Internationales

Südkorea:

Stellvertreterstreik um Massenentlassungen

5 Uhr 30. Über dem Japanischen Meer geht gerade die Sonne auf. 13.000 Bereitschaftspolizisten, behelmt oder mit keckem Käppi, mit Schilden und meterlangen Stöcken ausgerüstet, umstellen die Hyundai Motorwerke in Ulsan. Seit 28 Tagen sind die Arbeiter hier im Südosten Südkoreas im Streik gegen Massenentlassungen. All ihre Angebote hat der Konzern, einer der fünf großen Chaebols des Landes, zurückgewiesen. Stur hält er an seiner Absicht fest, 1.538 Arbeiter zu entlassen. Insgesamt sollen gar mehr als 10.000 Arbeiter ihren Arbeitsplatz in den Ulsaner Automobilwerken verlieren. Mehrere Tausend haben bereits notgedrungen eine Abfindung akzeptiert. Der Druck ist groß, denn die Alternative lautet, bei Entlassung ohne jeden Pfennig Geld dazustehen. Eine Arbeitslosenversicherung ist erst im Aufbau.

Kinder solidarisieren sich mit ihren streikenden Vätern

Auf den Entlassungslisten stehen auch die gewerkschaftlichen Vertrauensleute und der Vorstand der Betriebsgewerkschaft HMWU, die Mitglied im kämpferischen Dachverband KCTU ist. Mehrere Verhandlungsrunden verliefen ergebnislos. Letztes Angebot der Unternehmer: 615 Arbeiter werden entlassen, der Rest (923) für zwei Jahre in unbezahlten Urlaub geschickt. Für HMWU-Chef Kim Kwang Shik ist der Fall eindeutig: "Die haben vor, die Gewerkschaft zu zerschlagen. Das ist klar, wenn man sieht, daß sie an ihren Plänen festhalten, obwohl bereits Zehntausend das Unternehmen verlassen und wir sogar Lohnkürzungen angeboten haben."

Die Polizisten machen einige Ausfälle, ziehen sich dann wieder zurück. Die Spannung erreicht ihren Höhepunkt. Gewerkschaftsaktivisten drahten dringende Apelle durchs Internet. Die 10.000 Arbeiter, die mit ihren Familien seit Ende Juli das Werk besetzt halten, drohen, "bis zum letzten zu kämpfen". Barrikaden aus halbfertigen Autos und Sauerstofftanks werden errichtet.

Die Gewerkschafter sind nicht scharf auf Gewalt. Eine Woche zuvor hatten sie die Hilfe linker Studenten abgelehnt, weil sie eine Eskalation befürchteten. Kim Kwang Shik: "Wir haben von Anfang an auf einem friedlichen und gewaltfreien Kampf bestanden. Unsere Funktionäre werden auch jetzt von den Arbeitern äußerste Zurückhaltung verlangen und versuchen, Gewalt zu verhindern. Doch wenn wir angegriffen werden, könnte Gewalt unvermeidbar sein."

Das war Montag vergangener Woche (17.8.). Dann, im letzten Moment, beorderte die Regierung in Seoul ihre Truppen zurück. Premierminister Kim Jong Pil persönlich verlangte einen vorläufigen Stopp der Polizeiaktion und zwang Gewerkschaften und Management zurück an den Verhandlungstisch.

In Seoul befürchtete man offensichtlich einen Flächenbrand, denn der Konflikt war längst nicht mehr auf Hyundai beschränkt. Seitdem im Frühjahr Massenentlassungen legalisiert worden waren, hatte kein Unternehmen gewagt, davon Gebrauch zu machen. Hyundai spielt also den Vorreiter, was auch die Unnachgiebigkeit des Chaebols erklärt. Die Gewerkschaften ihrerseits halten die Solidarität der Belegschaften hoch. Sie sind zu weitgehenden Zugeständnissen bereit, wenn dafür die Arbeitszeit reduziert wird. Doch der Hyundai-Konzern, der in diesem Jahr zum ersten Mal seit Anfang der 80er rote Zahlen schreibt, aber immer noch genug Kapital zum Expandieren und Aufkauf von Konkurrenzunternehmen hat, will einen Teil seiner Arbeiter lieber 10 Stunden am Tag, 52 Stunden pro Woche arbeiten lassen und den Rest vor die Tür setzen. Eine Lösung, wie sie auch den anderen koreanischen Industriebossen vorschwebt, nur müßte dafür zuerst den Gewerkschaften das Rückgrat gebrochen werden.

Verständlich also, daß der Ulsaner Streik - wenn auch zögerlich - landesweite Unterstützung fand. Der KCTU-Metallarbeiterverband hatte bereits Tage vor dem Show-Down am 17.8. Kampfmaßnahmen angedroht. "Wir werden alle unsere Mitglieder zum Streik aufrufen, sobald die Polizei das Werk überfällt", so Verbands-Sprecher Sohn Nak Goo am 13.8. in Seoul. Der Dachverband KCTU versprach, zu Demonstrationen im ganzen Land aufzurufen und Hyundai-Niederlassungen zu blockieren.

Logo der KCTU

In der KCTU-Zentrale ist man eh frustriert von der Regierung, auf deren Einlenken hin man Ende Juli einen geplanten Generalstreik in letzter Minute abgesagt hatte. "Keins der seinerzeit gemachten Versprechen wurde bisher umgesetzt", meint Yoon Youngmo, der beim Hauptvorstand die internationalen Kontakte organisiert. In mehreren Fällen hat die Regierung seitdem lokale Streiks mit Gewalt beendet. "Sind das die versprochenen neuen Formen der Konfliktlösung?", fragt er. 140 Gewerkschaftsfunktionäre seien in Haft oder würden per Haftbefehl gesucht. Keiner davon sei am 15. im Zuge der Amnestie freigekommen. Stattdessen habe man jene entlassen, die die Grundlage für die Krise gelegt haben. Einschließlich der Putschisten vom Dezember '79 und der Offiziere, die 1980 für das Massaker in Kwangju verantwortlich waren.

Erst am 22.7. waren in einer groß angelegten Aktion 25 Gewerkschafter, Studenten und Mitglieder von Jugendorganisationen verhaftet worden. Die meisten davon in den frühen Morgenstunden in Ulsan. Unter den Verhafteten war auch ein Mitglied eines Unterstützungskomittees von Angehörigen der Arbeiter. Die 25, so das Konstrukt der Polizei, gehören einer illegalen Organisation an, der "Anti-Imperialistischen Jugendliga", einer Gruppe, von der bezeichnenderweise bis dato niemand außer dem Geheimdienst etwas wußte. Südkoreas Gewerkschafter fühlten sich an die Zeiten der Militärdiktatur erinnert, die gewöhnlich zu solchen Mitteln griff, wenn die Opposition zu stark wurde.

Unterdessen hat die Hyundai-Betriebsgewerkschaft zähneknirschend einem Vermittlungsvorschlag der Regierung zugestimmt. Die Kräfte der Arbeiter scheinen nach über einem Monat Streik und Besetzung am Ende. "Ehrlich gesagt, ich bin ausgelutscht", hatte ihr Vorsitzender Kim Kwang Shik bereits am 17.8. einem Reporter gestanden.

Der Plan der Vermittler sieht die Entlassung von 200-300 Arbeitern vor. 1.200 sollen für ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub nehmen, werden aber in dieser Zeit von der Regierung unterstützt. Die Entlassenen sollen Vorrecht bei etwaigen Neueinstellungen erhalten und alle Verfahren gegen Arbeiter eingestellt werden.

Doch während die streikenden Arbeiter dieser Lösung bereits am 21.8. zustimmten, zögert die Konzernleitung weiter. Bis Sonntagmorgen (23.8.) verhandelten Gewerkschaften, Management und Vermittler, ohne daß die Hyundai-Vertreter sich bewegt hätten. Die Vertreter der Streikenden zogen schließlich aus und stellten dem Management ein Ultimatum bis Sonntag 17 Uhr Ortszeit, das dieses jedoch verstreichen ließ. Die HMWU sieht damit ihre Zustimmung zum Kompromiß für nichtig an.

Auch der Vermittler, Noh Moo Hyun von der Partei Präsident Kim Dae Jungs, gab schließlich frustriert auf. Auf einer Pressekonferenz äußerte er am Sonntag, kurz bevor er die Stadt verließ, er sehe keine Rechtfertigung für einen Polizeieinsatz zur Beendigung des Streiks.

Beim KCTU-Vorstand sieht man hinter der unbeweglichen Haltung Hyundais die geballte Macht der anderen Chaebols und der "ultra.konservativen Kräfte" des Landes. Die großen Konglomerate wollen freie Hand bei Entlassungen und fürchten, in Ulsan könne ein Präzedenzfall geschaffen werden. Führende Industrievertreter hielten, nachdem die Arbeiter dem Kompromiß zugestimmt hatten, eine Pressekonferenz ab, auf der sie die Regierung wegen ihrer nachgiebigen Haltung angriffen.

Der KCTU-Vorstand überlegt indes, seine Aktionen gegen Hyundai auszuweiten und einen Boykottaufruf herauszugeben. Auch eine internationale Kampagne wird erwogen.

(wop)

Protestbriefe können an folgende Adressen gerichtet werden:

President Kim Dae Jung, The Blue House, 1 Sejong-no, Jongno-ku, Seoul (Korea), Fax: +82-2-770-0253, e-mail: webmaster@cwd.go.kr

President Chung Mong-kyu, Hyundai Motors Co., 700 Yangjeong-dong, Buk-ku, Ulsan (Korea), Fax: +82-52-280-4111

Letzte Meldung nach Redaktionsschluß:

Nachdem am Sonntagnachmittag (23.8.) nocheinmal das Arbeitsministerium eingriff, einigten sich Gewerkschaften und Unternehmer nach 38 Streiktagen auf einen Kompromiß. Demnach werden statt, wie vom Unternehmen ursprünglich geplant, nicht 1.538, sondern nur 277 Arbeiter entlassen, die zudem eine Abfindung erhalten. 1.200 weitere werden für 18 Monate in unbezahlten Urlaub geschickt, wovon ein halbes Jahr Fortbildung sein wird, die allerdings nicht das Unternehmen bezahlt. Bei Hyundai legt man Wert auf die Feststellung, daß man die zu Entlassenden selbst aussuchen werde.

Der Konzern, einer der fünf großen des Landes, hatte sich bis zuletzt gegen Vermittlungsversuche der Regierung gesperrt und war dabei von den führenden Industriellen unterstützt worden. In den Führungsetagen der südkoreanischen Industrie war man erpicht darauf, endlich Massenentlassungen im großen Stil durchführen zu können und ist daher vom Ergebnis enttäuscht.

Enttäuschung gibt es allerdings auch bei einem Teil der Arbeiter. 200 demonstrierten vor dem Sitz der Gewerkschaft gegen den Kompromiß. Die Mehrzahl ist allerdings, so berichten südkoreanische Oppositionelle, nach über einem Monat Streik erschöpft.

(wop)