Antifaschismus

Dokumentiert:

Offener Brief an die Redaktion des "Neuen Deutschland"

Lieber Herr Oschmann, liebe Redakteurinnen und Redakteure des ND, liebe Korrespondentinnen und Korrespondenten des ND!

Mit Befremden habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, daß das ND in seiner Ausgabe vom 31.7. diesen Jahres Roland Wehl ein Forum gibt, um sich zur Frage "Wie national muß die Linke sein?" zu äußern. Meine Bedenken möchte ich im folgenden kurz begründen:

Zur Person:

Wehl ist seit 1984 Redaktionsmitglied der Zeitschrift "wir selbst", die 1979 von einer Jugendgruppe der NPD gegründet wurde und nationalrevolutionär ausgerichtet ist, sich also positiv auf den "Strasser-Flügel" innerhalb der NSDAP und auf Ernst Niekisch bezieht. Darüberhinaus unterhält Wehl recht gute Kontakte zur "Jungen Freiheit". In diesem rechtsextremen Blatt publiziert er nicht nur; wohl nicht ganz zufällig verlegte die JF-Redaktion im Juli 1993 ihren Sitz in die Räumlichkeiten einer Berliner Firma (AMS Allgemeine Mietsysteme), deren Geschäftsführer Wehl zu diesem Zeitpunkt war.

Zur Zeitschrift "wir selbst":

Die Zeitschrift "wir selbst" gilt als eines der wichtigsten nationalrevolutionären Organe in der Bundesrepublik. Sie bezieht sich positiv auf die nationalrevolutionäre Strömung der Weimarer Republik, v.a. auf Ernst Niekisch, der sich im unmittelbaren Umfeld der NSDAP bewegte. Die Strategie der Nationalrevolutionären besteht darin, "das jeweils in der 'linken Szene' umherlaufende Vokabular" (Opitz 1984) geschickt aufzunehmen und dieses mit den eigenen Inhalten zu füllen. Dementsprechend bemüht sich die Redaktion darum, Themen der "Linken" aufzugreifen und sich damit an einen breiten Adressatenkreis zu wenden. Von besonderer Bedeutung ist das Bemühen, prominente Autoren (vor allem linker Herkunft) für einen Beitrag zu gewinnen. AutorInnen des linken Spektrums oder jene, die sich ehemals innerhalb dieses Spektrums bewegt haben, werden als "publikumswirksame Werber" mißbraucht (evtl. auch gebraucht) und sollen der Zeitschrift "das anregende Image eines kontroversen Diskussionsforums" verschaffen (Eike Hennig). Dokumentiert werden soll, daß sich (anscheinend oder tatsächlich) alle AutorInnen - quer zu den verschiedenen politischen Lagern - darin einig sind, daß die Stärkung der "nationalen Identität" ("Zeitschrift für nationale Identität" lautet der Untertitel) auf der Tagesordnung steht.

Zur Zeitschrift "Mut":

Die Zeitschrift "Mut" - ehemals ein rechtsextremes Jugendmagazin - hat eine turbulente Geschichte hinter sich, die ich an dieser Stelle nicht aufrollen möchte. In dem von Siegfried Jäger herausgegebenen Sammelband "Rechtsdruck" heißt es zusammenfassend: "Mut ist insgesamt zur 'gemeinsamen Plattform rechter und neofaschistischer Publizisten' geworden, darum bemüht, ihre nationalrevolutionäre Ideologie weit in eine konservative bildungsbürgerliche Leserschaft hineinzutragen. Jedes Mittel ist ihr dabei recht."

Historische Analogien:

Betrachtet man die historische und aktuelle strategische Zielsetzung der nationalrevolutionären Strömung, so ist es nicht verwunderlich, daß VertreterInnen jener Richtung ein ausgesprochen großes Interesse daran haben, Kontakt zur "Linken" aufzunehmen, deren Themen und Vokabular aufzugreifen, sich scheinbar positiv darauf zu beziehen, um es in ihrem Sinne "umzubiegen". In den 70er Jahren versuchten Nationalrevolutionäre, in den Parteigründungsprozeß der Grünen einzugreifen, u.a. mit der von der JN (Junge Nationaldemokraten) initiierten "Grünen Zelle Koblenz" sowie durch die Thematisierung der Ökologiefrage. Heute verdichtet sich der Eindruck, daß die rechtsextremen Kräfte ein besonderes Augenmerk auf die PDS richten und die Thematisierung der sozialen mit der nationalen Frage verknüpfen.

Eine Chronologie:

Alles nur Zufälle?

Beim Durchblättern einer der letzten Ausgaben der "Jungen Freiheit" (24.7.1998) stieß ich auf einen Beitrag mit dem Titel "Die linke Kritik von rechts". Hier wird behauptet, DVU und NPD hätten die politische Bedeutung der sozialen Frage erkannt. Die besonderen Chancen für DVU und NPD sieht der Autor darin, daß in Ostdeutschland (im Artikel ist allerdings von "Mitteldeutschland" die Rede) nur noch die PDS die soziale Frage besetzt und dort Gehör finde. Somit biete sich der Rechten die Gelegenheit, "erfolgreich in dieses Gebiet vorzustoßen und das Terrain zu besetzen, auf dem die Wahlkämpfe entschieden werden".

Die NPD gibt einerseits vor, sich der sozialen Frage anzunehmen - das NPD-Organ "Deutsche Stimme" titelt sogar "Sozialismus ist machbar" -, andererseits versuchen die Parteien der extremen Rechten, v.a. diejenigen, die in der nationalrevolutionären Tradition stehen oder sich auf diese zurückbesinnen, auf die Parteientwicklung der PDS Einfluß zu nehmen. Einflußnahme bedeutet: Ausweitung des Adressaten- und Autorenkreises von Publikationsorganen, Übernahme von linken Themen und linkem Vokabular, Umbiegen dieser Terminologie und Einfügen in das rechtsextreme Weltbild. Was wir im Moment beobachten können, weist in diese Richtung.

Daß die nationalrevolutionäre Strömung ihre "Querstrategie" fortsetzt und den aktuellen Erfordernissen und Bedingungen anpaßt, versteht sich von selbst. Daß jedoch die ND-Redaktion, ND-Korrespondenten wie Marcel Braumann oder der Leiter des zentralen Wahlbüros, André Brie, - wissentlich oder unwissentlich - dieses Spiel mitspielen, führt zu einem Glaubwürdigkeitsverlust des antifaschistischen und antirassistischen Selbstverständnisses der PDS sowie zu einem Glaubwürdigkeitsverlust des Politikansatzes, den mein Büro seit Jahren verfolgt. Aber nicht nur dies: Auch Antifa-Initiativen wird dadurch ihre politische Arbeit erschwert.

Im Moment kann man beobachten, daß die Unionsparteien und auch die SPD Themen wie "Ausländerkriminalität" und "Innere Sicherheit" aufgreifen, um den Parteien am rechten Rand Konkurrenz zu machen. Die PDS sollte deutlich machen, daß sie nicht gewillt ist, "nationale Themen" zu Wahlkampfzwecken aufzugreifen. Im Gegenteil: In einer Situation, in der Parteien versuchen, sich bei den Rechten anzubiedern, sollte die PDS ihr Profil als antifaschistische und antirassistische Partei schärfen.

Vor wenigen Wochen haben Parteivorstand und Parteirat eine Gemeinsame Erklärung verabschiedet, die meines Erachtens in die richtige Richtung weist: "Die PDS appelliert an alle demokratischen Parteien und Kräfte in diesem Land, öffentlich und sichtbar jede Zusammenarbeit mit fremdenfeindlichen und rassistischen Kräften abzulehnen, sich von deren Propaganda und Hetze aktiv und öffentlich zu distanzieren und jeder - auch indirekten - Duldung dieser rassistischen Politik entgegenzutreten. Wir fordern alle im Bundestag vertretenen Parteien auf, ein Abkommen zu schließen bzw. eine öffentliche Selbstverpflichtung einzugehen, in den Wahlkämpfen keine Losungen der Rechtsradikalen zu übernehmen, sich von ihren Inhalten klar zu distanzieren und sie nicht salonfähig zu machen."

Wie lassen sich die oben beschriebenen "Merkwürdigkeiten" mit den Prinzipien dieser Erklärung vereinbaren? Wie steht die ND-Redaktion zum Text dieser Erklärung?

Mit solidarischen Grüßen, Ulla Jelpke, Bonn, 12.8.98