnis zu verhindern. Wer diesen Protest diffamiere, demonstriere, "daß er den politischen Pluralismus, das Markenzeichen unserer Demokratie, auf subtile Weise untergraben wolle". Kiel solle "keine Marine-Stadt, sondern eine maritime Stadt" sein. Der Kampf für eine "Zivilisierung der Außenpolitik" sei nicht vereinbar mit Rüstungsexporten, wie sie auch die Kieler Werft HDW mit U-Booten für Indonesien betreibe. Abschließend forderte Beer, das Bündnis gegen das Gelöbnis nach diesem nicht einschlafen zu lassen. Die nächste Aufgabe für anti-militaristisches Engagement zeichne sich bereits ab - die Wehrmachtsausstellung, die Anfang des nächsten Jahres in Kiel gezeigt werden soll, wogegen sich schon jetzt Aktivitäten aus konservativen bis rechtsradikalen Kreisen andeuten.

Vorerst hatten es die Protestierenden jedoch auf die Störung der Gelöbnisfeier abgesehen, was aber aufgrund der massiven Polizeipräsenz nur eingeschränkt gelang. Einzelne an den Ort des Geschehens vorgedrungene Grüppchen mit Trillerpfeifen wurden von Feldjägern sofort zum Schweigen gebracht. Am westlichen Ende des Rathausplatzes hatten etwa 200 DemonstrantInnen die Absperrungen weiträumig umgangen, wurden dort aber von der Polizei abgedrängt. Dabei kam es zu vereinzelten "Gewalttätigkeiten" wie Bierdosen- oder Böllerwürfen, in deren Folge etwa 20 Personen festgenommen wurden. Für einen Übergriff der äußerst nervös reagierenden Polizei genügte andererseits oft schon eine Trillerpfeife im Mund oder am Hals eines Demonstranten. Auf dem Rathausplatz ließ man sich von den Störaktionen nur wenig beirren. Norbert Gansel nahm allerdings in seiner Rede auf das Pfeifkonzert Bezug. Den rund 400 Rekruten der Marinefernmeldeschule Eckernförde rief er zu: "Niemand kann Ihnen die Würde dieser Stunde nehmen, auch nicht die, die pfeifen oder schreien."

Erntete Pfeifkonzert - Norbert Gansel als Zaungast der GelöbNIX-Kundgebung (Foto: jm)

Eine Stunde vorher hatte sich der populistisch gewandte Gansel selber auspfeifen lassen müssen. Als er auf der Gegen-Kundgebung am Asmus-Bremer-Platz das Bad in der Menge suchte, erntete er gellende Pfiffe und "Hau ab!"-Chöre. Schließlich hatte die Stadt bis zuletzt versucht, die Kundgebung nicht zu genehmigen. Unbeirrt ließ sich Gansel jedoch auf Diskussionen mit Gelöbnis-GegnerInnen ein, immer bedacht, diese auch durch den Medientroß einfangen zu lassen. Den Kameraaugen dürfte dabei auch ein fleißig hinter Gansels Rücken her getragenes Plakat vor die Linse gekommen sein: "Nicht alle SPD-Mitglieder sind für die militärische Propaganda-Show!" Eine sehr kleine Minderheit der Kieler SPD wollte sich da Gehör verschaffen. Die große Mehrheit derselben hatte dem "out of area-Einsatz der Bundeswehr auf dem Rathausplatz" (Kundgebungsbeitrag) längst ihr Ja-Wort gegeben und konnte Rühes Versicherung, Kiel werde "weiter ein wichtiger Marinestandort bleiben" getrost mit nachhause nehmen. Denn das war der Sinn der Übung gewesen.

(jm)